Weinfeld selbst gilt als so wortkarg, dass die Verlagssprecherin vor dem Interview warnt: "Seine Antworten fallen recht knapp aus."
Konnten wir gar nicht finden.
SPIEGEL ONLINE: Herr Weinfeld, trotz Ihrer geraden Linien, trotz Materialien wie Glas oder Beton wirken Ihre Gebäude selten kühl. Man sagt, dass einige Kollegen Sie um dieses Talent beneiden. Was ist Ihr Geheimnis?
Weinfeld: Ich denke, Architektur muss Menschen dazu bringen, bleiben zu wollen. Sie muss nachklingen.
SPIEGEL ONLINE: Das kann vieles bedeuten. Ein wichtiger Aspekt für Sie ist in jedem Fall das Draußen: Was Sie auch bauen, der Dschungel scheint irgendwie immer einen Weg in Ihre Gebäude zu finden. Was stellen Sie mit Umgebungen an, die weniger tropisch sind - wie zum Beispiel in Manhattan?
Weinfeld: Mehr als tatsächlich das Draußen zu genießen, zählt für mich das Verhältnis aus Drinnen und Draußen. An kalten Orten kann man sich vielleicht nicht so viel im Freien aufhalten, draußen aktiv sein. Aber die Möglichkeit zu haben, aus dem Fenster zu schauen und einen netten Ausblick zu betrachten - das finde ich wichtig. Das könnte ein Garten sein, eine Terrasse, das Meer, die Wälder oder einfach nur die Umgebung.
Wohnhaus "Jardim" in Manhattan
SPIEGEL ONLINE: In Manhattan haben Sie das Wohnhaus "Jardim" gebaut, es gehört zu einer Reihe Prestigeprojekte, die den Stadtteil noch weiter aufwerten. Was würden Sie Gentrifizierungskritikern entgegnen, die keine Lust haben, dass sich ihr Viertel radikal verändert?
Weinfeld: Ich halte Diversität für eine sehr positive Sache. Homogenität ist langweilig. Städte sind lebendige Organismen, in ständiger Veränderung. Was wir tun sollten ist: nach Balance, nach Ausgleich zu streben.
SPIEGEL ONLINE: Die Vorstellung, dass reiche und arme Menschen Tür an Tür wohnen, ist ein schöner Gedanke. Aber wie kann diese Balance erreicht werden? Würden Sie auch Sozialwohnungen entwerfen?
Weinfeld: Ich würde mich sehr freuen, ein soziales Wohnungsbauprojekt zu gestalten. Leider wurde ich nie für eines angefragt. Das ist das Problem mit framing, mit Schubladendenken: Du bleibst an einem bestimmten Label hängen. Und man erwartet nicht, dass du jemals irgendetwas anderes machst.
SPIEGEL ONLINE: Sehen Sie sich eigentlich als spezifisch brasilianischer Architekt?
Weinfeld: Nein. Vielleicht, weil ich mich selbst nicht einmal richtig als Architekt empfinde. Aber ich trage Brasilien in mir, kein Zweifel.
SPIEGEL ONLINE: Wenn Sie sich nicht so sehr als Architekt empfinden, als was dann?
Weinfeld: Ich denke, es gibt nur eine Sache im Leben, von der ich etwas verstehe, und das ist das Kombinieren von zwei oder drei Dingen auf eine ganz bestimmte Weise. Das können Leute nennen, wie immer sie wollen.
SPIEGEL ONLINE: Sie halten viel von der brasilianischen Architektin Lina Bo Bardi, deren brutalistische Bauten in den letzten Jahren eine kleine Wiederentdeckung feierten...
Weinfeld: Ja, ich bin ein großer Fan ihrer Arbeit.
SPIEGEL ONLINE: ...aber abgesehen von ihr lassen Sie sich eher von Bands, Büchern und Kunst als von Architektur inspirieren. Wer oder was regt Sie an?
Weinfeld: Die brasilianische Malerin Mira Schendel, die Band Radiohead, der englische Komponist Gavin Bryars, der Filmemacher Lars von Trier, der israelische Choreograf Hofesh Shechter, der argentinische Schriftsteller Julio Cortazar.
SPIEGEL ONLINE: Sie arbeiten seit Dekaden als Architekt. Gibt es irgendwelche Projekte, die Sie heute nicht mehr mögen? Die Sie komplett anders machen würden?
Weinfeld: Alle! Jedes Einzelne. Ich denke, jedes Projekt ist das Ergebnis eines kreativen Prozesses innerhalb des Kontextes, in dem es konzipiert wird - das betrifft nicht nur technische Aspekte und Ressourcen, sondern auch den persönlichen Zustand, in dem sich der Designer befindet.
SPIEGEL ONLINE: Einer der wichtigsten Schlüssel zu guten Entwürfen, sagen Sie, sei es, seinem Kunden zuzuhören. Klingt simpel, aber ist das nicht schwer, wenn man als preisgekrönter Architekt gewohnt ist, Zuspruch zu bekommen?
Weinfeld: Einfach oder schwierig, ich denke, es gibt keinen anderen Weg. Ich könnte niemals etwas entwerfen - ein Haus, ein Geschäft, ein Hotel, was auch immer - für jemanden, dessen Wünsche und Bedürfnisse ich nicht tiefgehend verstanden habe. Und das kann ich nur erreichen, wenn ich wirklich zuhöre, was mein Kunde zu sagen hat.
SPIEGEL ONLINE: Umgekehrt sagt man Ihnen nach, sehr wählerisch zu sein: Nicht nur bezüglich Ihrer Projekte, sondern auch Ihrer Auftraggeber. Wer bekommt ein Isay-Weinfeld-Gebäude?
Weinfeld: Das ist schwer zu sagen, es gibt keine Liste von Dingen, die man abhaken kann. Eine Vertragsunterzeichnung bedeutet, eine enge Beziehung mit jemandem einzugehen, über Jahre - also muss es eine Art gegenseitige Verwandtschaft, Empathie, Vertrauen geben. Und auch Ehrlichkeit, gegenüber mir selbst und meinem potenziellen Kunden. Ich muss zuversichtlich und laut werden können, wenn ich fühle, dass gute Arbeit möglich ist, aber ich muss auch demütig sein und zur Seite treten, wenn ich merke, dass ich das nicht kann.
SPIEGEL ONLINE: Vor einigen Jahren standen noch zwei Gebäude auf Ihrer Wunschliste: ein Bordell und eine Tankstelle. Warum möchten Sie ein Bordell bauen?
Weinfeld: Weil es zwei faszinierende Bereiche vereint: Sex und Fantasie.
SPIEGEL ONLINE: Und, irgendwelche Fortschritte bis jetzt?
Weinfeld: Leider nicht. Ich warte noch immer auf eine passende Gelegenheit.