Es tut sich einiges in Frankreichs Start-up Szene. Blablacar, Les Piaules und Moneytis sind drei jener Namen, die im Gründerhype der vergangenen Jahre europaweit bekannt wurden. Paris nennen heute viele das „Silicon Valley Europas". Doch auch abseits der urbanen Zentren, in strukturell schwächeren und ländlichen Regionen wie dem Grand Est, bündeln Unternehmen ihre Kräfte, um vom Start-up-Trend zu profitieren. Im Interview spricht Frédéric Schnur, Präsident von Grand Est Numérique und Mitglied des Start-up-Hubs LORN'n'TECH über regionale Besonderheiten, grenzüberschreitende Kooperation und das besorgniserregende Defizit an Frauen in der Branche.
Herr Schnur, Sie sind Präsident von Grand Est Numérique und Mitglied bei LOR'n'TECH. Für jemanden, der sich in der Branche nicht so gut auskennt: Worum handelt es sich?
Grand Est Numérique (GEN) wurde 2013 von 12 Unternehmen gegründet. Die Idee dahinter war, Unternehmen im High-Tech-Bereich zu versammeln. Die Branche war damals sehr zersplittert, es gab viele Akteure, aber keinen gemeinsamen Treffpunkt. Unsere jährliche Veranstaltung #GEN findet diesen September zum siebten Mal statt. Sie gibt den Unternehmen eine Plattform, um sich mit Politik und Wirtschaft auszutauschen und zu vernetzen. Das Event ist stetig gewachsen, in der Zwischenzeit hat die Regierung mit der berühmten Initiative FRENCH TECH auch ein Label für Start-up-Zentren geschaffen. Wir haben uns entschieden, uns für dieses Label zu bewerben und haben LOR'n'TECH gegründet. Die erfolgreiche Bewerbung zeigt, dass wir in der Lorraine alle Parameter und Kriterien erfüllen. LOR'n'TECH ist ein zentraler Punkt, an den sich Start-ups bei Fragen des Marktzugangs, der Vernetzung und der Finanzierung, aber auch bei rechtlichen Fragen wenden können.
LOR'n'TECH ist in vier Städten aktiv: Épinal, Metz, Nancy, Thionville. Was bieten diese Städte?
Jede dieser Städte hat je ein Gebäude, das wir "Totem" nennen, wo sich Start-ups treffen können. Unser nächstes Event, "AI now", findet am 15. März in Metz statt. An zwei Tagen veranstalten wir Workshops, Konferenzen und Diskussionen zum Thema Künstliche Intelligenz. Und sonst tut sich eigentlich jede Woche etwas.
Wie genau funktioniert die Zusammenarbeit zwischen GEN und LOR'n'TECH?
Wir haben uns schlichtweg das Leben vereinfacht. Indem LOR'n'TECH ausschließlich mit Start-ups in Kontakt tritt, konzentriert man sich hier auf die Beschleunigung und Internationalisierung ihrer Aktivitäten und strategische Besonderheiten von Start-ups, die sehr schnell in sehr große Märkte eintreten. GEN arbeitet daneben mit Unternehmen aus allen anderen Sektoren, die nicht zwangsläufig Start-ups sind. Im Moment arbeiten wir mit FRENCH TECH ALSACE an einer gemeinsamen Bewerbung für das neue Label "Capital ". Dort haben wir sämtliche Akteure, mit Start-ups auf der einen, und "normalen "Unternehmen auf der anderen Seite.
Ein Blick auf die Frankreich-Karte zeigt, dass andere Regionen noch dynamischer sind, vor allem an der Küste und in urbanen Zentren. Im Elsass beispielsweise gibt es bisher kein Zentrum mit eigenem Start-up-Label. Hinkt die Region hinterher?
Das Ökosystem im Elsass existiert und es ist beachtlich und dynamisch. Leider hat sich die Region bei der Bewerbung um das Label nicht entsprechend koordiniert. FRENCH TECH ALSACE hat den von der Regierung geforderten Kriterien leider nicht entsprochen. Es ist nicht so, dass es dort niemanden gibt, ganz im Gegenteil, aber im Norden und Süden gab es zwei unterschiedliche Projekte, die wenig abgesprochen waren. Ich kenne die Details nicht, aber als die Deadline kam, haben sie es nicht geschafft. Die Bewerbung der Lorraine war solide und abgestimmt.
Und im Rest der Region?
In der Champagne ist es anders. Dort hat man die Anziehungskraft von Paris gleich nebenan, was es schwieriger macht. In den Ardennes gibt es interessante Projekte, aber dort hat man sich noch nicht um das Label beworben. Im Hinblick auf die "großen Labels" im Grand Est haben wir tatsächlich nur die Lorraine.
Paris nennt man mittlerweile "Silicon Valley Europas". Ist die Stadt eine zu große Konkurrenz? Oder kann man von ihr profitieren?
Das ist nicht Paris, das ist FRENCH TECH. Wenn man sich die Frankreich-Karte ansieht, dann merkt man, dass es unterschiedliche Möglichkeiten gibt. Sicher, Paris ist die Hauptstadt, aber es gibt viele Aspekte, die man nur in der Region findet. In der Industrie, zum Beispiel, hat Paris nicht das entsprechende Gebiet, besonders bei allem, was Green Tech ist. Es gibt viele Firmen, die sich aufgrund von konkreten Bedürfnissen von Paris entfernen. Grand Est hat zudem eine Besonderheit: Wir sind mit vielen Nachbarländern vernetzt, was in Paris nicht der Fall ist. Wir haben Belgien, Luxemburg, Deutschland und die Schweiz gleich nebenan. Hier in Metz und in der gesamten Lorraine befinden wir uns auf einer Plattform, die es erlaubt, uns mit Klienten wenige Kilometer entfernt auszutauschen. Wir sind in permanentem Kontakt.
Die grenzüberschreitende Kooperation funktioniert also?
Ja, das ist ein territorialer Trumpf, den es in der Form in keiner anderen Region gibt. Niemand hat so viele Landesgrenzen. Zudem haben wir mit Luxemburg und der Schweiz zwei wichtige Finanzzentren in unmittelbarer Nähe.
Gerade erst fand der Internationale Tag der Frauen statt. Im Vorstand von LOR'n'TECH findet sich keine einzige Frau. Ist die Start-up-Szene eine rein männliche?
Das ist ein Thema, das mir am Herzen liegt. Wir versuchen jedes Mal, den Fokus auf die Erhöhung des Frauenanteils in der digitalen Sparte zu legen, weil wir glauben, dass das ein wirkliches Problem ist. Es gibt immer weniger Mädchen in jenen Studienrichtungen, die in dieses Berufsfeld führen. Das ist für uns sehr beunruhigend. Daneben gibt es tatsächlich generell wenige Unternehmerinnen, und noch weniger Frauen im digitalen Bereich. Wenn im Vorstand von LOR'n'TECH keine Frauen sind, dann deshalb, weil sich keine Frau beworben hat. Tatsächlich haben wir ein Defizit, aber in ganz Frankreich, in ganz Europa bei Frauen in der digitalen Branche. Das ist ganz eindeutig. Das Problem ist aber nicht die fehlende Repräsentation in den Vorständen, das ist nur die Konsequenz. Das Grundproblem ist, dass wenige Frauen Start-ups gründen.
Aber die Abwesenheit von Frauen in den Vorständen wirkt als weiterer abschreckender Faktor und verstärkt die Exklusion von Frauen in der Branche.
Das Team von GEN besteht aus Frauen, wir haben auch mit Amandine Laveau-Zimmerlé eine Vize-Präsidentin. Aber auch weil wir nicht unbedingt an den Start-up-Bereich gebunden sind.
Das ist also ein spezielles Problem der Start-up-Branche?
Ja, da gibt es kaum Unternehmerinnen. Und weil es sie nicht gibt, besteht auch ein automatisches Ungleichgewicht bei jenen, die sich in Organisationen und Verbänden zusammenschließen. Planen Sie spezielle Events und Aktivitäten, die sich direkt und exklusiv an Frauen richten? Ja, das ist etwas, das GEN schon seit mehreren Jahren macht. Unsere Vize-Präsidentin hat mit FEMINA TECH ein eigenes Projekt gestartet, das ausschließlich Frauen in der High-Tech-Branche zusammenbringt und eigene Events organisiert. Im Herbst findet mit dem " L'Automne numérique " ein solches Event statt. Dort sind dann nur Frauen eingeladen.
Julia Wenzel ist freie Journalistin. Sie schreibt hauptsächlich über europäische, politische und wirtschaftliche Themen.
Copyright: Goethe-Institut e.V.