Rote, orange- und türkisfarbene Flächen schwimmen wie Farbinseln durch zwei sterile Industriehallen in Grau und Weiß, zwischen Werkzeugen, Kabeln und Farbtuben hindurch. Grüne Eisenträger unter dem Dach scheinen auf jedem Bild die Räume zusammenzuhalten. Ungeahnte Ähnlichkeiten werden auf den beiden Fotografien sichtbar, die zwei eigentlich sehr verschiedene Räume zeigen: das Atelier des Künstlers Jonathan Meese und den Berliner Elektronenspeicherring im Helmholtz-Zentrum, BESSY genannt. In dem Atelier leuchten am Boden liegende und an Wänden lehnende Gemälde bunt, im Labor sind es Schränke.
Stefanie Bürkle, arbeitet mit Fotografie, Malerei und Film, hat in Wien über die „Stadt als Bühne" promoviert und ist Professorin für Bildende Kunst an der TU Berlin. Stadträume fotografierte sie unter anderem in Istanbul, Beirut sowie in Wedding und Friedrichshain. Und sie schwimmt gern und gut. Foto: privatStellt man die Bilder nebeneinander, gehen sie beinahe ineinander über. Genau dieses Beispiel mache deutlich, dass wissenschaftliche Labore und Künstlerateliers vergleichbar seien, sagt die Künstlerin Stefanie Bürkle. Sie spiegelten sich, seien aber niemals kongruent: „Bei Meese sieht es sehr strukturiert aus, bei den Chemikern hingegen fast anarchisch."
Auch Bürkle hat ein Atelier. An den Wänden lehnen Leinwände, auf dem Schreibtisch steht ein Laptop, von der Decke hängen noch Metallketten. Bürkles Atelier liegt auf dem Gelände der Versuchsanstalt für Wasser- und Schiffsbau der Technischen Universität Berlin (TU) auf der Schleuseninsel am äußeren Teil des Tiergartens. Direkt daneben steht ein großes blaues Gebäude, aus dem ein langer Strömungsumlaufkanal ragt: die „Rosa Röhre", wie sie inoffiziell genannt wird. Seit 2009 hat Bürkle die Professur für Bildende Kunst am Institut für Architektur der TU inne. Ihr Atelier ist der Ausgangspunkt ihres Projektes „Atelier+Labor. Werkstätten des Wissens": Hier verschwimmen Wissenschaft und Kunst.
Für „Labor + Atelier" fotografierte Bürkle seit 2001 Werkstätten Berliner Künstlerinnen und Forschungseinrichtungen. Die meisten der 200 Bilder, die sie in ihrem 2018 erschienenen Fotoband gegenüberstellt, hat sie zwischen 2017 und 2018 aufgenommen. Ausgewählte Arbeiten sind noch bis zum 3.März im Museum für Fotografie zu sehen. Dort verzichtet Bürkle absichtlich auf die Beschriftung, damit Besucherinnen Verknüpfungen assoziieren können. „Die Leute sollen sich fragen: Wo bin ich denn gerade - im Labor oder im Atelier?", sagt Bürkle. Um selektiver vorzugehen, fotografierte sie mit einer Mittelformat- und einer Großbildkamera. Die aufwändige Technik diszipliniere sie, nicht unzählige Aufnahmen zu machen, sondern sich für nur eine oder zwei zu entscheiden. So wollte sie in ihren „Raumporträts", wie sie die Aufnahmen nennt, die Weite der Orte einfangen. Menschen sind nicht zu sehen. Lediglich der Raum soll von den dortigen Prozessen berichten: Er tritt als Protagonist auf.
Meese hat in der Nacht zuvor einen Malanfall Orte des Wandels ziehen sich als zentrales Motiv durch Bürkles Werk. Städte in ständiger Veränderung und Baustellen tauchen beispielsweise in ihren Serien wie „Stadtschloss Berlin" oder „Beirut - Berlin" auf. Bürkle will einen Ort nicht dokumentieren, keine Vorher-Nachher-Bilder machen, sondern ihn als Einheit vermitteln, so, wie sie nur in diesem einen Moment existiere. Dasselbe gilt für „Atelier+Labor": „Morgen sieht es dort anders aus als heute." Vor ihren Besuchen bat Bürkle alle Beteiligten, nicht aufzuräumen. Es sollte auf keinen Fall inszeniert wirken. Es war dann Zufall, dass Meese in der Nacht zuvor einen Malanfall hatte, sagt sie, und Karin Sander zuvor eine große Führung, zu der alles ordentlich aussehen sollte.
Das Herz des Projektes ist eine Videoarbeit, die Ende des Jahres im Haus am Lützowplatz gezeigt werden soll. Darin schwimmt Bürkle in einer Tiefwasserschlepprinne. Das ist eine 250 Meter lange und etwa fünf Meter tiefe, mit Wasser gefüllte Rinne. Sie durchläuft den unteren Teil des Geländes, auf dem sich auch Bürkles Atelier befindet. Hier werden Schiffe und Unterseefahrzeuge auf ihre hydrodynamischen Eigenschaften untersucht. Im Video schreibt Bürkle mit ihrem Körper gleichsam die künstlerische Arbeit in einen wissenschaftlichen Raum ein, eine extreme Form der Annäherung von Labor und Atelier, wie Bürkle zugibt.
Denn wissenschaftliche Einrichtungen wie Datenassimilationsbüros oder Hochspannungsversuchshallen unterscheiden sich enorm von Studios. In Ateliers geht es um Visionen und abstrakte Ideen, in Laboren um Analysen und Fakten. Doch ihre Gemeinsamkeiten sind das Interessante: „Beide sind von existenzieller Bedeutung - weder Künstler noch Forscher könnten ohne diese Räume leben", sagt Bürkle. Und beides sind Orte, an denen experimentiert und Neues geschaffen wird. Bis 3.3.: Museum für Fotografie, Jebensstr. 2, Charlottenburg, Di-So 11-19, Do 11-20 Uhr, 10/ 5 €
S tefanie Bürkle: Atelier + Labor. Werkstätten des Wissens, Hatje Cantz 2018, 200 S., 179 Abb., Dt./Engl., 38 €
In: zitty 05/2019, 1.3.2019