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Critique

Der prächtigste Pfau von allen

Mode & Mensch, Flora & Fauna: Eine komplexe Angelegenheit, wie die Ausstellung "Fashioned From Nature" im Londoner Victoria & Albert Museum zeigt.

Foto Copyright: Victoria & Albert Museum

Lang ist’s her, dass Mann von Welt das Haus nur nebst prächtigem Spazierstock mit
Schildpatt oder Elfenbein verließ – gut 300 Jahre, um genau zu sein. Weil derlei heute aus
guten Gründen nicht mehr selbstverständlich ist, beginnt die Ausstellung im Victoria & Albert
Museum, der unangefochtenen Londoner Sammlung für Design- und Gestaltungsgeschichte,
auch mit einer Warnung: Achtung, die hier präsentierten Objekte können Elfenbein,
Robbenfell oder eben Schildpatt enthalten – Bestandteile von Spezien, die heute unter
Artenschutz stehen und deshalb nicht so ohne Weiteres für menschliche Mode verwendet
werden dürfen.

„Fashioned from Nature“, der unübersetzbar treffende Titel dieser Zusammenstellung,
ermöglicht neue Lesarten der komplizierten Mensch-Natur-Beziehung, hier eben eine der
Modegeschichte. Der Mensch, das verfeinerte Tier: Er war, so scheint es beim Rundgang
durch die Räume, offenbar immer ein wenig neidisch auf die prächtigen Federn, das perfekte
Fell, die irisierenden Farben der Pfauen, Robben, selbst Käfer. Tatsächlich: Schillernde
Käferflügel wurden Anfang des 19. Jahrhunderts als letzter Schrei von Asien nach
Großbritannien exportiert – aufgestickt als Baum- oder Blütenapplikationen verliehen sie
ihrer Trägerin einen Hauch von Glam.

Kleinen Aha-Momenten wie diesen begegnet man in der Ausstellung immer wieder:
Dschungelartige Soundkulissen stellen sich als Stimmen jener Vögel heraus, deren Federn
hier für Hutschmuck, Kragen oder Muffs verwendet wurden. Und auf historischen Plakaten
ist nachzulesen, dass es Umweltproteste durchaus schon im 19. Jahrhundert gab – hier zum
Beispiel gegen die massenhafte Tötung von Fell- und Federtieren für die anwachsende
Modeproduktion.

Doch natürlich spielen auch Pflanzen eine gigantische Rolle in der Entwicklung der Mode,
deren Geschichte ohne Baumwolle, Leinen, Gummi und Co. nicht denkbar gewesen wäre.
Und die, natürlich, wiederum untrennbar mit Handelsbeziehungen, Industrialisierung und
Innovationen verknüpft gewesen ist. Und als man wieder später mit der Erfindung von
Kunstfasern unabhängig von Baumwolle und somit auch von ihrer potentiellen
problematischen Massenproduktion wurde, kamen neue Umwelt- und Gesundheitsprobleme
hinzu.

Inspirieren ließ sich der Mensch immer auf doppelte Weise: Direkt als Ausgangsmaterial und
indirekt als Motiv in Form von Blumen und Blüten oder Seegräsern, Vogeleiern,
Schmetterlingen oder auch einmal als prächtig gestickte Makaken, wie sie hier auf einer
historischen Weste zu sehen sind. Die umfangreiche Sammlung des Hauses bietet unzählige
solcher modischer Kostbarkeiten, die man dankbarer Weise übrigens auch digital finden
kann.

Neue Etage, neues Jahrhundert: Ein Stockwerk weiter ist man modisch im 20. Jahrhundert
angekommen. Hier zeigt sich, was technischer Fortschritt und zunehmende Unabhängigkeit
von tierischen und pflanzlichen Rohstoffen für Design und Dessin bedeuten. Während die
Mode- und Textildesigner so also nicht mehr unmittelbar auf Fell oder Pflanzenfasern
angewiesen sind, breiten sich Flora und Fauna hemmungslos weiter auf den Entwürfen der
Kaufhausketten und Fashionmacher aus.

Und wie damals setzen Designer liebend gern ein Statement: Christopher Kane lässt
Sweatshirts mit Fruchtstempeln besticken, die in ihrer knalligen Überdimensioniertheit nicht
zufällig an menschliche Sexualorgane erinnern. Jean-Paul Gaultier nimmt das Thema „Tote
Tiere als Kleidung“ 1997 wieder auf, indem er ein gesamtes Kleid mitsamt Fellmuster und
Tierkopf anfertigen lässt – die Wildkatze selbst lässt er am Leben, sein Modell kommt ganz
ohne echtes Fell aus. Und dann gab es natürlich auch noch Statements im wörtlichen Sinne:
Slogan-Shirts und Mode-Kampagnen, die auf Umweltprobleme von chemieverseuchtem

Wasser bis zur Fellproduktion aufmerksam machten, mal mehr, mal weniger glaubwürdig.
Bei Vivienne Westwood beispielsweise verkommt die Kleid gewordene Mahnung an den
Klimawandel im selben Atemzug mit einem Konterfei des Whisteblowers (damals noch)
Bradley Manning zur markigen Pose.

Noch einmal Staunen darf man dann im letzten Part von „Fashioned from Nature“: Hier
werden alle nur erdenklichen Formen modernen Upcyclings präsentiert, nicht alle davon
haben Serienreife oder sind überhaupt hierfür gedacht. Eingefärbt und re-used wie bei JW
Anderson: Okay, das kennt man so ähnlich auch schon aus früheren Jahrhunderten. Richtig
High-Tech wird die Modeproduktion durch ausgeklügelte Techniken, die Probleme an der
Wurzel packen sollen – Kunstfasern, komplett aus Plastikflaschen hergestellt, oder garantiert
umweltfreundliche Färbemittel, die aus DNA-modifizierten Mikroorganismen gewonnen
werden. Ob all dies dann wirklich Einzug in die Kaufhäuser und Kleiderschränke hält oder
bloß eine umweltverträgliche Spielart des modischen Luxus darstellt, bleibt abzuwarten.
Dass der Mensch der prächtigste Pfau von allen bleiben möchte? Eh klar!
Bis zum 27. Januar im Londoner Victoria & Albert Museum.