„ Rammstein„, das unlängst veröffentlichte Album der gleichnamigen Rockband um Till Lindemann „ist ein starkes Album einer Band, die in einer Position ist, in der sie nichts und niemandem mehr etwas beweisen muss. Nicht mehr, aber auch nicht weniger. Was es nicht ist, ist Gegenstand einer soziokulturellen Debatte zu sein. Damit würde man Band und Album gleichermaßen Unrecht tun", schrieb vor Kurzem Hog'n-Kollege Wolfgang Weitzdörfer an dieser Stelle. Dem möchte ich widersprechen. Gerade der Track „Deutschland" ist wohl das schönste Stück Kritik nationalistischen Denkens, das seit Langem vertont und verfilmt wurde. Nicht trotz, sondern wegen dessen Ambivalenz. Damit stößt Rammstein genau jene Debatte an, die es dieser Tage braucht!
Ob die Jungs von Rammstein während der Produktion, wie Kollege Weitzdörfer schreibt, tatsächlich im Proberaum saßen und sich darüber den Kopf zerbrachen, wie sie demnächst möglichst lautstark die heimischen Feuilletons crashen, kann und will ich nicht beurteilen. Falls dem so wäre, ist das mit Bravour gelungen. Doch der Wert dieses medialen Tamtams, das die Berliner Band auslöste, liegt anderswo - nicht in Verkaufszahlen und ausverkauften Konzerten - und weit jenseits einer vermeintlich tendenziös gehaltenen Distanzierung von Nationalsozialismus und deutscher Vergangenheit. Mit dem Titel „Deutschland" hat es Rammstein geschafft, dass in der Bundesrepublik wieder über „Heimat", „Nation" und „Vaterland" und der - „richtigen" oder „falschen" - Liebe, Zuneigung oder Identifikation bezüglich dieser Begriffe gesprochen, gestritten wird - und zwar Rechts wie Links!
Selbst „linke" Medien unterstellten der Band einen nicht entschuldbaren Grenzübertritt. Soll erfüllt.Rammstein ist Provokation, eine Grenzüberschreitung in Permanenz, die Verkörperung des Jenseits des Sag- und Denkbaren. Obszönität und Gewalt, in Verbindung mit (Homo-)Sexualität, verklärten Abgründen und gesellschaftlich Verachtetem sind die Essenz in Rammsteins Texten, Auftritten und Musikvideos. Diese permanente Grenzüberschreitung aufrecht zu erhalten, ist in einem Land wie Deutschland, indem Kunstfreiheit geradezu synonym als anything goes verstanden wird, eine ebenso permanente künstlerische Herausforderung. Deshalb den Griff in die nationalsozialistische Mottenkiste - verfeinert mit Judenstern und etwas Ausschwitz - als Motiv der Band hinter ihrer vertonten Provokation „Deutschland" zu vermuten, greift zu kurz.
Im Gegensatz zu meinem Vorredner ist für mich in genanntem Titel keine „ eindeutige Positionierung gegen Nationalismus" zu erkennen - wenn. dann nur eine indirekte. Und gerade darin liegt meiner Meinung nach dessen Stärke. Genau dadurch macht Rammstein Nationalismus, Patriotismus und das Denken in identitätspolitischen Kategorien zum Gegenstand einer soziokulturellen Debatte. Mit der Aufmerksamkeit, die diese Debatte verdient. Selbst explizit „linke", in Teilen von mir sehr geschätzte Medien, unterstellten der Band, einen nicht entschuldbaren Grenzübertritt. Soll erfüllt.
Deutschland, mein Herz in Flammen Will dich lieben und verdammen Deutschland, dein Atem kalt So jung, und doch so altIch erinnere nur an die Fußball Weltmeisterschaft 2006 im eigenen Land. Neben den sportlichen Leistungen der deutschen Elf war es vor allem die Debatte „Deutschlandfahnen: ja/nein", die durch den Blätterwald rauschte. Deutschlandfahnen überall - dazu das Damokles-Schwert: Darf man das? In Deutschland, in den vergangenen 100 Jahren Schauplatz der größten, erdenklichen (und un-erdenklichen) Verbrechen, ist diese Frage keine leichte.
Rammstein legt den Finger in die Wunde. Und diese Wunde brennt.In Zeiten, in denen scheinbar nichts mehr Halt liefert, in denen Globalisierung und eine neoliberalistische Perversion kapitalistischen Wirtschaftens selbst die letzten Stützen sozialen Zusammenhalts zu zerschmettern droht, ist Nationalismus wieder hoch im Kurs. Höher als er sein sollte. Als identitätsstiftende Einheit. Als Definition des wiedergewonnenen Eigenen, durch die Abgrenzung von einem offenbar anders artigen Anderen. Während AfD und Co. die Nation - imaginiert als eingegrenztes Terrain mitsamt homogenen Volkskörper - als die Lösung schlechthin präsentiert, bildet und bildete sich innerhalb der (deutschen) Linken eine Position heraus, die die Worte „Heimat" und „Nation" zusehends ins braune Abseits verbannt. Genau in diese Kerbe schlägt Rammstein. Genau in diese Wunde legt sie den Finger. Und diese Wunde brennt.
Deutschland, deine Liebe Ist Fluch und Segen Deutschland, meine Liebe Kann ich dir nicht geben Deutschland!Das ist kein unzweideutiges Dagegen, keine dezidierte Distanzierung, kein „Nazis raus!"-Gebrülle, wie man das von anderen Bands gewohnt ist. Das ist die Zurschaustellung einer Ambivalenz, die das deutsche Denken, die die Identitätsbildung nicht nur aller Deutschen, sondern aller in diesem Land lebender Menschen auf Schritt und Tritt begleitet. Das zugehörige Musikvideo zeugt genau von dieser Ambivalenz, von einer notwendig unterdrückten Sexualität, einem Verlangen, das sich beständig - und beständig scheiternd - an einem Objekt der Begierde ergötzt, das man zwar begehren, aber niemals lieben kann: die Nation Deutschland. Die Frau Deutschland, wie im Video dargestellt. Eine gescheiterte, weil unmögliche Liebe, entweichend in einer aggressiven, untervögelten wie übersteigerten Männlichkeit. Eine Ambivalenz, ausgedrückt in den Höhen und Abgründen deutscher Geschichte, in germanischen Kriegern und DDR-Spitzeln, in deutscher Ingenieurskunst und KZ-Häftlingen.
Nationalismus, Patriotismus und die Liebe zur Nation - das ist Widersprüchlichkeit, Ambivalenz und Paradoxie per definitionem. Und richtet sich dabei nicht nur an die vermeintlich „rechten Recken", sondern zwingt auch linkes Denken wieder zur Reflexion über derlei (gegeißelter) Begriffe, zum Nachdenken über die Nation, über emotionale Identifikation - nicht zuletzt darüber, sich wieder eigene Handlungsspielräume zu erarbeiten. Das ist in Zeiten wie diesen hochaktuell. Und wohl selten so gut umgesetzt worden, wie in Rammsteins „Deutschland". Dieses Lied ist weit mehr als Gegenstand einer soziokulturellen Debatte!
Kommentar: Johannes Greß