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Psychologie: Was wir tun müssen, um glücklich zu sein


Karriere im Konzern oder Töpfern auf dem Bauernhof? Der Entwicklungsforscher und Bestsellerautor Remo Largo erklärt, warum es vielen Menschen so schwerfällt, den richtigen Weg durchs Leben zu finden.


Ein Interview von Jennifer Köllen


SPIEGEL ONLINE: Herr Largo, wir alle wollen glücklich sein. Gibt es dafür ein Patentrezept?

Largo: Leider nicht. Keiner der sieben Milliarden Menschen auf dieser Welt ist gleich. Jeder ist ein Unikat, hat seine eigenen Grundbedürfnisse, Kompetenzen und Vorstellungen. Das macht es uns so schwierig, den richtigen Weg zu finden. Und jeder einzelne kann nicht irgendein Leben leben. Sondern nur sein eigenes.


SPIEGEL ONLINE: In Ihrem Buch "Das passende Leben" schreiben Sie, wir hätten alle ganz unterschiedliche Grundbedürfnisse.

Largo: Jein. Alle Menschen haben zwar Bedürfnisse nach existenzieller Sicherheit, körperlicher Integrität, Geborgenheit, Anerkennung und sozialem Status, Selbstentfaltung, sowie nach Leistung. Diese sind aber bei jedem sehr unterschiedlich ausgeprägt.


SPIEGEL ONLINE: Inwiefern?

Largo: Jeder legt Wert auf unterschiedliche Dinge. Es gibt Menschen, die brauchen viel Geborgenheit, andere weniger. Letzteren ist eine Beziehung nicht so wichtig, die legen vielleicht mehr Wert auf sozialen Status und Reichtum. Wieder andere wollen nur ihre künstlerischen Begabungen verwirklichen und brauchen keine finanzielle Sicherheit.


SPIEGEL ONLINE: Die eigenen Bedürfnisse lassen sich oft nicht mit den gesellschaftlichen Erfordernissen vereinen. Ein Langschläfer muss trotzdem morgens ins Büro. Ein freiheitsliebender Mensch zwängt sich morgens für den Job in den Anzug. Wie viel Anpassung ist in Ordnung?

Largo: Manche Kröten müssen wir schlucken. Aber es kommt ja nicht nur auf ein Bedürfnis an. Es geht darum, ob die Bilanz unserer Grundbedürfnisse einigermaßen befriedigt ist. Wenn wir größtenteils das Leben führen, das wir führen wollen, können wir manche Sachen ertragen. Passt es allerdings auch in anderen Bereichen nicht, stressen uns auch Kleinigkeiten viel mehr. Solange Sie sich gesund und wohl fühlen, ist die Anpassung okay. Wenn Sie aber zum Beispiel Schlafstörungen entwickeln, ist das ein Problem.


SPIEGEL ONLINE: Hat glücklich sein nicht auch etwas mit der eigenen Haltung zu tun? Manche Leute sind doch zufriedener als andere.

Largo: Wir denken sehr oft, es ginge nur um eine bestimmte Lebenseinstellung, ob wir glücklich sind oder nicht. Wir müssten nur unsere Einstellung ändern, und dann klappt das. Ich glaube: Ein Mensch kann nur glücklich sein, wenn seine individuellen Bedürfnisse befriedigt sind.


SPIEGEL ONLINE: Manchmal haben Bedürfnisse aber auch ungesunde, psychische Ursachen. Wenn Menschen mit Bindungsangst das Bedürfnis haben, Bindungen zu meiden und dann ihr Leben lang allein bleiben, geht es ihnen damit auch nicht gut.

Largo: Das stimmt. Ängste und andere psychische Defizite sollte man therapeutisch aufarbeiten. Um sich bewusst zu machen, woran das liegt. Und dann herauszufinden, wie groß das Bedürfnis, in diesem Fall nach Nähe, wirklich ist. Jetzt kommt das dicke Aber: Wirklich ändern wird sich derjenige erst, wenn er neue, positive und korrektive Erfahrungen macht. Dazu muss er den Mut finden, etwas zu riskieren. Und akzeptieren, dass es auch schiefgehen kann. Wer nichts riskiert, macht auch keine neuen Erfahrungen.


SPIEGEL ONLINE: Mancher wartet auf den perfekten Partner, mit dem das Liebesglück kommen soll. Ist das eine gute Idee?

Largo: Das Perfekte gibt es nicht. Auch wenn unsere Perfektionsgesellschaft uns das suggeriert. Zu erwarten, dass der Partner alle Bedürfnisse abdecken muss, überfordert jede Beziehung. Da wird man wirklich sein Leben lang auf der Suche sein und keinen Partner finden.


SPIEGEL ONLINE: Ein Weg zum Glück könnte sein: Ziele anvisieren - und sich dann darüber freuen, es geschafft zu haben.

Largo: Man sollte dabei aber die Grenzen seiner Fähigkeiten nicht überschreiten. Damit müssen sich vor allem Eltern abfinden. Wenn man Kinder zu viel fordert, werden sie nicht besser - sondern nur demotiviert. Dass wir heute der Meinung sind, dass man, wenn man sich nur bemüht, alles erreichen kann, ist ein großes Problem. Das stimmt einfach nicht.


SPIEGEL ONLINE: Woher weiß man, wo die Grenzen sind? Ob man sein Potenzial schon ausschöpft oder nicht?

Largo: Ein Beispiel: Wenn man eine Fremdsprache lernen will, geht es zu Beginn ziemlich rasch. Aber irgendwann kommt man auf ein Plateau. Da können Sie sich noch so sehr bemühen, es wird nicht wesentlich besser werden. Ein sehr sicheres Zeichen ist, wenn man sich dabei unwohl fühlt. Symptome entwickelt, Kopfschmerzen bekommt, Bauchweh, Schlafstörungen. Wenn man sich komplett überfordert, kommt es sogar zur Depression oder zum Burn-out.


SPIEGEL ONLINE: Und dann? Träume begraben?

Largo: Ich würde eher sagen: Frieden schließen. Ich habe vor einigen Jahren von einem jungen Amerikaner gelesen. Der hatte beschlossen, Golfprofi zu werden. Der hat sich gesagt: Ich mache sechs Jahre nichts anderes, als Golf zu spielen, da muss ich ja gut werden. Als ich das gelesen habe, habe ich mir gedacht: Das wird er nicht lange durchhalten. Da wird er bald an seine Grenzen stoßen. Jetzt sind diese sechs Jahre vorbei. Und der Mann hat sich eingestehen müssen: Ich kann gut Golf spielen. Aber ein Profi werde ich nie.


SPIEGEL ONLINE: Ziemlich schmerzhaft, oder? Wie geht man gesund damit um?

Largo: Man sollte sich nicht selbst überfordern. Sondern seine Grenzen akzeptieren. So, wie man klein oder groß ist.


SPIEGEL ONLINE: Ist es irgendwann zu spät, sein Leben zu ändern und sein Glück zu finden?

Largo: Auf keinen Fall. Seinen Weg zu finden ist kein Ziel - sondern, wie man ja auch sagt, ein Weg. Wichtig ist es auch, sich frei zu machen von den Erwartungen anderer. Natürlich muss die Umwelt eine Veränderung zulassen. Ich kenne einen Rechtsanwalt, der ist überhaupt nicht glücklich mit seinem Beruf. Wenn er abends nach Hause kommt, töpfert er. Das liebt er. Viele Menschen müssen solche Kompromisse machen. Dieser Rechtsanwalt hätte als Töpfer kein Auskommen. Er könnte seine Familie nicht ernähren. Wenn es nicht anders geht, muss man Kompromisse machen.


SPIEGEL ONLINE: Und wenn man an einen Punkt kommt, an dem man es nicht mehr aushält? Etwa im Job?

Largo: Viele ertragen die Arbeit in einer Bank oder Versicherung irgendwann schlicht nicht mehr. Weil der Job dermaßen eintönig ist und die Menschen sich fremdbestimmt fühlen. Es wird ihnen alles gesagt, sogar wie sie mit ihren Kunden umgehen sollen. Diese Menschen sind todunglücklich. Und sollten dringend etwas ändern. Einen anderen Job suchen oder zumindest einen guten Ausgleich schaffen. Sonst geht das auf die Psyche. Die Anzahl der Menschen, die wegen der Arbeitsbedingungen krank werden, also Depressionen oder psychosomatische Symptome entwickeln, nimmt ständig zu.


SPIEGEL ONLINE: Woran liegt das? An der Gesellschaft? Am Arbeitsklima? Leistungsdruck?

Largo: Das liegt daran, dass die Erwartungen, welche die Wirtschaft an den Menschen stellt, häufig nicht mit deren Grundbedürfnissen zusammenpassen.


SPIEGEL ONLINE: Wie findet man heraus, was man wirklich braucht?

Largo: Das geht nur über Erfahrung. Oft findet man erst im Laufe des Lebens heraus, was einem eigentlich entspricht. Es ist wichtig, sich zu überlegen: In welchen Lebenssituationen war ich glücklich - und in welchen unglücklich? Dann beginnt man zu spüren, warum das so war. Was da zusammengepasst hat und was nicht. Und dann kann man daraus Konsequenzen ziehen.


Remo Largo, geboren 1943 in Winterthur, studierte Medizin und leitete die Abteilung "Wachstum und Entwicklung" an der Universitäts-Kinderklinik Zürich. Er ist Autor zahlreicher Studien und Bücher, die sich mit der menschlichen Entwicklung befassen. Sein jüngstes Werk "Das passende Leben" thematisiert Leistungsdruck, Selbstoptimierung und Wachstumswahn.



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