Der deutsche Bildhauer und Zeichner Thomas Schütte zählt zu den erfolgreichsten deutschen Künstlern der Gegenwart: Goldener Löwe in Venedig 2005, zahlreiche Documenta-Teilnahmen, Ausstellungen in Amsterdam, London, Madrid, Paris. Jetzt zeigt er sein Werk im Kunsthaus Bregenz auf vier Stockwerken.
Er hat sein eigenes Grab modelliert. "Thomas Schütte, geboren am 16.11.1954, gestorben am 25.3.1996" - so steht es auf einem blutroten Grabstein (in Playmobilgröße) gleich am Treppenaufgang der Ausstellung.
"Gemacht ist das in den 80er Jahren, also lange davor, und er wäre 42 gewesen. Er hat gesagt: ‚Menschen sterben in dem Alter", erklärt Museumsdirektor Thomas D. Trummer. Schon in jungen Jahren erregte der Zeichner, Bildhauer und Architekt Schütte Aufsehen: "Er hat noch studiert, gleichzeitig war er einer, der ganz früh schon internationale Ausstellungen hatte. Er war bei Westkunst, die Ausstellung der 80er Jahre, da war er schon als 25-Jähriger dabei. Und hier ironisiert er natürlich auch deutsche Biederkeit. Das ist ja wie ein Einfamilienhaus, ohne Architektur, nur ein Baumeistergebilde.“
Großer Künstler, wenig Worte
Heute ist Schütte 64 Jahre alt, hat sein fiktives Todesdatum um gut 20 Jahre überlebt - und befindet sich im Zenit seiner künstlerischen Lebendigkeit, ein Mann großer Worte ist er aber auch nach fast einem halben Jahrhundert im Kunstbetrieb nicht: "Die Arbeit war einfach, pro Etage ein Tag, nur dann pro Tag acht Stunden Reden, das ist zu viel für mich", sagt Schütte über den Aufbau seiner Ausstellung in Bregenz, die er quasi selbst konzipiert und kuratiert hat. Im kubusförmigen Kunstbau, diesem schillernden Natur-Licht-Körper aus Glas und Beton, einem Meisterwerk der Architektur von Peter Zumthor, hatte er freie Hand, zeigt auf vier Stockwerken die Vielfältigkeit seiner künstlerischen Arbeit. Es gibt wohl kaum einen besseren Ort dafür. Museumsdirektor Trummer über die Vorbereitungen: "Einmal als er kam, Monate zuvor, saßen wir im Restaurant und er lässt sich vom Kellner eine Serviette geben, malt das Kunsthaus auf, drei Geschosse, wie Kinder das machen würden - und schreibt: Männer im Wind, Modelle, Frauen. Das war es.“
Viele Interpretationen
Wie eine Gruppenausstellung mehrerer Künstler mutet die Schütte-Ausstellung nun an. Im Erdgeschoss: Holzschnitte, mit grober Struktur und einfacher Geometrie, die an den Magischen Realismus und Architekturen von Giorgio de Chirico erinnern. Menschenleere, monumentale und mystische Orte, die im zweiten Stock bei den Modellen, wo auch das Grab steht, ihre Fortsetzung finden: Die bunten "Ferienhäuser für Terroristen" wirken wie eine fröhliche, psychedelische Spielart des Bauhaus; in "Basement" führen Holztreppen in unergründliche Tiefen - unserer Psyche, kollektiver Ängste oder ganz realer Kellerabteile?; und "Bunker", die wie eine Nase oder ein Auge aussehen, fragen nach der Beschaffenheit, nach der vermeintlichen Unerschütterlichkeit unserer Sinne, unseres Körpers. Sein Werk lässt viele Interpretationen zu, aber der Künstler selbst interpretiert sein Schaffen nicht.
In der Tradition von Richter
Es ist der Eklektizismus, der Schüttes Arbeitsweise kennzeichnet. So auch im ersten und dritten Stock bei den Skulpturen. Erst die geschundenen Frauen: amorphe, deformierte Körper, auf Seziertischen, aus Aluminium, Bronze oder Stahl, eine Tonne schwer, die Regeln klassischer Bildhauerkunst pervertiert er. Dann die Männer im Wind, nach ganz ähnlichem Prinzip: riesige Anti-Helden, die verkrüppelt und verloren ins Nichts schauen.
Immer wieder scheint der Einfluss der großen deutschen Nachkriegskünstler - Richter, Baselitz, Polke - durch, meint auch Direktor Trummer: "Er ist Schüler von Richter, und der ist eine Referenzfigur. Natürlich hat Richter wenig in der Skulptur gemacht und Schütte sieht sich schon als Raumkünstler, aber die Probleme mit der Farbe, der Farbtafel, dem Umgang mit der Identität und deutschen Geschichte und der Ästhetik der Nazis - all das schimmert durch."
Gegen-Architekturen
Letztlich bricht Schütte immerfort das Monumentale, er deformiert und ironisiert das Heroenhafte und dekonstruiert damit jegliche Form von repräsentativer Machtarchitektur, die er viel mehr ins individuell-psychologische wendet.
Wenn dann vor dem Kunstbau ein Mann sein amputiertes Gesicht in der Hand hält, ist es wohl genau das: ein verlorenes "Wir", das erst einmal sein "Ich" finden muss.
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