SPIEGEL: Herr Achleitner, Sie sind seit über 30 Jahren als Musiker erfolgreich, haben die ganze Welt bereist. Warum nun ein Roman?
Achleitner: Ich habe schon 2010 ein Sachbuch veröffentlicht, "Stromlinien", über meine Donaureise. Während ich das schrieb, dachte ich mir: ein Sachbuch! Das ist so schwierig! Du musst immer allen gerecht werden! Selbst wenn du jemanden absolut fürchterlich findest, darfst du's nicht schreiben, der kann sich nicht wehren. Aber wenn man nur über die schönen Dinge schreibt, wird's halt fad! Da hab' ich echt geschwitzt und mir geschworen - das nächste Buch wird ein Roman. Da kann ich die Leute politisch inkorrekte Sachen sagen lassen, kann ich ihnen verbale Ohrfeigen geben.
SPIEGEL: Hat das wie gewünscht funktioniert?
Achleitner: So nach 50, 60 Seiten, dachte ich mir: Es war gar nicht schlecht, ein Sachbuch zu schreiben. Da hatte ich wenigstens etwas, an dem ich mich festhalten konnte. Aber irgendjemand, ich glaube, es war Picasso, hat einmal gesagt: "Die Muse geht dahin, wo Betriebsamkeit herrscht." Immer, wenn ich gearbeitet habe, ist was dahergekommen. Die Figuren entwickelten ihr Eigenleben.
SPIEGEL: Sie erzählen die Geschichte einer Frau, die die Wohnung verlässt und nicht wiederkommt, ohne dieses Verschwinden anzukündigen. Meistens ist das spurlose Verschwinden eine Verhaltensweise, die man bei Männern vermutet. Der Mann, der nur kurz Zigaretten holen geht...
Achleitner: Wenn ich das aus der Sicht eines Mannes geschrieben hätte, wäre der immer ich gewesen. Und zu dem Zigaretten-Abgang: Ich denke, wir denken da eher dran, weil Frauen seltener abhauen. Das liegt daran, dass Frauen in den Familien schlichtweg mehr Verantwortung tragen. Oft, weil sie Mütter sind, aber auch, weil sie den Haushalt schmeißen. An den Frauen hängt einfach mehr dran.
SPIEGEL: Die Protagonistin des Buchs kommt in einer stürmischen Winternacht in der Gondel einer Seilbahn zur Welt. Ist so etwas wirklich einmal passiert?
Achleitner: Nein, aber ich bin als junger Mann in den Siebzigerjahren selbst zwei Stunden lang in dieser Gondel gehangen, weil sie wegen des stürmischen Winterwetters nicht weiterfahren konnte. Ich hatte eine Kiste Bier dabei, habe sie aber lieber nicht angerührt. Ich habe mich damals nicht gefürchtet, aber es war ein einschneidendes Erlebnis.
SPIEGEL: Ein zentrales Thema im Buch ist die Heimat. "Eine Liebesbeziehung ist es nicht", lassen Sie einen Ihrer Protagonisten sagen. An einer anderen Stelle steht, Heimat sei das, wofür man bereit wäre, ein Verbrechen zu begehen. Wie lautet Ihr Heimatbegriff?
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