Das Chemnitzer Stadion am Donnerstagabend: Während ein paar Ordner noch die Lautsprecheranlage testen, läuft die Anreise zur Kundgebung, die die Rechts-außen-Partei Pro organisiert hat. Drinnen soll bald eine Veranstaltung beginnen, die großes Medieninteresse findet: Sachsens Ministerpräsident Kretschmer (CDU) ist gekommen, um mit der Bevölkerung in den Dialog zu treten.
Während auf der einen Seite der Polizeiabsperrung Menschen auf Einlass ins Stadion warten, kommen auf der anderen immer wieder größere Gruppen an. Viele von ihnen sind etwa durch Bekleidungsmarken oder Tattoos klar als Neonazis erkennbar. Ein Zulauf wie der Aufmarsch am Montag, mit dem Chemnitz in die Schlagzeilen geriet, bleibt allerdings aus. Am Ende werden es rund 900 Menschen sein. Während am Montag überregionale Neonazikader mit Gefolgschaft angereist waren, ist das Publikum dieses Mal eher regional. Es sind mehr ältere Menschen zu sehen, wie es sonst bei Pegida üblich ist. Auch Edwin Wagensveld, bei Pegida als "Ed, der Holländer" bekannt, ist dabei.
Doch auch die jungen Männer mit den schwarzen Jacken sind wieder da. Am vergangen Sonntag und Montag gingen die meisten Angriffe von kleinen, dunkel bekleideten Stoßtrupps aus. Als eine solche Gruppe mit schwarz-weiß-roten Fahnen die Szenerie betritt, geht ein Raunen durch die Menge. Einige der Umstehenden zücken gar ihre Smartphones, um ein Foto von ihnen zu machen.
Eine andere Gruppe hat Flyer und Mitgliedsanträge der Partei Der Dritte Weg mitgebracht. Während vorn Reden gehalten werden, wird hinten rekrutiert. Vom harten Kern der Chemnitzer Neonaziszene fehlt heute trotz schwacher Mobilisierung kaum jemand. Die Versammlungsleitung ist dennoch sichtlich bemüht, einen seriösen Schein zu bewahren - jetzt, da die ganze Welt auf Chemnitz blickt. Arthur Ö., der am Montag per Megafon versucht hatte, den Marsch in einer Reihe zu halten, äußerte sich bezüglich der Hitlergrüße in den vergangenen Tagen: "Nette Grüße mit dem rechten Arm gen Himmel werden heute rigoros mit Platzverweis bestraft", verharmlost er die verbotene Geste.
Polizeikräfte aus mehreren BundesländernDie Einsatztaktik der Polizei war in den vergangenen Tagen stark in die Kritik geraten. Zwei Tage in Folge waren die Beamten überfordert und konnten den Schutz von Migranten, Gegendemonstrantinnen und Journalisten nicht gewährleisten. Eine Warnung des Verfassungsschutzes, der mit mehreren Tausend Teilnehmenden rechnete, war offenbar ignoriert und ein Angebot aus Niedersachsen, Polizeikräfte zur Unterstützung zu schicken, ausgeschlagen worden. Dass das nun anders werden sollte, kündigte die Polizei bereits vorher an.
Einsatzkräfte aus Bayern, Berlin, Hessen, Sachsen-Anhalt, Thüringen und der Bundespolizei wurden hinzugezogen, die sich am Nachmittag vor der nahe des Kundgebungsortes gelegenen Polizeiwache stauten. Insgesamt 1.200 Beamtinnen und Beamte waren im Einsatz. Kurz vor Demonstrationsbeginn standen Polizisten dieses Mal an den meisten Straßenecken in der Umgebung, viele Versammlungsteilnehmer kamen aufgrund von Polizeikontrollen später zur Kundgebung. Die sächsische Polizei konnte zudem zwei Männer, die am Montag im Zuge des Aufmarsches Straftaten begangen hatten, auf der Kundgebung identifizieren. Trotz der hohen Polizeipräsenz wurden laut übereinstimmenden Augenzeugenberichten erneut Menschen durch abreisende Versammlungsteilnehmer angegriffen. Obwohl Polizeibeamte das beobachtet haben sollen, war davon am Abend in einer Pressemitteilung der Polizei nichts zu lesen.
Trotz der abnehmenden Teilnehmerzahl sind die Aufmärsche in Chemnitz damit nicht vorbei. Martin Kohlmann, Chef von Pro Chemnitz, kündigte am Ende seiner Rede an, man wolle am Samstag und Montag wieder marschieren. Beide Aufrufe bergen Konfliktpotenzial: Am Samstag ist bereits ein Schweigemarsch von Pegida und AfD angekündigt, der deutlich größer werden könnte als die Versammlung vor dem Stadion. Pro Chemnitz will sich bereits eine Stunde vorher treffen und geht mit dem Motto "Wer schweigt, stimmt zu" auf Konfrontationskurs zum angekündigten stillen Protest. Am darauffolgenden Montag hat das Konzertbündnis Am Kopp ein großes Konzert angekündigt, unter anderem mit den Toten Hosen und Kraftklub. Das Event richtet sich gegen die rassistischen Aufmärsche und dürfte Tausende junge Leute anziehen. Ein weiterer Aufmarsch von Pro Chemnitz könnte die Sicherheitslage am 3. September enorm verschärfen.