3 abonnements et 3 abonnés
Article

Popkulturelles Phänomen: Die Dramen des Kardashian-Universums - und ihr Vermarktungspotenzial - WELT

Gesellschaft Popkulturelles Phänomen

Die Dramen des Kardashian-Universums - und ihr Vermarktungspotenzial

| Lesedauer: 6 Minuten

Warum die Einschaltquoten bei den Kardashians massiv sinken

Die perfekte Inszenierung des persönlichen Dramas - damit ist der amerikanische Reality-TV-Clan Kardashian berühmt geworden. Und die Faszination dauert an, denn: Nie weiß man so richtig, was Wirklichkeit ist.

Wie viele Dramen können sich in einer einzigen Familie abspielen? Bei den Kardashian-Jenners ist aktuell wieder einmal sehr viel los. Hier eine verknappte Zusammenfassung der jüngsten Vorfälle: Khloé Kardashians Freund und Vater der gemeinsamen Tochter, der Basketballspieler Tristan Thompson, hat sie angeblich mit Jordyn Woods, der besten Freundin von Khloés jüngerer Schwester Kylie betrogen. Alles klar so weit? Gut. Woher man das überhaupt weiß, die neue Staffel der Realityshow „Keeping Up with the Kardashians" startet doch erst am 31. März? Natürlich von Instagram. Ein Gossip-Account veröffentlichte einen Post über die Gerüchte, Khloé selbst kommentierte mit Megafon-Emojis, was als Bestätigung interpretiert wurde, später „entfolgte" Kim Kardashian, die berühmteste Schwester des Clans, den Missetätern, was von den Klatschportalen wiederum als „Breaking News" vermeldet wurde.

Tatsächlich wurden die Entwicklungen in der Causa Kardashian/Thompson/Woods weltweit mit einer beeindruckenden Gründlichkeit bearbeitet. Auf Google News findet man zu diesem Thema aktuell 35 Millionen Einträge. Selbst Wellnessguru und Achtsamkeitsprofi Gwyneth Paltrow ist offenbar anfällig für derlei Storys - und fragte auf Instagram in Anbetracht der allgemeinen viralen Verwirrung irgendwann halb verzweifelt, wie der sehr empfehlenswerte Account @Commentsbycelebs dokumentierte: „Kann mir mal jemand erklären, was los ist? Ich kenne die Hälfte dieser Leute nicht, ich brauche den Kontext. Bitte. Es scheint wichtig zu sein."

Das ist natürlich die große Frage: Ist es wichtig, welche persönlichen Dramen sich aktuell im Kardashian-Universum abspielen? Warum interessieren sich Menschen weltweit so sehr dafür, wer wen mit wem betrogen hat, dass Gossip-Websites ihren kompletten Traffic mit der Berichterstattung zum Thema bestreiten: „Jordyn zieht bei Kylie aus!" - „Betrog Trystan Khloé schon wochenlang?"- „Auch Rapperin Cardi B kann es nicht fassen!"

Ein Händchen fürs Business

Es lohnt ein nüchterner Blick auf die Zahlen. Die Frauen der Familie Kardashian-Jenner, also Mutter Kris und die Töchter Kim, Kourtney, Khloé (aus der Ehe mit Robert Kardashian) sowie Kendall und Kylie (die Töchter von Bruce, inzwischen Caitlyn Jenner), vereinen auf Instagram zusammen etwa 544 Millionen Follower auf sich. Ihre Show „Keeping Up With the Kardashians" läuft in den USA seit 2007 im Fernsehen und brachte mehrere Spin-offs hervor, die sich im Detail um die Geschicke der einzelnen Schwestern drehen; Khloé Kardashian etwa moderiert die Trennungsshow „Revenge Body", in der sie von der Liebe enttäuschten Frauen Bauchmuskeln und Selbstvertrauen antrainiert.

Mit Fernseh-Engagements und Instagram-Werbung bestreiten die Frauen aber nur einen Teil ihres Einkommens, erfolgreich sind sie auch mit eigenen Apps, Modekollektionen und Kosmetikmarken. Die jüngste Tochter Kylie etwa gründete Kylie Cosmetics, sie verkauft Lippenstift und Lidschatten; den Unternehmenswert bezifferte das „Forbes"-Magazin mit etwa 800 Millionen Dollar. Im Jahr 2019 wird Kylie voraussichtlich die jüngste Self-Made-Milliardärin der Welt werden und den Rekord von Facebook-Gründer Mark Zuckerberg ablösen.

Die Familie Kardashian-Jenner ist längst vom Fernsehphänomen zur modernen Wirtschaftsdynastie avanciert. Statt mit Öl oder Schiffen wird eben mit Make-up, Mode - und vor allem mit weiblicher Persönlichkeit gehandelt. Ein kongenial orchestriertes Familienleben hält das Publikum aka die Kunden bei Laune.

Die Rollen sind klar verteilt: Da ist die schillerndste Schwester ( Kim), die mit einem berühmten Künstler, nämlich Kanye West, verheiratet ist; da ist das High-Fashion-Model ( Kendall), die hippe Jungunternehmerin (Kylie), die Schwester, die nie Glück in der Liebe hat (Khloé), die gesundheitsbewusste Übermutter (Kourtney). Über allen aber steht die 63-jährige Kris Jenner, die als ehrgeiziges Familienoberhaupt den Begriff der „Momagerin" prägte. Sie sorgte mit der Handlungsdevise „There is no such thing as bad press" dafür, dass Kims Sextape aus dem Jahr 2006 der Familie im konservativen Amerika nicht schon vor der Ausstrahlung der ersten Staffel ihrer Realityshow das Genick brach - sondern zu Ruhm verhalf. „Als Mutter wollte ich Kim umbringen", sagte Kris später über den Sextape-Skandal. „Aber als Managerin wusste ich: Ich hatte einen Job zu erledigen."

Skandal als künstlerisches Prinzip

Und was gleich zu Beginn der Ära Kardashian funktioniert hatte, wurde zum künstlerischen Prinzip. Die Inszenierung des Familienlebens zielt bei den Kardashians seit Jahren auf den succès de scandale ab, den Erfolg durch öffentliche Aufregung. Der Fundus an persönlichen Dramen und Drämchen ist dabei schier unerschöpflich. Neben den Beziehungswirren der Töchter ging es schon um Leihmutterschaft, Beziehungen von älteren Frauen mit jüngeren Männern, familiäre Entfremdung. Das bislang größte Publicity-Erdbeben verursachte vermutlich die Geschlechtsumwandlung von Kris' Ex-Mann, dem ehemaligen Olympioniken Bruce Jenner. Er lebt inzwischen als Caitlyn. Das Outing traf mitten in die gesellschaftliche Debatte um Hetero-Normativität und Gender-Freiheit - die Kardashians befanden sich selbst in dieser familiären Krise, so schräg sich das auch anhören mag, ganz auf der Höhe des Zeitgeists.

Der Instinkt für popkulturelle Wahrnehmungsmuster hat die Kardashians groß gemacht. Sie verdanken nicht Instagram den Aufstieg, die Kardashians haben die App erst zu dem gemacht, was sie ist: Schaufenster und Teilhabeplattform in einem. Wenn Konflikte live auf Social Media ausgetragen werden, sind die Zuschauer noch viel näher dran als vorm Fernseher. Das Identifikationspotenzial erhöht sich, gleichzeitig wird die Gier nach News größer. Also füttern die Kardashians ihre Gefolgschaft fortlaufend mit nachvollziehbaren Geschichten von Liebe, Betrug und Verrat - und inszenieren diese im Calabasas-Luxuslook, mit viel nackter Haut, riesigen Villen, fetten Autos, Diamanten, bombastischen Kindergeburtstagen, Personal Trainern. Nah und doch so fern, eine Dallas-Dramaturgie im Yeezy-Zeitalter. American Royalty.

Was ist wahr? Egal!

Verehrung und Verachtung für die Familie halten sich zweifellos die Waage. Umso mehr Geschichten werden aber produziert: Neben Khloés Liebeswirrungen geht es derzeit in den Gazetten um die Frage, wie es möglich sein kann, dass Copycat-Firmen innerhalb weniger Stunden nach öffentlichen Auftritten der Schwestern exakte Billigkopien der Designeroutfits anbieten können. Der Verdacht: Vielleicht wird in beiderseitigem wirtschaftlichem Interesse doch mal das ein oder andere Outfit vorab „geleaked". In jedem Fall ist auch das eine Story, über die berichtet wird - und auch das ein Konflikt, der über Instagram ausgetragen wird. Die Fans unterstützen, die „Hater" warten mit Screenshots von angeblichen „Beweisen" auf.

Wer recht hat? Egal. Faszinierend ist die Ernsthaftigkeit, mit der die Querelen dieser Familie seit über zehn Jahren verfolgt werden. Die Frage, die bei allen Aktivitäten der Familienmitglieder, bei allen juicy Neuigkeiten, stets mitschwingt, ist natürlich: Was ist echt - und was ist fake? Kann es möglich sein, dass die Lebensgeschichten der einzelnen Familienmitglieder stets so perfekt in den Zeitgeist passen? Dass sich in einer einzigen Familie fortwährend Eklats auf Soap-Opera-Niveau ereignen? Ist es Berechnung, dass stets kurz vor Beginn einer neuen „KUWK"-Staffel neue Enthüllungen über das Privatleben der Kardashians in die Welt geraten - zumal die letzten Quoten nicht berauschend ausfielen?

Zufall, clevere PR oder self-fulfilling prophecy, wer vermag schon zu sagen, wie sich das Los dieser Familie konstituiert. Von solchen Kleinlichkeiten zeigen sich die Kardashian-Frauen ohnehin unbeeindruckt. Sie haben längst ein viel entscheidenderes Narrativ über all ihre schicksalshaften Fügungen gespannt, das sie über jeden Zweifel erhebt: Das Matriarchat siegt. Männer kommen und gehen, Menschen können gemein sein, nach jeder Katharsis aber steht die Erkenntnis: Die Frauen der Familie halten zusammen. Immer. Auf den Weihnachtsfotos der Familie, die wie bei den echten Royals jährlich mit viel Tumult veröffentlicht werden, tauchen männliche Anhängsel schon seit Längerem gar nicht mehr auf. Fürs Fernsehdrama sind Männer gut, für die Vermarktung - eher nicht so.

Rétablir l'original