Es ist gleichsam faszinierend wie erschreckend, wie wenig
man differenzieren kann, ob Konstantin Wecker gerade ein sehr neues oder ein
sehr altes Lied auf die Bühne bringt – so aktuell sind die Themen, so sehr
muten sie als Identifikationssujet an, so sehr scheint sich in den Augen des
Alt-Barden nichts geändert zu haben und doch alles. Um so bedauerlicher, dass
den Weg in die Meistersingerhalle beinahe ausschließlich diejenigen gefunden
haben, die den beinahe 70-jährigen Liedermacher und Pazifisten seit Anbeginn
seiner Karriere zu begleiten scheinen. Und das, wo doch nicht nur Inhalt,
sondern auch Ausdruck der musikalischen Darbietung alles andere als staubig
daherkommen. Das liegt freilich am Charisma des Mannes, der sich selbst als
„Dichter, Poeten und Barden“ bezeichnet, der leise sein kann und dann auch sehr
laut, der mit kleinem Schmäh und großer Ernsthaftigkeit erzählt aus seinem
Leben, von seinen Begegnungen mit Friedenskämpfern und KZ-Häftlingen, von
seinen Gedanken als Vater und denen darüber, was das eigentlich sein soll, ein
„Vaterland“, zum Nein-Sagen aufruft und zur Revolution und auffordert zum
heiligen Tanz. Das liegt aber freilich auch an der Band, die Wecker auf seiner
nach dem aktuellen 22. Studioalbum benannte Tour „Ohne Warum“ (die erste durch
Deutschland bestritt er vor genau 40 Jahren) begleitet: Jo Barnikel, natürlich,
Nürnberger und ungefähr Zeit seines Lebens Lieblingspianist Weckers;
Multiinstrumenatlist Wolfgang Gleixner; Cellistin Fany Kammerlander; und:
Cynthia Nikschas, eine zierliche Frau mit einer gewaltigen Stimme, von Wecker
auf der Straße entdeckt, prompt unter seine Fittiche genommen, als
Duettpartnerin erwählt und mit viel Platz für Solodarbietungen versehen.
Wecker, an dessen „anarchistischer Einstellung sich nichts geändert“ hat, singt
von der Kindheit der Kinder, die zu schnell vergeht, vom Gefühl tiefer als das
Meer, vom Los der Immersatten, von der feinen Gesellschaft am Rande des
Abgrunds, von Gedanken, die frei sind, so lang sie nicht stören, vom empören
und sich wehren, vom Angst haben und dass alles heiliger Tanz sein muss, auch
beim letzten Geleit, und lädt ein zum Waffenhändlertango. Das alles tut er mit
so viel Energie, mit so viel Eindringlichkeit, und ja, Pathos, dass man
gänsehäutig sofort aufstehen und irgendetwas anzünden, mindestens aber
irgendetwas retten möchte, aber genau das bezweckt Konstantin Wecker: Wie sehr
muss man übertreiben, um auch den letzten Müden, den Satten, aus der
Wohlfühlzone zu treten, zum Handeln zu bewegen oder wenigstens zum Nachdenken?
Dann reißt sie’s nämlich doch aus ihren Sitzen, die Revoluzzer von einst, und
die Meistersingerhalle ist Bardentreffen, ist Revolution, ist Meer aus
Begeisterung, durch das der Wecker badet, eine Zugabe gibt und noch eine und
noch eine, und dann fahren alle heim im Mercedes und im SUV und finden
immerhin, er hat schon recht, eigentlich, der Wecker.
(Foto: Ufuk Arslan)
Katharina Wasmeier
Nürnberg
Critique