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Corona in Portugal und Großbritannien: Exilschwaben und ihr Leben in den Delta-Hotspots

Im Frühling stand Portugal coronatechnisch besser da als die meisten Länder in Europa. Nun steigen dort die Zahlen stark an, vor allem in Lissabon und an der Algarve.

Sie kommen aus Stuttgart und der Region, leben aber dort, wo sich die Delta-Variante des Coronavirus schon stark ausgebreitet hat: in Großbritannien und in Portugal. Vier Menschen über Quarantäne, abgesagte Besuche und Wochenenden in abgeriegelten Städten.

Lissabon/Liverpool - Die Vorfreude war groß: Eigentlich hätte Rainer Schellenberger nach vielen Monaten endlich wieder seinen Sohn gesehen. Der wollte seinen Vater in Portugal besuchen. Nun hat er abgesagt. Denn seit wenigen Tagen müssen Deutsche, die in Portugal waren, anschließend wieder für zwei Wochen in Quarantäne. Portugal gilt als Virusvariantengebiet, die Sieben-Tage-Inzidenz im Land liegt bei rund 115, in Lissabon und an der Algarve bei über 250 (Stand Freitag). Die zuerst in Indien identifizierte und bisher bedrohlichste Covid-Variante B.1.617.2 breitet sich rasant aus. Für Menschen wie Rainer Schellenberger ist das nicht nur besorgniserregend, sondern auch persönlich bedrückend, „dadurch reißen familiäre Kontakte ab", sagt der 74-Jährige.


Viel zuhause statt in Cafés wie früher

Rainer Schellenberger ist vor anderthalb Jahren aus Oberstenfeld (Kreis Ludwigsburg) nach Portugal gezogen. In seinem Häuschen, 25 Kilometer nördlich von Porto, hat er die gesamte Coronapandemie erlebt. Nach kurzer Zeit mussten seine portugiesische Lebensgefährtin und er ihr soziales Leben stark einschränken, nach Porto fahren sie zurzeit nicht. „Und früher waren wir viel spazieren, waren im Café, haben Bekannte mit Küsschen rechts, Küsschen links begrüßt.“ Derzeit sei das Paar meistens zu Hause. „Nur im Mai 2020 war ich mal kurz in Deutschland.“ Die momentane Situation erinnere ihn an den Beginn der Pandemie.


Damals galt Portugal als Hotspot. Im Frühjahr 2021 erreichte das Land eine der niedrigsten Inzidenzen Europas. Anfang Mai wurde der Corona-Notstand aufgehoben – doch dann gelangte die Delta-Variante ins Land. Seitdem steigen die Infektionszahlen wieder rasant an und es gelten zunehmend mehr Beschränkungen.

An den Wochenenden wird der Großraum Lissabon abgeriegelt: Menschen dürfen weder rein, noch raus. Außerdem gilt in besonders von Corona betroffenen Regionen seit 2. Juli wieder eine nächtliche Ausgangssperre von 23 bis 5 Uhr. In Lissabon müssen Restaurants, Cafés und Konditoreien an Wochenenden und Feiertagen um 15.30 Uhr schließen, außerdem dürfen innen nur noch vier Personen zusammen sitzen, draußen sechs.


Lissabon ist an den Wochenenden abgeriegelt

Susanne Eichenhofer und Hans-Peter Heilmair erleben dies alles am eigenen Leib. Das Paar kommt aus Stuttgart und lebt seit 25 Jahren in Lissabon. Seit drei Wochen dürfen sie immer von Freitagnachmittag bis Montagmorgen die „Area Metropolitana“, also den Großraum der Metropole, nicht verlassen. „In dem nahe gelegenen Stadtpark kennen wir inzwischen jeden Zentimeter“, sagt Susanne Eichenhofer und lacht. Doch das Lachen der 56-Jährigen klingt ein wenig bitter.


Die Maßnahmen erinnern das Paar an die strengen Regeln, die im Winter galten: Damals war ihr Radius noch kleiner, denn man durfte sich nur innerhalb des eigenen Stadtkreises bewegen. Ans Meer oder in die Berge fahren – was die Menschen in Lissabon typischerweise an den Wochenenden machen – war verboten. Außerdem hatten Gaststätten und Läden zu. „Man konnte praktisch gar nichts machen“, fasst Susanne Eichenhofer zusammen. In Deutschland war das Paar aus Stuttgart zuletzt vor zwei Jahren. „Unsere geplante Reise für diesen Sommer verschieben wir nun zum zweiten Mal“, sagt Hans-Peter Heilmair. Auch mit der Arbeit sei es schwierig: Der 63-Jährige arbeitet als Stadtführer– und Touristen gebe es zurzeit nur wenige. Eine gewisse Schuld für den aktuellen Zustand schiebt Heilmair der Politik zu: „Man spürt nun, dass es mit der europäischen Einigkeit doch nicht so weit her ist.“ Dass in Deutschland Patente für Impfstoffe nicht freigegeben wurden, sei in Portugal nicht gut angekommen. „Außerdem bekommen wir hier mit, wie schlecht die Impfkampagne zum Beispiel in Afrika läuft. Alles, was nicht Europa ist, fällt hinten runter. Das ist ziemlich idiotisch und auch unmenschlich.“


Schuld wird Reisenden zugeschrieben

Und wie erklären sich die Deutschen in Portugal, warum das Land plötzlich wieder so stark betroffen ist? „Ich hab’s kommen sehen“, sagt Hans-Peter Heilmair. „In Portugal besteht ein enger Bezug zu Indien und Großbritannien.“ Ebendort war die Delta-Variante zunächst festgestellt worden, „und in Portugal hat man sich nicht rechtzeitig getraut, die Regeln wieder zu verschärfen.“ Urlauber aus Großbritannien hätten zu lange nach Portugal einreisen dürfen ohne Coronatest, findet auch Rainer Schellenberger. Dazu muss man wissen: Von nirgendwo kommen mehr Urlauber nach Portugal als aus Großbritannien.


In England gab es keine Pflicht zum Tragen von FFP2-Masken

Verena Dursun hat mehrere Vermutungen, warum Großbritannien von der Delta-Variante so hart getroffen wird und momentan eine Sieben-Tage-Inzidenz von deutlich über 200 hat: „Wir bekommen zu spüren, dass noch nicht alle immunisiert sind“, sagt die 37-Jährige, die aus dem Kreis Reutlingen stammt und seit zwei Jahren in Liverpool lebt. In Großbritannien müsse zwischen jeder Impfung – egal ob man Biontech, Astrazeneca oder Moderna bekomme – zwölf Wochen Abstand liegen. Viele im Land hätten zwar ihre erste Impfung erhalten, noch nicht aber die zweite.

Zudem habe es in England nie eine Pflicht zum Tragen von FFP2-Masken gegeben. Oft reiche eine Stoffmaske aus, „das verstehe ich nicht, ich halte FFP2-Masken für sehr sinnvoll“. Inzwischen stellt Dursun auch eine gewisse Pandemiemüdigkeit im Vereinigten Königreich fest: „Viele gehen ganz ohne Maske einkaufen, obwohl an den Ladentüren steht, dass man sie tragen soll und es Durchsagen gibt.“ Panik habe sie trotz allem nicht: „Diese Coronawelle wird nicht so schlimm wie die vorigen“, sagt sie.

Wütend und traurig über die Situation ist sie aber, denn auch für Menschen, die aus dem Vereinigten Königreich einreisen, gilt in Deutschland derzeit eine verpflichtende Quarantäne von 14 Tagen. Zurück in Großbritannien müsste sie ebenfalls in Quarantäne – und Homeoffice ist in ihrem Job in der Modeindustrie schwierig. Zugleich will sie nach mehr als einem Jahr unbedingt mal wieder nach Deutschland, „manchmal fühle ich mich wie im Gefängnis“, gibt sie zu.

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