1. Stop - Passau:
Eine bunte Truppe. Sanne ist 27, Ärztin und wohnt mit Khalil, Amjad und Maher zusammen - drei Geflüchtete aus dem Irak und Syrien. Arabische Musik zum Frühstück? Muss nicht sein, meint sie und verschreibt bei Krankheit lieber Ingwer-Zitronen-Tee als Antibiotikum. 2015 lernte sie die Drei kennen und half bei der medizinischen Erstversorgung. Die Tür steht in ihrer Sechser-WG immer offen (wirklich!), auch wenn der Nachbar manchmal schimpft. Sanne, du hast mir gezeigt, dass Integration auf Augenhöhe funktioniert.
Deutschland, Du bist… herzlicher und bunter, als ich gedacht habe.
2. Stop - Nürnberg:
Freier Oberkörper, lauter Elektro und eine Bong. "Nenn mich Fritz", sagt er, obwohl das nicht sein richtiger Name ist. Musik, Kunst, Fotografie - er hat viele Talente, aber vielleicht zu wenig Durchhaltevermögen. Zehn Leute in einer WG? Schwierig und ganz sicher nicht sauber. Klappt aber irgendwie. "Wählen gehe ich nicht, keine Zeit", sagt er. Fritz, schick mir doch mal deine Fotos! Die waren wirklich gut…
Deutschland, Du bist… auch verplant und chaotisch.
3. Stop - Steinfeld:
Der Bus fährt dreimal am Tag und hält gleich gegenüber. Anke wohnt mit ihrer Mutter und Pflegeschwester in einem großen Haus mit Garten. "Ich will hier weg", sagt die 18-Jährige. Zum Studium wird sie, wie ihre älteren Geschwister, gehen. Weg vom Dorf. Weg vom ehemaligen Grenzstreifen. Weg von den Nazis. Nach Indien. Die Welt ist groß. Die Familie hat viel erlebt: Flucht aus der DDR, Gefängnis, Verhöre und eine dicke Stasi-Akte. Und Anke erzählt mir, dass Ost und West in Deutschland immer noch ein großes Thema sind, auch an der Schule.
Deutschland, Du bist… immer noch ein gespaltenes Land.
4. Stop - Hamburg/St. Pauli:
Es kracht, es wummert, Sirenen heulen. Die Hubschrauber wecken mich in meinem Zelt auf. Guten Morgen, G20. Ein Haus voller Aktivisten. Einer erzählt von "Bullenhass", zwei Andere sind "einfach so gekommen". Im Fernsehen prügeln Polizisten und brennen Autos. Auch ich gehe auf die Straße. Hier ist es friedlich. "Love and Peace", steht auf einem Plakat. Ein paar Meter weiter steht eine Prostituierte. Dann fliegt ein Stein.
Deutschland, Du bist… nicht immer leicht zu verstehen.
5. Stop - Darmstadt:
Er war Waldorfschüler und Zirkuskind. Heute spielt er Quidditch und engagiert sich bei der SPD. Jan trinkt seinen Tee und sagt: "Junge Themen fehlen in der Politik." Er sitzt im Uni-Parlament, stimmt über Fachschaftsparties und Studienverordnungen ab. Drei Dinge, die er nach der Wahl ändern würde? Er zögert, dafür antwortet sein Nebenmann Phil. Seine Agenda: Erstens Wahlrecht unter 18 Jahren, zweitens keine 5 Prozent-Hürde im Bundestag, drittens mehr Volksentscheide.
Deutschland, Du bist… ja doch richtig engagiert und politisch interessiert.
6. Stop - Leipzig:
"Kann ich anonym bleiben?", fragt er. Im Job sei er schon mal schief angeredet worden. Eigentlich sollte das jetzt kein Thema sein, aber er, der anonym bleiben will, ist schwul. Ist also ein Thema. Trotz Homo-Ehe oder Akzeptanz-Geschwätz. Er sagt: "Ich fühle mich in Deutschland immer noch nicht gleichberechtigt." Er legt sich schlafen, ich bleibe wach, denke nach.
Deutschland, Du bist… irgendwie doch noch homophob.
7. Stop - Görlitz:
Raffael hat keine Heizung und zahlt im Monat 100 Euro Miete. Kalt? Ja, genau. Ich reiße die Augen auf. In München würde ich fünf mal so viel bezahlen. Dabei sind die Häuserfassaden genauso alt und schön. Ein Unbekannter hat 22 Millionen Mark gespendet. Zur Restaurierung. Die Häuser bleiben trotzdem leer, manchmal kommt ein Kamerateam vorbei. Raffael glaubt: „Leerstand ist eine Chance.“ Er will, dass junge Menschen hier bleiben, engagiert sich in einem Jugendring, sie sind eine Gemeinschaft. Raffael wird bleiben. Denn Heimat ist, wo die Freunde sind.
Deutschland, Du bist… großzügig und gleichzeitig sehr bescheiden.
8. Stop - Berlin:
Clubmate und Seconhand. Hausbesetzer und Latte-Macchiato-Mamis. Dreckig, laut und durchgedreht. Was soll man über Berlin noch schreiben? Vielleicht, dass es auch schöne und freundschaftliche Ecken hier gibt. Instagramerin Uwa zeigt mir den Viktoriapark, die Bergmannstraße und stylische Fotos, ihr Ex-Freund bietet mir den besten Schlafplatz meiner ganzen Reise an (ja, ein großes, gemütliches Bett!). Später dann auch Politik: Grundeinkommen für Jeden. "Für eine freiere und selbstbewusstere Gesellschaft", sagt Crowdfunder Michael von der Initiative "Mein Grundeinkommen". Er und 100 andere Menschen bekommen bereits 1000 Euro pro Monat. "Wir werden immer mehr", sagt er.
Deutschland, Du bist… eben doch gar nicht so hart, wie du denkst (sorry, Peter Fox).
9. Stop - Stralsund:
Ahoi Ostsee! Am Meer lässt es sich anders atmen. Die Kreidefelsen von Rügen vor Augen, die Schreie der Möwen im Ohr, den Sand unter den Füßen. Tilman, 24, schreibt: "Wenn wir wollten, könnten wir die Erde zerstören." Will er nicht. Er setzt sich für Naturschutz ein und reimt Texte dazu. "Wir haben ja nur diese eine Erde", sagt er. Auch wenn das Bafög manchmal knapp sei, lebe es sich doch ganz gut hier. An seine letzte Wattwanderung erinnert er sich genau. Dann fängt er an zu singen: "Duuumpf-daa-dumpf-daruumpf."
Deutschland, Du bist… grün und wundersam.
10. Stop - Wismar:
Mustafa grillt, Nyriam formt Hackbällchen (Kibbeh) und Ingolf schneidet Tomaten. Auf dem Supermarktparkplatz, etwas abseits der Altstadt, steht ein Küchencontainer auf Rädern. Ein Auto hat falsch geparkt. "Wir bringen Einwanderer und Einheimische an einen Tisch", sagt Agnes vom Projekt "Kitchen on the Run". Es riecht nach Pfefferminz. Was heißt das eigentlich auf Arabisch? Egal. Beim Essen sprechen alle dieselbe Sprache. Guten Appetit!
Deutschland, Du bist… ein Land der Genießer.
11. Stop - Bremen/Templin:
Kühe und ein Kompostklo - nicht weit von hier ist Angela Merkel aufgewachsen. Friederike, 25, kennt die Region um Templin, ist hier auf einem Bauernhof groß geworden. Sie meint: "Landleben macht bodenständig." Die Kanzlerin findet sie "nicht schlecht." Jetzt beim Bier in Bremen an einem Kickertisch vermisst sie Ruhe und Natur. Das Stadtleben? "Hier wird viel mehr konsumiert", antwortet sie und schießt den Ball ins Tor. Also, noch zwei Bier. Friederike lacht. Irgendwann geht sie zurück aufs Land.
Deutschland, Du bist… ein Landei - und das ist ein Kompliment!
12. Stop - Wolfsburg/Fallersleben:
Die Autostadt - ein historischer Ort. Erst schrieb Hoffmann von Fallersleben hier das Deutschlandlied, dann bauten die Nationalsozialisten ein Imperium für Volkswägen und anderes schweres Gerüst. "Einigkeit und Recht und Freiheit… Deutschland, Deutschland, über…“ ach, lassen wir das. Auch Charlotte (27) will davon nichts wissen. "Politik und Geschichten interessieren mich eher nicht", sagt sie, geht zum Sport, checkt ihren Ernährungsplan und ihr Schlafprotokoll. Selbstoptimiert statt kollektiv degeneriert. Ist auch okay. Man muss ja auf sich achten.
Deutschland, Du bist… schön schlank unpolitisch.
13. Stop - Köln:
Vom Problemviertel Chorweiler zu den Reihenhäusern nach Klettenburg. "Wir müssen reden", sagt Fabio, "wir alle!" Er und seine Kollegen von "Köln spricht" sehen die Schwierigkeiten des Landes weniger bei den Obdachlosen auf der Straße, sondern in verschlossenen Türen und langen Zäunen. "Der AfDler muss mit dem Muslim reden", meint er, während wir an einer Schrebergartensiedlung vorbeilaufen. Hoch oben weht Schwarz-Rot-Gold. Nicht Parteipolitik, sondern gesellschaftliches Zusammenkommen löst die Probleme. Wie in Köln-Ehrenfeld, einem hippen Bezirk, wo jeder mit jedem beim Bier sitzt. Mein Gastgeber Conny, 30, breitet die Arme aus: "Willkommen!" An der Kreuzung steht die umstrittenste Moschee Deutschlands, "Salam" auf einem Plakat davor.
Deutschland, Du bist… - lass uns darüber erstmal diskutieren!
14. Stop - Duisburg:
"So schlecht ist es hier gar nicht..." Sandra und Andre verteidigen immer wieder ihre Heimatstadt, dieses "potthässliche Loch" - und müssen selbst darüber lachen. Duisburg! Es gibt Schlimmeres. Zum Beispiel: Sandra, 22, ist hier geboren, studiert Politikwissenschaften, hat aber immer noch keinen deutschen Pass und verzweifelt an der Bürokratie. Eine Wahl? Hat sie nicht.
Deutschland, Du bist… nicht wählerisch.
15. Stop - Saulheim:
Ein Weinberg, ein Winzer. Max ist 26 und hat große Pläne, will das Familienunternehmen weiterführen. Für ihn heißt das, viel Arbeit, viel Verantwortung, viel Gestaltungsmöglichkeit. Jeder Wein ist so gut wie Max selbst. Qualität und Nachhaltigkeit sind ihm besonders wichtig. Was die Politik angeht: Für die vielen Subventionen hat er nur wenig Verständnis, für die Auflagen und bürokratischen Regelungen noch weniger. "Du kannst dir denken, welche Partei ich als Unternehmer wähle", sagt er - und tischt Wurst, Käse und Schwarzbrot auf. Und dann sind da eins, zwei, drei, … acht Flaschen Wein. Prost!
Deutschland, Du bist… deines eigenen Glückes Winzer.
16. Stop - Saarbrücken:
Lea, 18, war nackt Wahlkampf machen, jetzt sitzt sie mit mir im Café und spricht über die anstehende Wahl: "Vielleicht gelingt mir eine Überraschung." Lea ist die jüngste Bundestagskandidatin und Mitglied in der Piratenpartei. Von schlechten Umfragewerten will sie nichts wissen. Stattdessen spricht sie über Inhalte: Datenschutz, Netzneutralität, Kinderwahlrecht, Grundeinkommen - alles Themen, die ihr bei den etablierten Parteien zu kurz kommen. Warum sie Politik macht? "Ich bin politisiert aufgewachsen", sagt sie. Dann geht’s zum Landtag.
Deutschland, Du bist… jung und willst da rein!
17. Stop - Heidelberg:
Ruben, 23, ist erst um 22 Uhr zu Hause. Ein Zimmer, ein Bett, eine Couch. Bad, Toilette und Gemeinschaftsküche sind auf dem Gang. Er arbeitet als Krankenpfleger in einem der renommiertesten Krankenhäuser in Deutschland. "Ein harter Job", sagt er - "manchmal wünsche ich mir mehr Anerkennung". Er verdient 900 Euro netto im Monat, in der Wohnung bröckelt der Putz von der Decke. Ruben erzählt von Alzheimer-Patienten, von Organspende und dem Tod. "Lange halte ich das nicht durch", meint er. Er will Medizin studieren und Arzt werden.
Deutschland, Du bist… bewundernswert.
18. Stop - Göppingen:
Die Couch im Büro ist grün - was sonst?! "War gar nicht so einfach diese Farbe zu finden", meint der Grünen-Politiker Alexander Meier, 26, Landtagsabgeordneter in Baden-Württemberg. Meier merkt, dass das Interesse der Jungen an Parteien nachlässt. Er sei da irgendwie reingerutscht. Stuttgart21, na klar! In den Schulen müsse man ansetzen, um den Jungen Politik zu erklären. Und viel reden. Immer. Aber er möchte jetzt auch nicht "den Schlaumeier" geben. Und er habe auch kein Allheilmittel parat. Meier wird auf der Straße erkannt, ein Gruß, ein bisschen Smalltalk. Dann ein Bier im Biergarten um die Ecke. Jamaika-Koalition nach der Wahl? Meier schüttelt den Kopf. Er habe mit einem Freund gewettet. "Es bleibt bei einer Großen Koalition", glaubt er.
Deutschland, Du bist… - schon in jungen Jahren - pragmatisch, praktisch, gut.
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