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Gourmetgemüse

An diesem Abend werden Lauch und Pastinaken, grüner Wildspargel, Rote Bete, Kartoffeln und Erbsen in allerlei Aggregatszuständen die schmale Treppe von der Küche in den dunkelgrau getünchten Gastraum getragen. Wenige Stunden vorher sitzt Ricky Saward am schönsten Tisch des Sevens Swans und erzählt, wann und warum er hier gelandet ist. Der Blick streift über den Main, durch die Balkonfenster dringt ein wenig Luft ins aufgeheizte Lokal in der Frankfurter Altstadt. Saward ist der Chef in einer der wenigen vegetarischen Sterneküchen weltweit.

Seit er vor drei Monaten im Swans anfing, steht er täglich in der nur zehn Quadratmeter großen Küche und überlegt, wie er die abgegriffene Formel "regional und saisonal" wieder mit Leben füllen kann. Als Jungkoch hat er Fisch und Fleisch in rauen Mengen verarbeitet. Für eines dieser Gerichte hat er mal eine Auszeichnung erhalten: Schweinefüße "...mit Jakobsmuscheln, ich weiß", ergänzt er lachend. Das sei eben Standard in der gehobenen Küche, absolut legitim. Ihm selbst wurde das aber irgendwann zu langweilig.

Also schaute er sich in verschiedenen Küchen um: Nach seiner Ausbildung in einem münsterländischen Gasthaus ("Grundsolide. Das empfehle ich immer noch jedem: Das Handwerk lernt man dort am besten.") zog es ihn nach Australien, einige Jahre später landete er in den gehobenen Gastro-Adressen Frankfurts, wo er verschiedene Stile ausprobieren konnte. Die Initiative Gastronomie Frankfurt ehrte ihn als "Kochtalent 2017". Danach kam das Swans. Auf die Stelle hatte sich der Koch schon vor einem Jahr beworben.

Denn gerade in Deutschland sei man in der gehobenen Küche noch reichlich konservativ. Die obligatorische Shiso-Kresse, die heute auf alle Gerichte gestreut wird, ist für ihn kein Wagnis, sondern Einfallslosigkeit. In Frankreich, meint der 27-jährige, sei man da allen Vorurteilen zum Trotz schon viel weiter. Da sei Sterneküche verspielt, nicht zwingend immer mit dem Brocken Fleisch zum Hauptgang, und man gehe ganz selbstverständlich ohne Business-Garderobe essen. Auch für hohe dreistellige Beträge.

Die Entscheidung, das Seven Swans komplett vegetarisch zu bekochen, fiel schon vor eineinhalb Jahren, also noch vor Sawards Zeit. Regional und saisonal hatte man schon vorher gearbeitet, der Verzicht auf Fleisch und Fisch klang noch ein ganzes Stück radikaler: Neben dem Cookies Cream in Berlin war das Restaurant plötzlich eines von nur zwei vegetarischen Sterne-Lokalen in Deutschland - seinen Michelin-Stern konnte es auch nach der Umstellung verteidigen. Im Restaurantführer Gault & Millau steht es mit 13 Punkten.

"Wir hatten schon seit einigen Monaten überlegt, wie wir eigentlich das nutzen können, was wir ohnehin schon haben: die Braumannswiesen", erzählt die Geschäftsführerin Denise Omurca. Die eigene Anbaufläche vor den Toren der Stadt ist mit vier Hektar für ein einzelnes Restaurant recht großzügig. Eine Entscheidung für die Autarkie und nicht gegen irgendetwas, so Omurca. Ökonomische Gründe will sie nicht gelten lassen: Vegetarisch und eigener Anbau mit Stern klinge zwar gut, schraube aber auch die Erwartungen von Gästen und Testern hoch.

Was nicht vom hauseigenen Acker kommt, sammelt Haward selbst. Wildkräuter, Waldfrüchte oder Blüten - eine gute Ergänzung zur festgelegten Ausbeute vom hauseigenen Acker. Milch und Käse werden aus der Region vom Biohof zugeliefert, ansonsten gibt man sich eisern: Sogar zugekaufte Gewürze, Zitronen oder Olivenöl sind ein No-Go.

Um das nicht als Mangel zu empfinden, ist auch der Gast gefragt. Im Seven Swans will man keinen Ersatz für Fleisch und Zugeliefertes bieten, sondern zum Beispiel dies: Serviert werden sechs Gänge und diverse Grüße aus der Küche - einiges davon, wie das hausgemachte Kräuteröl zum knusprig selbstgebackenen Knäcke, die kräftige braune Jus, das Erbsensorbet sprengen jegliche Beschränkungserwartungen mit so vielen Aromen, dass es schwerfällt zu glauben, all dies sei tatsächlich ohne jegliche Extras entstanden.

Gerichte, die aus nur einer säuerlichen Gemüseart bestehen, sind geschmacklich eine größere Herausforderung. Selten, wie bei der Pastinake mit Gurke und Senf, gerät das puristische Konzept ein wenig an seine Grenzen: Dem säuerlichen Ton-in-Ton verleiht auch der selbstgemachte Blütenzucker keine zusätzliche Note. Aber auch hier: Drei Gäste am Tisch, drei Meinungen.

Eine Straße aus Brausepulver und Birnenpüree

Zwischendurch gibt's Gimmicks: Eine Straße aus Brausepulver und Birnenpüree, das ohne Besteck vom Teller geleckt wird. Oder einmal alles Kartoffel: gebacken in Erde, gewaschen in Kartoffelwasser, serviert mit Kartoffelcreme und Giersch. Manchmal sieht man Saward aus der Küche unterm Dach auf die Gäste herunterblicken. Er winkt. Und fragt gleich nach, wenn das Dessert - heute Rote Bete als Eis und Sorbet mit Einkorn und rohem Keksteig - schon ohne Gäste auf dem Tisch schmilzt: Dann lieber eine neue Portion. Die perfekte Konsistenz nimmt er persönlich.

Was Ricky Saward - übrigens selbst kein Vegetarier - und seine Souschefin eventuell an Zeit für aufwendige Fisch- und Fleischzubereitung einsparen, wird vor allem in Planung und Ideenfindung investiert: Wer in einem halben Jahr ernten will, der muss jetzt die Saatgutfolge festlegen - und eigentlich auch schon überlegen, wie Obst und Gemüse anschließend zubereitet, fermentiert oder eingeweckt werden sollen. Und wenn eine Ernte einmal ausfällt? Dann sei das eben so, meint Saward.

Wo knappe Verfügbarkeit faktisch kaum noch existiert, legt man sich eigene Beschränkungen auf - und schaut dann, wo die Reise hingeht. Ein bisschen viel Planspiel oder der nötige Drive, den man in der Sterneküche so benötigt? "Wir haben in jedem Fall alle einen an der Waffel, " resümiert der Chefkoch. Bald beginnt die Testsaison für den neuen Guide Michelin. Auf das Ergebnis ist er sehr gespannt, abhängig machen möchte er seine Arbeit davon nicht. Dafür ist er zu neugierig.

Seven Swans, Mainkai 4, 60311 Frankfurt am Main, Tel. 069 219 962 26. Geöffnet dienstags bis samstags ab 19 Uhr. Sechs-Gänge-Menü 89 Euro

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