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"Gerechtigkeit ist für mich ein ganz hoher Wert"

imago/Dennis Hetzschold

Bibiana Steinhaus ist Schiedsrichterin. Die erste und einzige im deutschen Profifußball der Männer - und sie ist Polizeihauptkommissarin. Die Frage nach Recht und Gerechtigkeit prägt das Leben der 39-Jährigen auch auf dem Spielfeld. Von Johannes Mohren

Wer die Geschichte der Schiedsrichterin Bibiana Steinhaus erzählen will, muss eigentlich im Harz anfangen. Genauer gesagt in Bad Lauterberg. 11.500 Einwohner hat das Städtchen im Landkreis Göttingen, das einst durch den Bergbau geprägt war - und heute Kurgäste anlockt. Fußball gespielt wird beim örtlichen SV. Gegründet 1914. Das war auch bei Bibiana Steinhaus nicht anders. Der Erfolg? Eher mäßig, sagt die heute 39-Jährige selbst. "Der spezielle Impuls, dass ich die Schiedsrichterkarriere eingeschlagen habe, war tatsächlich meine Unfähigkeit als Spielerin." Sie lacht. "So bin ich in einem Schiedsrichterkurs gelandet."

Damals war wohl noch nicht zu erahnen, dass dieser Kurs einmal die Tür in die großen Fußball-Arenen öffnen würde. Der Weg dahin war noch weit. Es war ein Weg, auf dem sie immer wieder die Erste sein sollte. Immer Dinge erreichen sollte, die vor ihr noch keine Frau im Männerfußball erreicht hatte. Wer Steinhaus zuhört, merkt schnell, dass es kein Zufall ist, dass gerade ihr das gelang. "Ich würde mich als geradlinig, konsequent und kommunikativ beschreiben", sagt sie. Und da ist noch etwas: ihr ausgeprägter Sinn für Gerechtigkeit. "Das ist für mich ein ganz hoher Wert", so Steinhaus. Es gehe um eine moralische Verpflichtung, sagt sie.

"Ich liebe es einfach sehr!"

Auf dem Fußballplatz ist das Streben nach Gerechtigkeit vor allem eine große Herausforderung. Die Emotionen sind oftmals groß und das, was die eine Mannschaft als gerecht wahrnimmt, wird von der anderen nicht selten als ungerecht empfunden. Steinhaus schreckt das nicht ab. Im Gegenteil. "Die Schiedsrichtertätigkeit vereint einfach so unglaublich viele Facetten", sagt sie. Sie spricht dann über das Lernen und Anwenden von Regeln. Über die Leitung von 22 Menschen auf dem Platz, die so unterschiedlich sind, wie Menschen eben sein können. Und natürlich darüber, Entscheidungen zu treffen: "Mit denen ist ja nicht immer jeder einverstanden. Das dann auch noch unter dem Blickwinkel der Öffentlichkeit zu tun, ist eine besondere Herausforderung und eine tolle Aufgabe. Ich liebe es einfach sehr."

Am vergangenen Wochenende durfte Steinhaus dieser Liebe wieder auf dem Platz nachgehen. In der dritten Liga. Die Begegnung: Cottbus gegen Lotte. Endlich, könnte man sagen. Wochenlang hatte sie pausieren müssen. Und sie gehört inzwischen so selbstverständlich zum Profifußball der Männer, dass sie vermisst wird, wenn sie nicht da ist. "Wo steckt eigentlich Bibiana Steinhaus?", fragte etwa das Fachmagazin "Kicker" kurz vor ihrer Rückkehr auf den Platz - um dann aufzuklären, dass eine "multiple Verletzung der an der Fußsohle befindlichen Plantarsehne" die die 39-Jährige seit Saisonbeginn außer Gefecht setzte. Nur Einsätze im Kölner Videokeller waren im ersten Drittel der aktuellen Spielzeit möglich.

Ein wenig Normalität eingekehrt

"Sie hat keine Fehler gemacht. Sie hat zwei Elfmeter für Lotte gegeben und es hat sich keiner beschwert. Da sieht man ja, welchen Respekt und welche Spielleitung sie hat", sagte Claus-Dieter Wollitz, der Trainer von Energie Cottbus, nach der Partie. Auch Felix Geisler - durch seinen späten Ausgleichstreffer der Held der Lausitzer in dieser Begegnung - lobte: "Sie hat sogar ein bisschen mehr Ruhe, als der ein oder andere männliche Schiedsrichter in der 3. Liga. Sie hat das wirklich souverän gemacht, da ist kein großer Unterschied zu erkennen." Schiedsrichter oder Schiedsrichterin? Für ihn sei das dasselbe.

Es zeigt, dass Normalität eingekehrt ist. Zumindest ein stückweit. Bibiana Steinhaus ist anerkannt im Männerfußball, der nicht selten als Macho-Branche daherkommt. Auch das ist Teil ihrer Geschichte. Dass die Frau, die mit Leidenschaft für Gerechtigkeit sorgt, selbst alles hart erkämpfen musste. Härter vielleicht, als so mancher Mann. Zehn Jahre pfiff sie zweite und dritte Liga, ehe es 10. September 2017 den ersten Einsatz in der höchsten Spielklasse gab. Trotz bester Leistungen. Ungerecht, könnte man sagen. Bibiana Steinhaus hebt lieber das Positive hervor. "Vor allem gab es ganz viel Unterstützung und ganz viele Menschen, die mich auf dem Weg dahin positiv begleitet haben", sagt sie. "Ich muss wirklich sagen, Spieler, Trainer und alle Beteiligten im Fußball haben mir eine faire Chance gegeben und waren top eingestellt."

300 Entscheidungen in 90 Minuten

Bis Steinhaus, die neben der Schiedsrichterei Polizeihauptkommissarin im niedersächsischen Ministerium für Inneres und Sport ist, wieder in der ersten Bundesliga ran darf, ist es nur eine Frage der Zeit. Cottbus war wieder ein erster Schritt zurück auf die große Bühne. Steinhaus ist dankbar, auf ihr stehen zu dürfen. "Ich bin so glücklich und zufrieden, dass es mir ermöglicht wurde, Spiele in der Bundesliga leiten zu dürfen", sagt sie und erinnert sich an das Kribbeln und die Gänsehaut, die sie vor dem ersten Spiel in Deutschlands Top-Liga hatte. Positive Anspannung verspürt sie immer noch bevor es losgeht. Das sei auch wichtig, um eine gute Performance abliefern zu können. "Ich möchte alles dafür tun, um dieser Aufgabe gerecht zu werden. Jeden einzelnen Samstag."

Dass das nicht immer gelingen kann, daraus macht Steinhaus keinen Hehl. Bei bis zu 300 Entscheidungen in 90 Minuten wäre alles andere auch ein Wunder, sagt sie. Den Videobeweis lobt sie als große Hilfe. "Wir haben damit die große Chance, Dinge gerade zu rücken, wenn es spielentscheidend ist. Das ist super, weil es den Fußball fairer macht", sagt sie. Das eigene Hinterfragen erübrigt er nicht. Die intensive Analyse nach dem Spiel, in der Steinhaus ihre Entscheidungen nochmals auf den Prüfstand stellt. Auch im Team - mit Kollegen und Spezialisten. Um sich weiterzuentwickeln für den nächsten Einsatz, bei dem es wieder darum geht, möglichst gerecht zu sein. Das ist auf dem Platz ein bisschen so wie daneben: "Jeder muss einen persönlichen inneren Sensor für sich entwickeln, was er als gerecht empfindet - und sich die Frage stellen: Würde ich Situationen wieder so machen, wenn ich eine zweite Chance hätte?" Rétablir l'original