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Blumen-Trend: Früher hässlich, heute cool - die Anthurie - WELT

Neuer Blumen-Trend Früher hässlich, heute cool? Das Comeback der Anthurie

Der Zeitgeist treibt mitunter seltsame Blüten: Anthurien wurden jahrelang als kitschige Blumen verschmäht, nun sind sie plötzlich ein Instagram-Hit. Vielleicht, weil sich das Auge nach mehr Exotik sehnt.

Keine Frage: Es hat etwas Vulgäres, wie sich der spitze Kolben da kerzengerade aus dem Y-förmigen, feingeäderten Blatt erhebt. Überhaupt dieses Blatt: Leblos sieht es aus, irgendwie künstlich, als wäre es mit einer glänzenden, lackartigen Plastikschicht überzogen.

Die Spätmoderne mag nur noch wenige ästhetische Gewissheiten kennen. Bei der Anthurie, auch bekannt als Flamingoblume, war man sich aber bislang einig: Wenn überhaupt eine Blume als hässlich bezeichnet werden kann, dann dieses besonders haltbare Tropengewächs. Verlässlich löste ihr Anblick beim Betrachter Kopfschmerzen aus wie eine überzuckerte Piña Colada im All-inclusive-Urlaub.

Doch nun bröckelt auch diese Überzeugung; denn egal ob in den Trendblumenläden, auf Instagram oder in hippen Großstadtcafés: Die Anthurie gilt als neue Lieblingsblume der Geschmacksavantgarde.

Für die Floristik bedeutet der neue Trend nichts Geringeres als eine Zeitenwende. Denn in den letzten Jahren war das Schönheitsideal für Blumen klar definiert: Möglichst natürlich sollten die Sträuße aussehen, am besten wie selbst gepflückt vom heimischen Acker, auch wenn sie in Wahrheit von urbanen Floral Designern aufwendig kuratiert worden waren. Auch das Arrangement folgte festen Prinzipien: Entweder dümpelten auf dem rustikalen Küchentisch unschuldig-naive Kornblumen in einem legeren Weckglas herum, oder es wurden Tulpen, Anemonen und Rittersporn als barockes Stillleben inszeniert, während man seinen Gästen eine einzelne uckermärkische Steckrübe mit Pumpernickeltopping kredenzte.

Dass Blumen viel über den Zeitgeist verraten, ließ sich in den letzten Jahrzehnten immer wieder feststellen: In den 90er-Jahren lieferten weiße, schmale Lilien- oder Callagebinde das anorektische Pendant zu den minimalen Kollektionen von Jil Sander oder Calvin Klein. Mit der New Economy kam dann plötzlich die hedonistisch-bunte Gerbera, die ehrgeizige BWL-Studentinnen in kleinen Reagenzgläsern an die Armaturenbretter ihrer MINIs klemmten. Ihr überschwerer Kopf musste dabei von dünnen Drahtstäben gestützt werden; ähnlich wie wenig später die zockenden Banken vom Steuerzahler.

Warum sollte die Anthurie also eine Ausnahme machen? Auch sie ist ein Bote ihrer Zeit und hat sich für ihren geschmacklichen Feldzug bereits tropische Verstärkung mitgebracht: Übergroße Monstera- oder Palmenblätter, elegante Strelizien, üppig-puffiges Pampasgras oder makellos schöne Orchideen begleiten die neuen Bouquets. Eine Ästhetik, die nicht nur den Schönheitsbegriff erweitert, sondern bisherige Gegensätze miteinander verbindet: Mühelos changiert sie zwischen Natürlichkeit und Sex-Appeal, zwischen Ernst und Ironie, Bescheidenheit und Exzess.

Denn dass sich generell etwas verändert, kündigt sich auch in anderen Bereichen bereits an. Da werden Apothekengläser durch poppige Memphis-Vasen ersetzt, und in Cafés weichen die kargen Holzschemel und minimalen Glühbirnen opulenten Palmentapeten und plüschig-kitschigen Samtsofas. Nach Jahren des minimalistischen Neo-Biedermeiers und des Bio-Diktats scheinen sich Auge und Geist plötzlich wieder an Exotik, Komfort und Sinnlichkeit zu erfreuen. Wenn das mal keine gute Nachricht für den Sommer ist.

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