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Kobalt aus dem Kongo: Der Makel der E-Mobilität

Christophe Kabwita schreitet über den plattgetrampelten Lehmboden seines Grundstücks. Mit seiner Frau und acht Kindern lebt der 59-Jährige in einer einfachen Backsteinhütte. Reich ist niemand in Ruashi, dem Viertel am Rande der Millionenstadt Lubumbashi im Süden der Demokratischen Republik Kongo. Dabei grenzt die Siedlung an einen Tagebau, in dem ein Schatz gehoben wird, auf den es vor allem die Automobilunternehmen der Welt abgesehen haben: Kobalt, der umstrittene Rohstoff, ohne den die E-Mobilität derzeit nicht auskommt.

Normalerweise wirkt Kabwita durch seinen weißen Rauschebart großväterlich besonnen. Wenn er jedoch auf die Verantwortung der Automobilindustrie zu sprechen kommt, kneift er seine Augen zusammen. Groll legt sich auf seine Stimme: "Die Bergbaufirmen, bei denen sie einkaufen, begehen schlimme Menschenrechtsverletzungen. Aber das kümmert die Autobauer nicht."

Zweifelhaftes Versprechen

Der nachhaltige Ruf der E-Mobilität ist beschädigt, seit Berichte über Kinderarbeit beim Abbau von Kobalt in der Demokratischen Republik Kongo bekannt wurden. Doch damit hätten sie nichts zu tun, versichern die Autobauer meist. Denn: Sie würden ihre Zulieferer dazu verpflichten, nur noch bei industriellen Minen einzukaufen, in denen große Maschinen nach Rohstoffen graben - und keine Menschen.

Der Aktivist Christophe Kabwita wirft den Betreibern der Ruashi-Mine Menschenrechtsverletzungen vor

Tatsächlich gibt es in Großminen wie der in Ruashi keine Kinderarbeit. Ein Besuch in Christophe Kabwitas Viertel lehrt jedoch: Viel besser geht es den Menschen rund um die industriellen Minen dadurch nicht. Umweltverschmutzung ist ein großes Problem in Ruashi. Rücksichtslose Abbaupraktiken, die Aktivisten zufolge manchmal sogar tödliche Konsequenzen haben, sind ein anderes.

Folgenschwerer Rohstoffdeal

Für seine Familie sorgt Kabwita mit dem bescheidenen Gehalt, das er im Bürgerhaus der örtlichen Kommune verdient. Er bezeichnet sich selbst als Aktivist. In seiner Freizeit dokumentiert er die Missstände rund um die einst vernachlässigte staatliche Mine in Ruashi, die der südafrikanische Bergbaukonzern Metorex im Jahr 2002 übernahm und heute gemeinsam mit der chinesischen Firma Jinchuan betreibt.

Kabwita verlässt sein Grundstück und tritt hinaus in schmale Gassen. "Rings um mein Haus haben alle Häuser Risse", sagt er. Mal sind es nur feine Muster, die auf den Wände zu sehen sind, mal fingerdicke Spalten. Er macht dafür die Mine verantwortlich. Bis zu drei Mal in der Woche würde der Betreiber neue Gesteinsschichten mit einer solchen Wucht aufsprengen, dass die Erde bebe. "Wir sind immerhin 400 Meter von der Mine entfernt", sagt Kabwita. "Stellen Sie sich vor, wie es bei denen ist, die weniger als 200 Meter entfernt sind. Dort kommt es zu Einstürzen."

Ein Kind holt Wasser am Stadtrand von Ruashi - die Kobalt-Mine ist nur wenige Hundert Meter entfernt

Die Mine grenzt ans Wohnviertel

Nur ein verwilderter Grünstreifen und ein Graben trennt die Wohnsiedlung vom Kobalt-Tagebau. 4753 Tonnen Kobalt wurden hier im vergangenen Jahr gefördert. Insgesamt stemmt die Demokratische Republik Kongo 58 Prozent der weltweiten Kobaltproduktion. Gebraucht wird der Rohstoff vor allem für Lithium-Ionen-Batterien, die derzeit gängigsten in E-Autos, Smartphones oder Laptops.

Kabwita lotst den Fahrer eines Motorrad-Taxis ans andere Ende des Viertels. Die meisten der etwa 230.000 Einwohner leben hier ohne fließendes Wasser, schlagen sich mit Gelegenheitsjobs durch oder sind arbeitslos. Kabwita hält vor dem Haus von Stéphanie Kayambi, einer 47-Jährigen, die lange in unmittelbarer Nachbarschaft der Mine lebte. Doch seit dem 14. November 2017 wollte sie nur noch weg, erzählt sie heute. An jenem Tag war ihre Kind, die elf Jahre alte Kathy, auf dem Heimweg von der Schule.

Immer wieder fliegen Steine wie Geschosse aus der Mine in Richtung der Wohnhäuser

Getroffen von einem steinigen Geschoss

Eine Sirene ertönte, wie üblich, wenn gesprengt wird. Weil dabei Gestein hunderte Meter aus dem Tagebau geschleudert werden kann, dürfen die Anwohner sich nicht in der Nähe der Mine aufhalten. Als das Geräusch verstummte, habe das Mädchen den Heimweg wohl fortgesetzt, vermutet die Mutter. Doch dann ging die Sirene erneut los. "Aber meine Tochter hatte nicht die Zeit, sich in Sicherheit zu bringen", sagt sie. "In diesem Moment wurde sie von einem Stein getroffen." Nur wenige Meter vom Haus entfernt sei sie gestorben.

Streng aufrecht sitzt Kayambi auf einem Sessel im spärlich möblierten Wohnraum des neuen Hauses, in dem sie mit ihrem Ehemann und elf Kindern lebt. Kein Foto ihrer Tochter ist zu sehen. Mit nüchternen Worten spricht sie über die enttäuschte Hoffnung auf eine ordentliche Entschädigung und über einen Gerichtsprozess, den sie verlor. "Ruashi-Mining hat die Verantwortung nicht übernommen", wirft sie dem Unternehmen vor.

Stéphanie Kayambi erzählt, wie ihre Tochter aufgrund von Minenarbeiten ums Leben kam

Ja, am Ende habe man ihr etwas Geld für den Umzug gegeben, sagt sie. Dies sei jedoch kein Schuldeingeständnis, habe die Firma ihr gegenüber betont. Auf Anfrage sagt das Betreiberunternehmen heute: Kathy habe sich verbotenerweise auf dem Minengelände aufgehalten.

Bei Nacht auf das Minengelände

Kathy hatte nichts zu tun mit den jungen Männern, die tatsächlich regelmäßig das Minengelände betreten - insbesondere bei Nacht. Dort graben sie mit einfachem Werkzeug tiefe Schächte in die Erde. Das aus dem Fels geschlagene Kobalt tragen sie säckeweise zurück ins Viertel und verkaufen es auf dem Schwarzmarkt.

Von den Risiken im illegalen Bergbau kann Remi Tshanda erzählen, ein schmächtiger 19-Jähriger. Die Stollen könnten einstürzen und einen begraben, sagt er. Außerdem seien da die Sicherheitskräfte. "Sie lassen Hunde auf uns los und schießen auf uns". Freunde seien bereits umgekommen. Auch Christophe Kabwita und andere illegale Bergleute aus dem Viertel bestätigen derlei Todesfälle. Die Sprecherin von Ruashi Mining hingegen erklärt auf Anfrage, sie selbst habe noch nie Schüsse gehört oder Hunde gesehen.

Wie viele andere in Ruashi hat Remi keinen Beruf gelernt. Was bliebe denn sonst, um etwas Geld nach Hause zu bringen, fragt er. "Wir stehlen nicht", sagt Remi. "Wir nehmen nur, was uns zusteht."

Kein Kobalt ist auch keine Lösung

Es war diese Form des illegalen Kleinbergbaus, der die E-Mobilität schon vor einigen Jahren in ein schlechtes Licht gerückt hat. Insgesamt sollen es Hunderttausende sein, die ihr Glück auf schlecht bewachten Großminen suchen oder direkt Löcher im eigenen Hinterhof graben. Insbesondere beim Waschen und Zerkleinern der Steine sind auch Kinder und schwangere Frauen tätig. So steht es in dem Report von Amnesty International aus dem Jahr 2016.

Für Remi Tshanda ist der illegale Bergbau die einzige Einnahmequelle

Der Verweis auf die angeblich sauberen industriellen Minen hat sich seither zur beliebten Verteidigungsstrategie der Autobauer entwickelt. Seltener kommt es vor, dass Automobilunternehmen ganz die Reißleine ziehen. So hat BMW im März angekündigt, ab 2020/21 vollständig auf Kobalt aus dem Kongo zu verzichten. Doch eine nachhaltige Lösung sei auch das nicht, sagt Matthias Buchert, Bereichsleiter Ressourcen und Mobilität am Ökoinstitut in Freiburg: "Wenn das Beispiel Schule macht und kein Kilogramm Kobalt mehr aus dem Kongo bezogen werden würde - ich bin mir nicht sicher, ob die Versorgung dann noch gewährleistet wäre", sagt er.

Nur gemeinsam ist Veränderung möglich

Er verweist auf eine Studie seines Instituts: Lag der Kobaltbedarf für die E-Mobilität im Jahr 2016 bei 20 000 Tonnen, könnte er bis zum Jahr 2030 um das Zwanzigfache steigen. Ein Komplettembargo würde daher lediglich zu massivem Schmuggel führen, fürchtet Buchert. Er fordert stattdessen die Umsetzung von Mindeststandards. Aber: "Dafür müssten sich die größten Nachfrager der Automobilindustrie möglichst zusammenschließen."

Doch selbst wenn sich die Lage in naher Zukunft bessert: Für viele würde das zu spät kommen. Wer einer sandigen Piste neben dem Haupttor der Ruashi-Mine stadtauswärts folgt, trifft auf Häusersiedlungen am Fluß Lwano. "Der Fluss ist die Quelle des Lebens", sagt Kabwita. Heute jedoch sei das Wasser verschmutzt, die Fische würden sterben und die Ernte auf den Feldern sei miserabel. Messungen belegen schlechte Bodenwerte. Die Minenbetreiber bestreiten das nicht. Nur die von Kabwita genannte Erklärung für die Verschmutzung weisen sie zurück: Dass bei starkem Regen die Abwasserbecken der Mine überlaufen würden. Für den Aktivisten steht indes fest: "Ruashi sät den Tod."

Die Recherche wurde gefördert und unterstützt von Netzwerk Recherche und der Olin-Stiftung.
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