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Warum es immer weniger Rinder gibt

Obwohl es sich finanziell nicht lohnt, halten Joachim und Susanna Leopold noch einige Tiere. Foto: factum/Granville

Würde man ein Kind bitten, ein Bild eines Bauernhofs zu malen, sähe das Ergebnis wohl ziemlich genauso aus wie der Schwalbenhof in Möglingen im Kreis Ludwigsburg. Obwohl es an diesem Morgen aus Eimern schüttet, fühlt man sich dort wie in der perfekten Idylle: Ein Kälbchen springt übermütig zwischen weidenden Kühen umher. Sonnenblumen wachsen zwischen riesigen, alten Bäumen. Und mit ihren Brillen, den dunkelgrünen Jacken, ihrem Kapuzenpullover und seinem Filzhut erinnern Susanna und Joachim Leopold an ein verliebtes Hipsterpärchen, während sie von Gänsen, Hühnern und Ziegen erzählen. „Wir bilden nicht das realistische Bild eines Bauernhofs heutzutage ab", sagt Susanna Leopold (50). „Es ist schade, dass nur noch so wenige Höfe diesem Ideal entsprechen."


Diese Idylle bewahrt die Leopolds aber nicht vor den Sorgen, mit denen fast alle Landwirte zu kämpfen haben. Kleine Betriebe lohnen sich kaum noch. Sie müssen wachsen, um zu überleben. „Einige Betriebe geben auf, andere übernehmen dann deren Flächen und stocken auf“, erläutert Horst Wenk, der stellvertretende Hauptgeschäftsführer des Landesbauernverbands Baden-Württemberg ist.

Noch halb so viele Rinder wie vor 40 Jahren

Das zeigen auch die Zahlen: Im vergangenen Jahr wurden im Südwesten 33 200 landwirtschaftliche Betriebe mit mindestens fünf Hektar landwirtschaftlich genutzter Fläche gezählt. Zehn Jahre zuvor waren es 49 200 Betriebe gewesen, das ist ein Rückgang von knapp 33 Prozent. Und die Anzahl der Rinder hat sich in den vergangenen 40 Jahren beinahe halbiert: Waren 1979 noch mehr als 1,8 Millionen Rinder im Land gemeldet, waren es laut dem Herkunftssicherungs- und Informationssystem Tier (HIT) 2019 nicht einmal mehr eine Million: knapp 950 000. „Der Druck ist in stark besiedelten Gebieten wie der Region Stuttgart natürlich größer als etwa in Brandenburg“, sagt Horst Wenk. Deshalb sei die Tierhaltung im Allgäu, im Kreis Biberach oder Ravensburg auch noch recht ausgeprägt, dort gebe es noch mehr Platz.

Kühe geben viel mehr Milch als früher

Wenig überraschend ist, dass im Großraum Stuttgart der Landkreis Göppingen die meisten Rinder zählt – auf der Schwäbischen Alb ist der Siedlungsdruck eben weniger stark. Mehr als 30 000 der Tiere leben Kreis Göppingen. Im Rems-Murr-Kreis sind es etwas mehr als 20 000 Rinder, im Kreis Ludwigsburg gut 12 000, im Kreis Böblingen rund 9000, im Kreis Esslingen weniger als 9000 und in Stuttgart noch knapp 900.


Dies hat auch mit der enormen Steigerung der Milchleistung zu tun: Während laut der Statistikplattform Statista eine Kuh um das Jahr 1900 durchschnittlich 2165 Kilogramm Milch pro Jahr gab, waren es im vergangenen Jahr 8250 Kilogramm, das entspricht einer Steigerung von 281 Prozent. Die Tiere wurden so stark hochgezüchtet, dass sie ein Vielfaches von dem an Milch geben, was eigentlich natürlich wäre: nämlich so viel, um ihr Kind, das Kälbchen, zu versorgen.

Überlebensstrategien: größer werden oder Nischen besetzen

Um als landwirtschaftlicher Betrieb überleben zu können, müsse man entweder quantitativ oder qualitativ wachsen, sagt Horst Wenk: Quantitatives Wachstum bedeutet: mehr Fläche, mehr Ackerbau, mehr Tiere. Qualitatives Wachstum könne zum Beispiel gelingen, indem man Nischen besetze oder verstärkt auf Direktvermarktung setze.


Susanna und Joachim Leopold setzen seit 30 Jahren auf Bio. Im Hofladen verkaufen sie ihre eigenen Produkte. Dennoch mussten sie ihre Milchkühe abschaffen. Bereits Ende der 90er Jahre wollte keine Molkerei mehr zu ihnen rausfahren, um die paar Liter Milch abzuholen. „Ein Jahr lang haben wir noch selbst gemolken und Milch, Käse und Joghurt selbst hergestellt und vermarktet“, erinnert sich Joachim Leopold (57). Dann wurde der Aufwand zu groß: Nur eine kleine Mutterkuhhaltung mit einem Dutzend Rinder haben sie behalten.

Immer mehr Fleisch aus dem Ausland

Doch auch diese wenigen verbliebenen Tiere werden immer mehr zum Problem. Denn viele Metzgereien und Schlachthöfe finden keine Nachfolger mehr und geben auf. Dadurch verlängern sich für die Landwirte die Wege. Dazu kommt: Bei Kleinstherden wie denen der Leopolds lohnt sich für Tierärzte die Anfahrt zur Besamung der Rinder kaum. Aus biologischer Sicht müsste dafür ein Bulle her, doch kaum ein Betrieb leistet sich heute noch ein eigenen Bullen. Und obwohl es eine Gebührenordnung für Tierärzte gibt, in der alles geregelt ist – Behandlungsentgelt pro Tier, Einsätze am Wochenende, Wegekilometer – wollen einige nicht mehr wegen einer Handvoll Tiere anrücken.


All diese Entwicklungen haben auch Auswirkungen auf den Verbraucher: Laut dem Fleischatlas 2016 der Heinrich-Böll-Stiftung erzeugen die Landwirte in Baden-Württemberg nur etwa die Hälfte des hier verzehrten Schweinefleisches und knapp zwei Drittel des Rindfleischbedarfs. Ein großer Teil wird aus Nordwestdeutschland sowie aus Bayern importiert.


Zudem kommt immer mehr Fleisch aus dem Ausland: Laut dem Verband für Fleischwirtschaft wurden im vergangenen Jahr 501 000 Tonnen Rind- und Kalbfleisch importiert (zum Vergleich: 2005 waren es 283 000 Tonnen), davon immerhin 400 000 Tonnen (2005: 193 000 Tonnen) aus der EU. Für den Verbraucher im Supermarkt ist es nicht einfach zu erkennen, woher das Steak aus der Kühltruhe kommt. Ist das Fleisch bereits verarbeitet, muss nicht einmal das Herkunftsland angegeben werden.

Haltung für Verbraucher schwer nachvollziehbar

Ein weiteres Problem ist es, dass man nur schwer nachvollziehen kann, wie die Tiere gehalten wurden. Inzwischen sind zwar viele Fleischpackungen mit einer der vier Haltungsformstufen gekennzeichnet: Stufe 1 („Stallhaltung“) bedeutet den wenigsten Platz, die niedrigste Haltungsform sowie die wenigste Beschäftigung für die Tiere, die Stufe 4 („Premium“) die tierfreundlichste. Vor Kurzem hat die Verbraucherzentrale aber einen Marktcheck gemacht, das Ergebnis ist ernüchternd: „Man findet vor allem Stufe 1“, sagt Sabine Holzäpfel, die Referentin für Lebensmittel und Ernährung der Einrichtung. Auch aus diesem Grund halte man diese Angabe für „nicht sehr hilfreich“.


Bis zuletzt hatte die Verbraucherzentrale auf das Tierwohllabel gehofft, das die Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner einführen wollte. Im Augenblick sieht es aber so aus, als sei diese Hoffnung vergebens. „Es braucht aber die zügige Einführung eines staatlichen Tierwohllabels, damit Verbraucher mehr verlässliche Informationen erhalten“, sagt Holzäpfel. Wolle man möglichst viel über die Herkunft seines Steaks erfahren, könne man nach Erzeugern suchen, die ihr Fleisch direkt ab Hof verkauften, „da darf man manchmal auch in den Stall schauen“.

Für natürlichen Kreislauf sind Tiere wichtig

Auch beim Schwalbenhof ist dies möglich. „Aber Fleisch bekommt man bei uns fast nur auf Vorbestellung“, warnt Joachim Leopold. „Das spielt nur eine kleine Rolle.“ Dennoch will das Paar um seine Rinder kämpfen. „Uns geht es auch um den natürlichen Kreislauf“, sagt Susanna Leopold. Die Äcker werden mit dem Mist der Tiere gedüngt, welche wiederum mit dem Klee vom Acker gefüttert werden.


Ein weiterer Grund: Wären die Rinder nicht mehr da, würden auch die Fliegen verschwinden. Dann hätten die Schwalben, von denen Dutzende die warme Jahreszeit bei den Leopolds verbringen, weniger zu fressen und würden sich einen anderen Ort suchen. Und das wäre für einen Hof, dessen Besitzer die Zugvögel lieben und sogar ihren Hof nach ihnen benannt haben, ein Problem.

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