An Bord der "Sea Eye"
Juso-Chefin Annika Klose wird zwei Wochen lang mit der Crew der „Sea Eye" in Seenot geratene Flüchtlinge retten.
Vergangene Woche wurde die Iuventa, das Schiff der deutschen Nicht-Regierungsorganisation (NGO) "Jugend rettet" in Lampedusa beschlagnahmt. Der Vorwurf der italienischen Behörden: Kontakte zu Schleppern, die Flüchtlinge illegal über das Meer nach Europa bringen. Annika Klose, 25, ist Vorsitzende der Berliner Jusos und wird Mitte August, mitten im Wahlkampf, gen Mittelmeer aufbrechen. Zwei Wochen lang will sie mit der neunköpfigen Crew der "Sea Eye" in Seenot geratene Flüchtlinge vor dem Ertrinken retten. Im Interview spricht sie über ihre Beweggründe und den Vorwurf, dass die Hilfsorganisationen Schleppern ihre Arbeit vereinfachen.
Berliner Morgenpost: Statt in Berlin Flyer zu verteilen und Plakate zu kleben, fliegen Sie Mitte August nach Malta und werden zwei Wochen mit der "Sea Eye" vor der libyschen Küste kreuzen - warum?Annika Klose: Ich habe die Entscheidung bereits Mitte Juni getroffen. Damals gab es wieder vermehrt Berichte, dass viele Menschen auf dem Mittelmeer sterben und die privaten Seenotretter überfordert sind. Ich habe es nicht mehr ausgehalten, nur zu zuschauen, wie dort fast täglich Menschen ertrinken und wollte akut Hilfe leisten. Auf der anderen Seite bin ich natürlich als Politikerin dort: Ich will die Eindrücke vom Mittelmeer mit nach Berlin nehmen. Auch, um dafür zu werben, dass es wieder eine europäische Seenotrettungsaktion geben kann. Denn eigentlich sollte Seenotrettung staatlich organisiert sein, nicht privat.
Was erwartet Sie vor der libyschen Küste?Wir haben aktuell eine höchst schwierige politische Situation. Denn Italien hat angekündigt, in libysche Hoheitsgewässer einzudringen und die Flüchtenden von dort an die libysche Küste zurückzubringen. Die Situation wird deswegen in den nächsten Wochen sehr schwierig. Denn: Die Ankündigung, eine Fluchtroute zu schließen, führt meist dazu, dass der Ansturm erst einmal größer wird und immer mehr Menschen unter noch gefährlicheren Bedingungen die Überfahrt wagen. Wir werden deswegen wahrscheinlich sehr viele Rettungsaktionen haben.
Von offiziellen Stellen in Italien heißt es, dass NGOs mit Schleppern zusammenarbeiten würden - deswegen wurde beispielsweise die Iuventa festgesetzt.Bei Sea Eye ist man sich einig, dass die Schlepper Verbrecher sind - mit denen wollen wir nicht zusammenarbeiten. Wir halten uns außerdem an das Seerecht und außerhalb von Einsätzen konsequent fern von der 20 Meilenzone vor der libyschen Küste. Dass wir beispielsweise durch Lichtsignale mit den Schleppern am Land zusammenarbeiten würden, ist falsch. Das geht rein physikalisch gar nicht. Bei einem kleinen Schiff, wie der "Sea Eye", ist es allein aufgrund der Erdkrümmung und der technischen Voraussetzungen nicht möglich, dass ein Lichtsignal über 20 Meilen bis zur Küste reicht.
Vereinfacht Ihr Engagement nicht trotzdem die Arbeit der Schlepper?Wir leisten humanitäre Hilfe - wir schleppen niemanden, sondern retten Menschen aus akuten Gefahrensituationen. Es gibt aktuell kaum noch staatlich organisierte Seenotrettung, weswegen mittlerweile 40 Prozent der Rettungseinsätze von privaten Helfern ermöglicht werden. Die Alternative wäre, die Menschen ertrinken zu lassen. Es gibt außerdem Studien, beispielsweise von der Universität Oxford, die belegen, dass die Anzahl der Hilfsorganisationen keinen Einfluss hat, auf die Anzahl der Flüchtenden - die bleibt ungefähr gleich, egal wie viele Boote vor Ort sind. Es sterben aber mehr Menschen, wenn es weniger Retter gibt."
Warum kritisiert beispielsweise Innenminister Thomas de Maiziere dann die Arbeit der NGOs?Ich glaube, dass es da um die Sorge geht, dass wieder mehr Geflüchtete nach Europa kommen. Wenn mehr Menschen vor dem Ertrinken gerettet werden, sind auch mehr Menschen in Europa und die Frage nach der Verteilung der Geflüchteten ist ja immer noch völlig ungeklärt. Letztendlich wird durch die Kriminalisierung der NGOs in Kauf genommen, dass mehr Menschen sterben.
Was halten Sie von dem Plan der völkischen "Identitären Bewegung", die flüchtenden Menschen in Seenot zu retten und nach Libyen zurückzubringen?Die Menschen nach Libyen zurückzubringen, verstößt gegen die Genfer Flüchtlingskonvention. Geflüchtete dürfen nicht in Gebiete zurückgebracht werden, die als unsicher gelten. Libyen ist kein sicherer Staat. Es gibt keinerlei staatliche Autorität, die mehr als 30 Prozent des libyschen Territoriums kontrollieren kann. Menschenrechte sind massiv bedroht. Die Geflüchteten haben deswegen das Recht, in Europa einen Antrag auf Asyl zu stellen."
Haben Sie Sorge vor einem Aufeinandertreffen mit den "Identitären"?Die "Identitäre Bewegung" ist eine radikale rechte Organisation, aber ich lasse mich von denen nicht einschüchtern. Bereits jetzt im Vorfeld sehe ich mich massiven Anfeindungen ausgesetzt: Das geht von Gewaltandrohungen bis zum Wunsch, dass ich auf dem Mittelmeer ertrinken möge. Ich würde denen durchaus zutrauen, dass die das in reale Angriffe auf hoher See umsetzen.
Sie sind Funktionärin einer der beiden deutschen Regierungsparteien. Ist Ihr Einsatz auf dem Mittelmeer nicht Zeugnis eines völligen Politikversagens?Das Zeugnis eines völligen Politikversagens auf europäischer Ebene. Definitiv. In meiner Partei ist der politische Wille aber durchaus da, dass zu ändern und an einem europäischen Programm zur Seenotrettung zu arbeiten. Mit der CDU halte ich das aktuell aber nicht für durchsetzbar.
Ist Ihr Einsatz mitten im Wahlkampf deswegen auch ein politisches Signal an die Parteispitze?Ja, das Thema muss eine höhere Priorität haben. Dadurch, dass ich die Aktion öffentlich begleite, hoffe ich, dass ich die Not der Menschen auf dem Mittelmeer wieder stärker in das politische Bewusstsein meine Partei rücken kann. Ein Satz dazu in einem Wahlprogramm von 120 Seiten ist einfach nicht genug.
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