So klinisch, fast ätherisch Rams´ Produkte auf den ersten Blick wirken, so sehr glaubt er an die Notwendigkeit, Dinge sinnlich erfahren zu können. Die Digitalisierung stimmt Rams erstaunlich pessimistisch: Er kann nicht ganz begreifen, was sich da in den Hirnen verändert, aber dass sich etwas verändert, ist für ihn eindeutig.
Dieter Rams ist überrascht: So viele Menschen! „Ich hoffe natürlich, Sie sind nicht nur wegen meiner Person hier, “ meint der vielleicht berühmteste Industriedesigner der Welt zum Publikum, das sich an diesem Abend zur Deutschlandpremiere des Filmporträts über ihn zusammen gefunden hat. Denn seine Überzeugung, was gutes Design auszeichnet, „weniger ist mehr“, die ist ja auch heute gerade wieder brandaktuell. In den USA wurde „Rams“, der Film von Gary Hustwit, gerade vor über 2000 Leuten gezeigt.
Hustwits Hommage an die Schriftart Helvetica im Jahr 2007 hat ihm zu einiger Bekanntheit verholfen, nach Arbeiten über die menschliche Beziehung zum Produkt legt er nun eine Art Fan-Film über Dieter Rams vor. Der hatte es nicht weit zum Frankfurter Museum für Angewandte Kunst, wo heute eine der wenigen öffentlichen Vorführungen von „Rams“ in Deutschland stattfindet: Er lebt im benachbarten Kronberg im Taunus.
In Kronberg prägte Rams als Kopf des Designteams 40 Jahre lang die Produktgestaltung bei Braun, hier wohnt er bis heute in einem von ihm selbst entworfenen, modernen Bungalow, der mit japanisch angehauchtem Garten in Hanglage einen Hauch von Tokyo und Los Angeles verströmt. Hustwit hat ihn hier immer wieder besucht, ist mit Rams nach London zu Vitsœ gereist, deren Systemmöbel er bis heute gestalterisch überwacht, oder zu einer Ausstellungseröffnung nach Weil am Rhein.
Es ist vielleicht vor allem die Sehnsucht nach Beständigkeit, nach Ordnung in unübersichtlichen Zeiten, die Dieter Rams Arbeit heute wieder so attraktiv für viele Menschen macht. Rams und seine Frau Ingeborg sind selbst das beste Beispiel für die Langlebigkeit der Ramschen Entwürfe, in jeder Hinsicht. Alles sieht noch exakt so aus wie beim Hausbesuch eines amerikanischen Filmteams in den 70er Jahren bei „Mr. Braun“; alles gehorcht funktionalen Prinzipien, viel Weiß, wenig Schnickschnack, und natürlich stehen auch die selbst entworfenen Braun-Produkte im Regal. Einer der wenigen Farbtupfer im gesamten Haus: Eine knallrote „Valentine“, legendäre Schreibmaschine des italienischen Designers Ettore Sottsass, auf der Rams bis heute seine Ideen niedertippt.
Dass Rams‘ Entwürfe dabei immer das Ergebnis von Teamwork waren, zeigt dieser Film: Hustwit fängt jeden einzelnen Kollegen ein, der am Gestaltungsprozess beteiligt waren, von der Ideenfindung bis zur Fertigung der ersten Prototypen. Wer heute noch lebt, erzählt in Interview-Ausschnitten begeistert von der Zusammenarbeit mit dem jungen Architekten Dieter Rams, der plötzlich Industriedesigner geworden war. Besonders eng der Austausch mit dem Niederländer Hans Gugelot, der Design ebenso wie Rams als Verbesserung und fernab jeglicher Schönheitsfragen betrachtete.
Dazwischen Dieter Rams höchst selbst, im Rams-Signature-Look, den er auch an diesem Abend trägt: Hornbrille, Cord-Jackett, aufgewecktes, mit 86 Jahren noch immer irgendwie altersloses Gesicht. Ob gewollt oder nicht, der charismatische Designer ist ebenso Ikone geworden wie seine Produkte: das Transistorradio T3, der Plattenspieler SK4, dem Rams mit Plexiglashaube, auf der Oberseite angebrachten Knöpfen und Wänden aus seiner geliebten Buche einen Platz im Designolymp verschaffte. Wäre es nach ihm gegangen, dann hätte Braun die Gebrauchsanleitungen komplett abgeschafft: Rams‘ Ziel war es, Geräte so zu gestalten, dass ihr Design bereits die Nutzung vorgibt. „Weniger, aber besser,“ an diesem Credo hält der Kronberger bis heute fest.
So klinisch, fast ätherisch Rams‘ Produkte auf den ersten Blick wirken, so sehr glaubt er an die Notwendigkeit, Dinge sinnlich erfahren zu können. Die Digitalisierung stimmt Rams erstaunlich pessimistisch: so ganz kann er nicht begreifen, was sich da in den Hirnen verändert, aber dass sich etwas verändert, ist für den Industriedesigner unstreitig. Seine Erklärung lautet etwa so: Wo die Bilderfluten niemals abreißen, da werden grenzenlose Konsumwünsche verankert, die eine fortwährende Produktion überflüssiger Dinge befeuern.
Herrlich die leidenschaftliche Kollegenschelte, die Dieter Rams im Schaudepot des Vitra-Designmuseums vorführt: Das hier, Verweis mit dem Gehstock auf einen Designklassiker, scheint mir völlig überflüssig, viel zu verspielt. Zu viel Schnickschnack, Dekor, Unsinn! Aber auch George Nelsons kunterbuntes Marshmallow-Sofa von 1956 erntet Kritik: „Ich mag den Nelson ja sehr gerne, aber ich hab nie verstanden, was das hier soll.“ Man müsse, so Rams später milde, auch nicht alles mögen.
Wenig überraschend, dass sich Dieter Rams in Japan sehr wohl fühlte. Von dort hat er die Liebe zum Steingarten mitgebracht; der Kameramann fängt ihn beim Schneiden seiner Bonsaibäumchen ein. Umgekehrt weiß man Rams‘ Produkte ebendort sehr zu schätzen: Ehrfürchtig hält Designer Naoto Fukasawa das T3 in den Händen, das er bisher nur aus den Lehrbüchern kannte, dieses perfekte Drehrad, die vollendete Reduktion. Die Ähnlichkeit zum iPod ist unübersehbar. Vielleicht, meint Fukasawa, sei Dieter Rams nicht nur der erste Industriedesigner der Welt, sondern auch der letzte.
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