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Die Hölle in der Heimat ist stets präsent

Es sind imposante Arbeiten aus Styropor, die der iranische Künstler Koroosh seit vielen Jahren in hingebungsvoller Feinarbeit anfertigt. Dass hinter denen aber große Fragen, großes Leid und ein großer Wunsch stecken, wird schnell klar, wenn man die Geschichte des 42-Jährigen hört. Der nämlich sehnt sich nur nach einem: Frieden.


„Ich bin endlich frei und sicher, das ist das Wichtigste. Und nur so kann mein Geist wieder arbeiten.“ Und seine Hände. Koroosh, der eigentlich anders heißt, aber lieber nur seinen Künstlernamen verraten möchte, lebt in einer Flüchtlingsunterkunft im Süden der Stadt. An dessen Eingang warten nicht nur der Künstler selbst, sondern gleich die ersten Werke: Großformatige Bleistiftzeichnungen, die seine neue Welt, sein Nürnberg darstellen und Portraits der vielen Kinder, die in der großen Anlage leben. Die lachen, zumindest an den Wänden, und verleihen dem Gebäude, in dem es zwar nach exotischen Gewürzen duftet, sonst aber nüchtern und still zugeht, gleich viel mehr Wärme. Hier lebt Koroosh. Lebt, arbeitet und wartet. Darauf, dass er bleiben darf. Und nie mehr zurückmuss in seine Heimat, die er gleichsam liebt und fürchtet. „Ich bin Atheist“, sagt Koroosh und erzählt. In perfektem Englisch, das ist ihm lieber als Deutsch, das er zwar lernt, aber noch nicht beherrscht, seinen eigenen Ansprüchen noch nicht genügt. Atheist zu sein im Iran, „das ist ein Problem“. Mehr will er nicht sagen. Vorerst. In seiner Heimat arbeitet Koroosh im Einzelhandel, verkauft Computer und Technik, schult sich selbst zum Künstler, arbeitet mit Holz, das er formt und gestaltet und dem er neuen Ausdruck verlieht. „Was Styropor ist, das wusste ich gar nicht“, sagt er lächelnd und freut sich, dass er dasjenige Material, mit dem er heute am liebsten arbeitet, zufällig entdeckte. Ausprobierte und dabei blieb. „Holz ist hart und laut“, sagt er, „Styropor weich und leise.“ Mit Säge und Messer, Sandpapier und Heißkleber „und meinem Geist und Körper“ bringt er die weißen Platten in Form, baut ganze Paläste nach und Autos. Verkauft die, hat Freude daran. In Deutschland, wo er Ende 2015 nach einer strapaziösen Reise, über die er lieber nicht viele Worte verlieren möchte, landet, entdecken Mitarbeiter und Helfer der Unterkunft schnell Korooshs Begabung und stellen ihm einen eigenen Werksraum zur Verfügung. Hier entstehen neben eindrucksvollen Zeichnungen und Bildern Schrifttafeln, Drachen, maßstabs- und originalgetreue Motorräder. Das Material dafür, erzählt der Künstler, holt er sich im Baumarkt: je nach Dicke der Styroporplatten, die er aneinanderklebt und miteinander verschmelzen lässt, mit winzigen Werkzeugen bearbeitet, kostet die Packung knapp 20 Euro – 350 Euro erhält der zurückhaltende Mann monatlich als Unterstützung, fast die Hälfte davon wendet er für seine Arbeiten auf, denn „Kunst“, sagt er, „ist mein Leben.“ Heute. Sein altes Leben, das packt er in seine Werke. „Gate of Hell“ lautet der Titel einer riesigen Plastik. Die zeigt den ewigen Kreislauf der Politik, Religion und Wirtschaft, zeigt Ölplattformen und Kriegsmaschinerie, die Wolkenkratzer der Banken, die Galgen Irans, die Grabsteine der Toten. Eineinhalb Meter im Durchmesser, die filigranen Nachbauten aus noch filigraneren Einzelteilen zusammengestellt. 45 Tage hat er an seinem Höllentor gearbeitet. Ob er das auch verkaufen möchte? Nein, auf keinen Fall, selbst wenn er dürfte, sagt Koroosh, der dankbar ist für die Hilfe, die er hier erfährt. Er möchte ausstellen, möchte, dass die Leute sich sein Werk anschauen können, möchte seine Geschichte erzählen. Seine Botschaft zeigen. Wie geht denn die Geschichte, lautet die Botschaft? „Sicher, dass ich erzählen soll?“ fragt Koroosh. Und erzählt. Davon, dass er mit dem Töten aufgewachsen ist. Dass er als Achtjähriger die erste Hinrichtung gesehen hat, die Leute, die Fotos machen statt zu helfen, den Blick des Sterbenden, der sich ihm eingebrannt hat, der ihn heute noch verfolgt, wann immer er die Augen schließt. Davon, dass sein Leben vom Sterben geprägt war, ein Tod auf den anderen folgte, dass er nie verstanden hat, warum all das in seinem Land passiert. „Ich glaube nicht an Gott, weil er den jungen Mann damals nicht gerettet hat“, sagt Koroosh, der weint, weil ihn das Grauen nicht loslässt, auch hier nicht, in der vermeintlichen Sicherheit Deutschlands. „Ich habe viel Schreckliches gesehen, aber nirgends einen Gott. Nie.“ Die Steinigungen beispielsweise, mit denen in seinem Land Frauen gestraft werden, „werden nicht von Gott ausgeführt, sondern von Monstern.“  Er fragt sich, wo Gott steckt. In all den teuren Tempeln und Kirchen und Moscheen, während die Menschen seines Landes keine Häuser haben, nichts zu essen? „Wir leben in der Hölle“, sagt Koroosh und zeigt ein Video. Drei Menschen werden am Galgen hingerichtet. Einer lebt weiter. Lange. „Ich mache meine Kunst nicht aus Spaß“, sagt Koroosh, „sonst könnte ich auch weiter nur Autos bauen oder lustige Bilder. Aber die Leute sollen erfahren, was in meinem Land passiert.“ Und, was er sich so sehnlich wünscht: eine neue Welt, die friedlich erwächst aus den Kriegsgebieten, in der die Menschen miteinander leben statt gegeneinander. „World of Peace“ heißt deswegen die Arbeit, die Koroosh, der bereits zum vierten Mal seine Werke ausstellen kann, aktuell im Casablanca Filmkunsttheater zeigt. Neben der „faszinierenden technischen Ausführung“ weiß Theaterleiter Matthias Damm vor allem „die klare Message“ zu schätzen, die die großformatige Styroporplastik sowie Bilder weiterer Arbeiten transportieren. Und in denen unverkennbar der größte Wunsch des iranischen Künstlers steckt: Frieden.


Koroosh mit „World of Peace“, noch bis voraussichtlich mindestens 26. April im Casablanca Filmkunsttheater, Brosamerstraße 12, Nbg; casablanca-nuernberg.de






(Foto:Thomas Amberg)