"Ruin & Redemption" (deutsch: Untergang und Auferstehung) ist ein Buch über Architektur in all ihren Schicksalszuständen: verschwunden, vergessen, umgewandelt und neugedacht. Besonders gut scheint Ihnen aber das Dazwischen zu gefallen, also der Zustand, in dem noch alles möglich scheint - oder?
Ich war lange in die Vorstellung verliebt, Ruinen besäßen magische, abenteuerliche Eigenschaften. Es liegt etwas Grundlegendes in dieser Faszination: Verlassene Orte wecken das neugierige Kind in uns, das nach den Ursprüngen und nach der Geschichte dieser Strukturen fragt. Als ich vor einem Jahrzehnt die "Lowline" ins Leben rief, lernte ich plötzlich viele Menschen kennen, die genau diese kindliche Faszination in Taten umgesetzt haben. Diese Geschichten wollte ich erzählen, und vor allem: sehen, wo sie schließlich hinführen.
Die "Lowline", Ihre Idee für einen unterirdischen Park in einem alten U-Bahn-Schacht auf Manhattans Lower East Side, wird auch in dem Buch vorgestellt.
Mein ursprünglicher Gedanke drehte sich darum, Kunst in die New Yorker U-Bahn zu bringen - und zwar auf eine ebenso flexible wie flüchtige Weise.
Über ein Versuchslabor, das die technische Machbarkeit demonstrierte, kam das Projekt nie hinaus. Was ist passiert?
Sagen wir so: Ich habe inzwischen eine sehr viel klarere Vorstellung von den technischen, juristischen und politischen Herausforderungen, die Kunstprojekte im New Yorker U-Bahn-System mit sich bringen. Ich würde liebend gern irgendwann zu diesem Projekt zurückkehren, aber aktuell hat die NYC Subway ganz andere strukturelle Herausforderungen zu meistern.
Wird es die "Lowline" jemals geben?
Hoffentlich.
Ihr Buch ist streckenweise eine Liebeserklärung an Architektur, gerade auch an solche, die den Kampf gegen den drohenden Abriss verloren hat. Welches Bauwerk hätten Sie gern noch mit eigenen Augen gesehen?
Das Gebäude, von dem ich als New Yorker wohl am meisten gewünscht hätte, es noch zu Lebzeiten zu erleben: die alte Penn Station, die 1963 abgerissen und durch ein wahrhaft deprimierendes Reisezentrum ersetzt wurde. Außerdem habe ich bisher noch keines dieser kommunistischen Bauwerke und Monumente in Osteuropa besucht - aber ich hoffe, zumindest bei einigen kann ich das noch nachholen.
In Frankfurt gibt es die "neue Altstadt", eine Art historistische Version ihrer selbst, wenn auch mit einigen neuen Elementen. Die wurde vielfach als "Disneyland" verschmäht - ist aber immer gut besucht. Woher kommt das Bedürfnis nach neuer Architektur, die alte imitiert?
Ich hatte ein ganz ähnliches Erlebnis, als ich vor einigen Jahren in Münster war: Eine wunderschöne, aber doch reimaginierte und somit künstliche Altstadt. Ich kann den Impuls hinter solch einer Gestaltung sehr gut verstehen: Sie greift zurück auf eine irgendwie glorifizierte Zeit und zelebriert eine Architektur, die tief in ihren Bewohnern verwurzelt war.
Klingt doch gut.
Die Ironie dahinter ist: Diese Baustrukturen können sich niemals ganz authentisch anfühlen. Es wird niemals diese Verbundenheit geben, die man bezweckt. Wenn wir uns von der Vorstellung lösen, dass wir die Vergangenheit zurückholen können, aber ihre Architektur vielleicht in einer Art Hommage wieder aufgreifen und würdigen lernen - vielleicht sind wir dann freier, auch das Neue schätzen zu können. Ohne die Vergangenheit deshalb zu vergessen.
Sie plädieren dafür, Menschen stärker an der Stadtplanung zu beteiligen. Gibt es Momente, in denen Sie sagen würden: Nein, wir müssen dieses Gebäude gegen die Mehrheit verteidigen, auch wenn die es als Schandfleck betrachtet? Oder umgekehrt?
Wir haben ein Sprichwort, das lautet: "Wenn du zehn New Yorker nach ihrer Meinung zu irgendetwas fragst, wirst du zehn sehr unterschiedliche Meinungen bekommen." Wer darf entscheiden, was eine Rolle spielt und was nicht? Wer bestimmt, was gutes öffentliches Design ausmacht? Oft ist es unmöglich, einen Konsens zu finden. Letztlich müssen Designer, Architekten, Stadtplaner und die Gemeinschaft aber immer Kompromisse eingehen. Das macht diese Arbeit so spannend.
Oft entscheidet das Geld, wie bei den Hudson Yards in New York, ein "Spielplatz der Superreichen", wie sie genannt werden. Anders scheint es heute kaum noch denkbar, oder?
Ich bin überzeugt, dass Stadtverwaltungen die Verantwortung haben, die sozialen Auswirkungen ihres Städtebaus zu berücksichtigen - sehr viel tiefergehend, als dies heute geschieht. Denn diese Areale sind nicht bloß Schalthebel, um möglichst viele Steuern einzunehmen. Sie sind Gebäude und Straßenzüge, in denen Menschen leben, arbeiten und sich mit anderen austauschen werden! Es gibt eine Menge schlechtes, unverantwortliches Design dort draußen, und es gibt eine Menge Entwickler, die nicht annähernd eine Ahnung davon haben, aus wie viel Habgier sich ihre Arbeit speist.
Was schlagen Sie vor?
Wann immer Gemeinschaften aufrichtig miteinbezogen werden und wirklich kreative Gestalter die Balance suchen zwischen kommerziellen Zielen und den oft chaotischen Interessen aller Mitglieder einer Gesellschaft, auch der wehrlosen - dann können wir das beste Ergebnis erwarten.