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Triple-Win durch die Anwerbung vietnamesischer Krankenpfleger*innen?

Der eklatante Personalmangel in der (stationären) Altenpflege in Deutschland hat seit einigen Jahren neue Formen der formellen Anwerbung von Krankenpfleger*innen im Globalen Süden etabliert.

Der eklatante Personalmangel in der (stationären) Altenpflege in Deutschland hat seit einigen Jahren neue Formen der formellen Anwerbung von Krankenpfleger*innen im Globalen Süden etabliert. Von staatlicher Seite wird im Kontext dieser Anwerbungen ein sogenannter Triple-Win-Effekt propagiert – ein Konzept, das eine Gewinnsituation für Aufnahmeländer, Herkunftsländer und die migrierenden Fachkräfte verspricht. Durch zirkuläre Migration könnten neben Arbeitsmarktpolitik auch entwicklungspolitische Ziele im Herkunftsland realisiert werden. Durch einen feministischen Zugang zu der Thematik und in der Auseinandersetzung mit der Perspektive vietnamesischer Krankenpfleger*innen, die ich im Rahmen meiner Masterarbeit durch Interviews erhoben habe, wird jedoch ein differenzierteres Bild der neuen Rekrutierungsstrategien sichtbar.

Programme zur Rekrutierung von Krankenpfleger*innen in Vietnam

Auf staatlicher Seite hat das Bundesministerium für Wirtschaft (BMWi) gemeinsam mit der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit 2013 ein Programm entwickelt, durch das vietnamesische Krankenpfleger*innen eine verkürzte Ausbildung zur Pflegefachkraft in der stationären Altenpflege in Deutschland absolvieren können.
Die dabei verfolgte Triple-Win Strategie basiert auf einer sehr einfachen Logik: Menschen aus Ländern des Globalen Südens migrieren nach Deutschland und würden hier dazu beitragen, Lücken in Mangelberufen im Gesundheitswesen zu schließen. Gleichzeitig würde durch die Migration der Arbeitsmarkt im Heimatland entlastet werden, da dort mehr qualifizierte Fachkräfte als Stellen vorhanden seien. Die migrierenden Fachkräfte würden während ihres Aufenthalts in Deutschland von den höheren Löhnen profitieren, mit denen sie ihre Familien und Angehörige im Heimatland unterstützen würden. Außerdem würden sie internationale Kontakte schließen und sich für Projekte in ihren Herkunftsländern engagieren. Schlussendlich würde bei der Rückreise ins Heimatland durch die Arbeitserfahrung im Ausland ein Wissenstransfer stattfinden, durch den entwicklungspolitische Impulse gesetzt würden.

Zur besseren Bewerbung des Rekrutierungsprogramms benutzt das BMWi stereotypisierende Bilder, die um die Kategorien „Kultur“ und „Nationalität“ akzentuiert sind. In einer Broschüre des BMWi werden dabei bestimmte kulturelle Eigenschaften der Vietnames*innen als besonders wertvoll für die Arbeit in der Altenpflege hervorgehoben. So heißt es: „Ihre kulturell geprägten Eigenschaften – den Vietnamesinnen und Vietnamesen eigene Motivation, ihr Pflichtbewusstsein und ihr Ehrgeiz sind gute Voraussetzungen für die angestrebte Tätigkeit im Pflegesektor.“ (BMWi, 2014: 19)

Diese positiven, essentialisierenden Zuschreibungen bestimmter „zupackender Fähigkeiten“ der vietnamesischen Pfleger*innen wirken wie zugeschnitten auf die körperlich und emotional schwierigen Bedingungen in der Altenpflege. Das Herausstellen der Wahl Vietnams als Partner für dieses Projekt setzt sich mit der Hervorhebung der noch bestehenden hohen Wertschätzung alter Menschen in Vietnam fort. So heißt es, dass die jungen Vietnames*innen einen „respektvollen-freundschaftlichen“ (ebd.) Umgang mit alten Menschen pflegen würden und dieser für die Altenpflege nutzbar gemacht werden könnte. Gleichzeitig wird in den Broschüren immer wieder darauf verwiesen, was für eine große Chance diese Anwerbung für die jungen Menschen aus Vietnam sei, da sie dadurch der Arbeitslosigkeit entkommen würden.

Perspektive vietnamesischer Krankenpfleger*innen

Migration, Arbeit und Leben der interviewten vietnamesischen Pfleger*innen in Deutschland bewegen sich in einem Spannungsfeld aus neuen Freiheiten und Möglichkeiten auf der einen, sowie Missachtung, Diskriminierung und Problemen der Anerkennung in ihren Betrieben auf der anderen Seite. Das Problem der wachsenden Versorgungslücken in der stationären Altenpflege in Deutschland hat auf die Ausbildung und Arbeit der vietnamesischen Pfleger*innen starken Einfluss. Stress, Zeitnot, eine Verdichtung der Arbeit und viele Überstunden kennzeichnen das Arbeitsleben der Pfleger*innen. Insgesamt spiegeln ihre Antworten eine Mischung aus der Realisierung einer Chance – die neuen Möglichkeiten der Mobilität und ihr unabhängiges Leben in Deutschland – sowie einer Form von Schock im Hinblick auf die Arbeit in der stationären Altenpflege, Diskriminierungserfahrungen und diverse Unsicherheiten in Hinblick auf ihren Aufenthaltsstatus, wider.

Bis auf eine Ausnahme befinden sich alle zum Zeitpunkt der Bewerbung in Vietnam in festen Arbeitsverhältnissen. Sie haben unmittelbar im Anschluss an ihren Abschluss als Krankenpfleger*in (dreijährige Ausbildung als College-Nurse oder ein vierjähriges Studium als Bachelor-Nurse) Anstellungen in unterschiedlichen pflegerischen Bereichen gefunden. Keine/r der Interviewpartner*innen gibt als Motivation für eine Migration nach Deutschland potenziell höheres Einkommen und die Möglichkeit damit Angehörige in Vietnam zu unterstützen an. Vielmehr verweisen alle indirekt auf die Problematik der Visumbeschaffung für Vietnames*innen und Menschen aus Asien im Generellen und die Chance über das Programm des BMWi ohne große Kosten eine Aufenthaltsgenehmigung in einem Land des Globalen Nordens zu erhalten. Deutschland als Land und die Altenpflege als Beruf sind dabei zweitrangig. So erzählt einer der Interviewpartner*innen:„Also um ehrlich zu sagen, ich hab dann eine gute Stelle im Krankenhaus gehabt, dann auch schon Gutes verdient, aber mir ist einfach-(.), ich war einfach (.), also lernwillig und neugierig auch, wie es dann im Ausland dann ausschaut. Weil an der Universität hab ich so viel gehört dann von Auslandserfahrungen von meinen Lehrern und Lehrerinnen, die haben dann den Master auch zum Beispiel in Niederlande in Schweden auch abgeschlossen. Die haben dann erzählt und erzählt in unterrichten, dass sie da so gute Erfahrungen hatten, da hab ich dann Gedanken gemacht.“(Interview Pfleger*in)

Es zeigt sich, dass die Einschränkungen in ihrer internationalen Mobilität bei der Entscheidung, an diesem Projekt teilzunehmen, eine große Rolle spielen. Die positive Konnotation von Mobilität und die geringen Möglichkeiten eine Zeit im Ausland zu verbringen, spiegeln sich in den Aussagen der Pfleger*innen an mehreren Stellen wider. Es wird deutlich, dass die Kategorien der „Mobilität“ und der „Nationalität“ eine sehr starke Gewichtung haben und dass die Motivation an diesem Programm teilzunehmen nicht nur mit neuen Berufserfahrungen beziehungsweise höheren Löhnen zusammenhängt, sondern auch mit den Einschränkungen, die auf Grund von Visa-Restriktionen bestehen. Entdeckungslust, Neugier und (räumliche) Unabhängigkeit von der Familie als Motivation der vietnamesischen Fachkräfte stehen dabei im Kontrast mit den durch das BMWi und GIZ hervorgehobene Problem der Bildungsarmut (ausgedrückt durch die Prognose des Wissenstransfers), den Geldtransfers und der Arbeitslosigkeit der Pfleger*innen in Vietnam.

Die hier interviewten Pflegefachkräfte beschreiben, dass sie in ihren Betrieben in Deutschland mit Diskriminierungs- und Missachtungserfahrungen konfrontiert sind. Sie erleben stressige Arbeitsbedingungen durch ständige Unterbesetzung, Ausgrenzungen in ihren Pflegeteams oder rassistische Anfeindungen durch Bewohner_innen. „Ja. oooh. Doch hab ich auch schon erlebt. Aber nicht hier, aber am Anfang. Sie wollen nicht uns pflege. Nur deutsche Pflege. Ja, wenn ich komme, sie sagen geh raus. Wir brauchen nur Deutsche. Dich brauchen wir nicht.“ (Interview Pfleger*in) Aus rassismuskritischer Perspektive stellt sich in diesem Kontext die Frage, wie man mit Bewohner*innen, die sich menschenverachtend verhalten und ihre Pfleger*innen auf Grund der Herkunft beschimpfen oder abweisen umgegangen werden soll. Im Kontext steigender Beschäftigung von Migrant*innen in der Altenpflege müssen Wege gefunden werden, diese Menschen trotz ihres Alters damit zu konfrontieren, dass ihr rassistisches Verhalten keinen Platz in Deutschland hat. Es ist letztlich unverantwortlich, dass Pfleger*innen mit Migrationsbiographie in einem Bereich arbeiten, in dem sie tagtäglich Diskriminierung erfahren.

Die Interviews machen zudem sichtbar, dass die Arbeitsinhalte in der stationären Altenpflege im Kontext der bereits zuvor absolvierten Krankenpfleger*innen-Ausbildung in Vietnam für die Pfleger*innen einen Brain Waste – also eine Nicht-Anerkennung beziehungsweise Nutzung ihrer in Vietnam erworbenen Qualifikationen – darstellen. In Deutschland übernehmen die vietnamesischen Pflegefachkräfte hauptsächlich pflegerische Aufgaben. Ihre in Vietnam erworbenen medizinischen Kenntnisse kommen kaum zum Einsatz.

Insgesamt spiegelt sich in den Antworten der Pflegefachkräfte nach drei Jahren Beschäftigung in der stationären Altenpflege nur sehr punktuell Enthusiasmus für den Beruf wider. Daraus lässt sich ableiten, dass die Versorgungslücken, die in der stationären Altenpflege in Deutschland bestehen, möglicherweise nicht langfristig durch Anwerbungen aus dem Ausland behoben werden können. Das hier untersuchte Programm sichert den vietnamesischen Pflegefachkräften zwar durch die Eingliederung in einen Ausbildungsberuf und die Diplomierung in diesem Bereich einen Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt, dieser ist durch die Vergabe von defacto temporären Aufenthaltstiteln zeitlich begrenzt und verpflichtet die Pfleger*innen in der Altenpflege zu arbeiten. Durch den Aufenthaltstitel in Deutschland gewinnen die vietnamesischen Pflegefachkräfte den Zugang zum Schengenraum. Gleichzeitig ist ihr neuer Lebensort weit entfernt von ihrem Heimatland, und die Arbeit in der stationären Altenpflege ermöglicht ihnen bislang nicht zirkulär zu migrieren. Eine Anerkennung der vietnamesischen Pflegefachkräften als deutsche Staatsbürger*innen beziehungsweise die Gewährung der doppelten Staatsbürgerschaft würde den Pflegefachkräften zum einen Sicherheiten geben, die dazu führen könnten, dass sich tatsächlich transnationale Projekte zwischen Vietnam und Deutschland etablieren könnten. Zum anderen würde es eine Anerkennung ihrer Leistungen als Care-Arbeiter_innen darstellen.

Gleichzeitig reicht aber auch der Zugang zur Staatsbürgerschaft zur Förderung zirkulärer Migration im Kontext des hier vorgestellten Projektes nicht aus. Letztlich können die Versorgungslücken in der Altenpflege nur durch eine gesellschaftliche Aufwertung der Care-Arbeit und verbesserte Arbeitsbedingungen gefüllt werden können.

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