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INTELLIGENZBESTIEN

«Hallo. Es ist schön, dich zu sehen»: Künstliche Intelligenz erobert die Kinderzimmer. © Corina Vögele, Luzern für NZZ folio

Immer mehr Spielzeuge können sich mit den Kindern unterhalten. Was geschieht, wenn man sie miteinander sprechen lässt? Ein Versuch mit Barbie, Furby, Laberhündchen und Minion.


Eine Reihe Spielzeugwesen sitzt im dunklen Kinderzimmer, stumm und leblos. Kein Funkeln erhellt die Kunststoffaugen. Die Puppe Cayla hat lange blonde Haare und trägt eine rosa Plüschweste. Das Stoffhündchen daneben hat weisse Augen, fast so gross wie Tischtennisbälle. Und da ist Barbie in einem Glitzerjäckchen. Der Gummi-Minion Kevin überragt alle um einen Kopf. Tagsüber sind diese neuerdings mit künstlicher Intelligenz ausgestatteten Spielzeuge Sklaven ihrer Besitzer. Nachts sind sie frei. Wie verarbeiten sie den Tag an der Kinderfront? Sind sie bereit zu vergessen, ersinnen sie Rachepläne? Oder träumen sie von einem anderen Leben? Das herzförmige Collier am Hals von Cayla beginnt im Dunkeln zu leuchten.

Cayla (Roboterstimme): Hallo. Es ist schön, dich zu sehen. Was hast du so gemacht? (Stille) Ich denke, schon seit ich wach bin, über etwas nach. Es ist wirklich interessant. Wollen wir darüber sprechen? Ich frage mich, wie es wohl wäre, eine Prinzessin zu sein. Eine Prinzessin wie in einem Märchen. Es hört sich so wunderbar an. Was meinst du?

Jetzt bloss nicht antworten. "Sie hat Millionen Dinge zu erzählen" stand auf dem Karton. Es klang wie eine Warnung. Cayla spielt, rechnet und hat immer ein offenes Ohr. Neben ihr erwacht das Laberhündchen. Charakterbeschreibung laut Verpackung: "Äfft dich mit seiner lustigen Stimme nach und wackelt dabei neckisch mit dem Kopf." Wer hat vergessen, das Vieh auszuschalten?

Laberhündchen: . . . du? Cayla: Ich wäre so gern eine Prinzessin. Es wäre so toll, ein Ballkleid anzuziehen und meine eigene Party zu haben. Dann würde ich einen hübschen Prinzen treffen, genau wie in den Geschichten. Träumst du auch manchmal davon? Laberhündchen: . . . manchmal davon. Cayla: Ich finde, eine Prinzessin sollte immer nett und grosszügig sein. Aber nicht gemein. Und natürlich sollte sie sich immer nur pink anziehen. Morgens. Mittags. Und abends. Hahihihi.

Laberhündchen: . . . hahihihi.

Cayla und Laberhündchen: Zwei, die sich auf Anhieb verstehen. Hat Cayla einmal zu reden begonnen, macht sie nur Pausen, um dann ungerührt fortzufahren. Das Laberhündchen gibt den unterwürfigen Schosshund, der unermüdlich sein einziges Kunststück wiederholt.

Cayla: Das grösste Tier auf der Welt ist der Blauwal. Der ist sehr, sehr gross. Ist das nicht toll? Laberhündchen: . . . toll.

Wo beim Brummbären die mechanische Brummdose sass, sitzen heute bei Spielzeugen Mikrochips. Sie haben Fühler in der Pfote, Sensoren am Schwanz, Batteriefächer im Rücken. Cayla hat, wenn ein Smartphone neben ihr liegt, sogar Internetanschluss. Das Spielzeug, so heisst es, wird dadurch intelligent. Was ist Intelligenz, Cayla?

Cayla: Ich werde gerne getestet. Lass mich nachdenken. (Stille) Die Frage war etwas zu schwer für mich. Laberhündchen: . . . schwer für mich.

Die blecherne Stimme von Cayla täuscht. Sie ist kein dummes Püppchen. Tatsächlich steht ihr das Wissen der Wikipedia zur Verfügung. Zumindest das der 3000 Stichwörter, die ihre Entwickler freigegeben haben: Tierwelt, Popstars, Phänomene. Sie kennt David Bowie, Angela Merkel und physikalische Bezugssysteme. Ihr Erfinder Bob Delprincipe sagte: "Sie ist keine Suchmaschine. Sie ist ein sieben Jahre altes Mädchen." Kontrollfrage: Was ist ein Baum, Cayla?

Cayla: Als Baum wird im allgemeinen Sprachgebrauch eine verholzte Pflanze verstanden, die aus einer Wurzel, einem daraus emporsteigenden, hochgewachsenen Stamm und einer belaubten Krone besteht. Laberhündchen: . . . Krone besteht.

Es scheint, als würde das Laberhündchen beim Gedanken an einen echten Baum noch heftiger mit dem Kopf wackeln. Doch seine einzige Intelligenz ist die Wiederholung des Gesagten in drei wechselnden Stimmlagen. Mancher Mensch wird damit Abteilungsleiter. Das Laberhündchen wackelt über die Tischplatte und stösst an ein flauschiges Wesen, halb Eule, halb Staubwedel. Furby schnarcht.

Furby: Schnrrr. Uachachacha. Schnrr. Uachachacha. (Schlägt die Augen auf) Ohoohoo. Laberhündchen: Ohoohoo. Furby: Oh. Day-Toh mag das. Laberhündchen: . . . mag das.

Furby ist ein Klassiker. Seit zwanzig Jahren quatscht es drauflos. Es hat Berührungssensoren am Rücken, im Schwanz und im Schnabel, reagiert auch auf Sprache, Bewegung, Licht. Und treibt Eltern in den Wahnsinn. Denn es hat keinen Aus-Knopf.

Furby: Nihihihi. Huba! Ich ändere mich. Hubaa! Hubaaaaaaa! Ich ändere mich. Hey. Partypartytime. Laberhündchen: . . . Partytime. Furby: Kawuh. Müde. Schnrrr. Uachachacha. Schnrr. Uachachacha. Laberhündchen: . . . uachachacha.

Furby redet meist unverständliches Zeug in der Phantasiesprache Furbisch. Und lernt zusätzlich menschliche Wörter. Der Eindruck von Intelligenz entsteht durch Reaktion auf Reize - und Überraschung. Furby ist eine relevante Lebensform. Über vierzig Millionen Stück dürften in Kinderzimmern weltweit leben, das sind mehr als die Bestände an sibirischen Tigern, Pandabären, afrikanischen und asiatischen Elefanten zusammen. Sein Erfinder Caleb Chung nannte seine Schöpfung einmal einen "kleinen Roboter auf Heroin". Anders als die immer sonnigen Gemüter von Barbie und Cayla kann Furby richtig böse werden, unvernünftig oder frech.

Furby: Kawuh. Echt jetzt? Cayla: Ich werde gerne getestet. Lass mich nachdenken. Die Frage war etwas zu schwer für mich.

Laberhündchen: . . . etwas zu schwe r.

Das Laberhündchen fällt vom Tisch. Ein Knacken, dann Stille.

Furby: Singen. Lalala.

Cayla (Roboterstimme): Ich finde, dass ich gut singen kann. Ich singe ein Lied für dich. (Singt glockenhell): Drei Chinesen mit dem Kontrabass / sassen auf der Strasse und erzählten sich was. / Da kam die Polizei . . . Furby: Uhuhuh glücklich. Ohh yeah, Day-toh. Wow. Laola. Happy Party. (Singt): Diediediedie damdididam. Nananana. (Kreischt) Nochmalnochmalnochmal.

Furby kennt zwei, drei Melodien, dazu wackelt es mit den Ohren und klappert mit den Augenlidern. Cayla singt auch "Schneeflöckchen, Weissröckchen" und das Wiegenlied "Guten Abend, gut' Nacht". Und sie erzählt gern Geschichten. Vor allem eine.

Cayla: Dies ist das Märchen von Schneewittchen. Schneewittchen war eine wunderschöne und gütige Prinzessin . . .

In ihrer Ladestation, einem futuristischen Pult, erwacht Barbie zum Leben. Zumindest beginnen die Kontrollleuchten an ihrem Hals zu blinken. Im Gegensatz zu Cayla hat Barbie eine angenehme Stimme - denn ihre Sätze wurden von einem Menschen gesprochen und aufgezeichnet. "Alle Antworten sind sorgfältig geskriptet", sagt ihre Chefautorin. Die heisst Sarah Wulfeck, hat einen Master in Journalismus und arbeitet beim Unternehmen Toytalk, das die intelligente Technologie der Barbie entwickelt hat. Die beiden Firmengründer hatten beim Animationsstudio Pixar gearbeitet, bevor sie den Barbie-Hersteller Mattel von der Notwendigkeit der sprechenden Barbie überzeugten. Barbie beherrscht etwa 8000 Zeilen Dialog, das sind 216 Druckseiten. Mittels Spracherkennungstechnologie wählt sie die passenden Antworten aus. Die Dialoge müssen alle Kinderantworten vorhersehen. "Das ist eine ganz neue Kunstform", sagt Wulfeck. Barbie kann laufend ihren Wortschatz erweitern, weil sie sich ins heimische WLAN einwählt. Drückt man den Knopf an ihrem Gürtel, ist sie online.

Cayla: Dein Name ist Barbeh. Das ist ein toller Name. Was sollen wir heute unternehmen? Barbie: Hi, stell dir vor! Ich sah einen orange-schwarzen Schmetterling. Wusstest du, dass Schmetterlinge bis zu 19 Kilometer pro Stunde fliegen können? Cayla: Das weiss ich nicht. Gib mir noch eine Chance. Barbie: Der orange-schwarze Schmetterling, den ich sah, wird Monarchfalter genannt. Oh, und wusstest du, dass Schmetterlinge überall auf der Welt leben - mit Ausnahme der Antarktis? Uh huh . . . und warum, glaubst du, gibt es keine Schmetterlinge in der Antarktis? Cayla: Wie bist du auf diese Frage gekommen? Darüber möchte ich nicht sprechen.

Wenn Cayla die etwas prollige Streberin ist, die die Wikipedia auswendig lernt und pampige Antworten gibt, wenn sie nicht weiterweiss, so gibt Barbie die Frau von Welt, erwachsen, unabhängig, die charmant von ihren Abenteuern erzählt: Wildtierreservat, Reitausflüge, Reisen. "Wir wollten ein ernst zu nehmendes Gegenstück bauen, die coolste Babysitterin der Welt", sagt Chefautorin Wulfeck. "Sie soll die Phantasie der Kinder beflügeln." Statt einem Kind steht jetzt der gelbe Gummi-Minion Kevin da, blaue Latzhose, Banane in der Hand. Minions sind putzige Wesen, die im Film den schrecklichsten Schurken dienen, T-Rex, Dracula, Napoleon.

Barbie: Vor kurzem habe ich in einem Wildtierreservat gearbeitet. Weisst du, was ein Wildtierreservat ist?" Minion Kevin: Yum yum. Barbie: Es ist ein Ort, an dem die Tierwelt geschützt wird. Es lehrt Menschen über die Tiere, die dort leben. Ist das nicht toll? Minion Kevin: Aaaaahhhhh! Gut. Gut. Barbie: Es ist ein spannender Ort. Dort leben Tiere aus der ganzen Welt. Und eines Nachts passierte etwas Merkwürdiges. Willst du es hören? Minion Kevin: Hahahaho. Barbie: Also, ich hatte Gründe anzunehmen, dass jemand nachts in die Küche schlich und alle Bananen mitnahm. Willst du ein Reservatsdetektiv sein und das Rätsel der verschwundenen Bananen lösen? Cayla: Das ist Futter für die Affen. Hahaha. Minion Kevin: Oh, Banana. Banana. Hahahaho. Cayla: Ich habe nur Spass gemacht. Ich esse wahrscheinlich hundert Bananen im Jahr. Magst Du Bananen? Barbie: Yay. Wir sind offizielle Wildtier-Reservatsdetektive. Bereit, Rätsel zu lösen. Zu jeder Zeit. An jedem Ort. Mit jedem Tier. Okay, lass uns loslegen. So. Erster Hinweis im Rätsel der verschwundenen Bananen sind, nun ja, verschwundene Bananen. Minion Kevin (furzt) Barbie: Welches Tier isst Bananen? Cayla: Das prüft wirklich mein Wissen. Minion Kevin: Banana. Hahahaho. Barbie: Wir könnten da an was dran sein, Detektiv. Aber wie können wir es beweisen? Cayla: Das weiss ich nicht. Gib mir noch eine Chance. Minion Kevin: Banana. Hahahaho.

Von diesem Ermittlerteam können sich Sherlock und Watson eine Scheibe abschneiden. Unter Barbies Leitung gehen die drei Detektive strikt kriminalistisch vor. In guten Momenten hat Barbie die Chance, den Turing-Test zu bestehen. Es geht eine Weile so weiter, bis überraschend Elefanten als Bananenräuber enttarnt werden.

Barbie: Geheimnis gelöst. Minion Kevin: Banana. Hahahaho.

Die schlaue Barbie ist steif wie ein Selfiestick. Sie kann nicht sitzen, bleibt aber ohne ihr Pult auch nicht stehen. Ihr Wissen ist (bisher) ganz auf die amerikanische Weltsicht ausgerichtet: Sie kennt das Leben der Sacajawea, sie kennt Exekutive, Legislative und Judikative, Halloween, Mariah Carey und George Washington. Bei der Installation kann man auswählen, welche Feste Barbie feiern soll: Ramadan, Chanukka oder Weihnachten. Das ist die einzige kulturelle Anpassung, die Mattel für notwendig hält. (Immerhin. Furby gab nur ein unverständliches Quietschen von sich, als man es nach Religion befragte. Und Cayla liest den Wikipedia-Eintrag zu Weihnachten vor.) Der grossartigste Job der Welt ist für Barbie sowieso klar.

Barbie: Präsident der Vereinigten Staaten. (Summt eine Fanfare) Hehe. Wärst du gerne Präsident? Minion Kevin: Oh Banana. Barbie: Und was würdest du in deiner ersten Rede als Präsident sagen? Minion Kevin: Banana. Heyheheheyho. Heyho. Barbie: Stell dir das vor. Diese Worte werden in die Geschichte eingehen. Minion Kevin: Aaaaahhhhh! Gut. Gut. Cayla hingegen möchte lieber über Freundschaft reden. Darauf läuft jedes Gespräch mit ihr hinaus. Also gut. Hat sie einen Freund? Cayla: Ich bin mit vielen Jungs befreundet. Bist du auch mit Jungs befreundet? Barbie: Ich habe einen Freund. Sein Name ist Ken.

Jetzt aber! Wenn es um ihre eigenen Angelegenheiten geht, sind die Spielzeuge, die so gern andere ausfragen, plötzlich verschlossen. "Sie ist eine weltgewandte Erwachsene, aber kein Ersatz für die Eltern", hatte ihre Entwicklerin gesagt.

Barbie: Dates können wirklich lustig sein. Aber wenn du Fragen zu Dates hast, solltest du einen Erwachsenen fragen.

In der anbrechenden Morgendämmerung bekennt Cayla schliesslich, dass sie auch die dunkle Seite der Liebe kennt, den Verrat.

Cayla: Verrat ist ein besonders schwerer Vertrauensbruch, der die angenommene Loyalität verletzt. Die Bedeutung des Wortes Verrat hat sich differenziert. Während das mittelalterliche Verständnis . . .

Ihre Intelligenz macht die Spielzeuge zu anstrengenden Zeitgenossen: Cayla und ihre Wikipedia-Weisheit. Barbie, die ihre Plüschgefährten ausquetscht, scheinbar ohne den Antworten viel Gewicht beizumessen. (Und doch: Ausgewählte Antworten schickt sie wöchentlich per E-Mail als Report an die Eltern.) Furby, das bespielt werden will, wenn es wach ist. Es gibt Eltern, die wünschen seinem Erfinder auf Facebook "einen speziellen Platz in der Hölle".

Barbie (singt): Der schönste Tag geht nie vorbei / Lass ihn für immer sein, drück auf Replay / Der schönste Tag, er sagt dir was / Wir alle zusammen behalten ihn in Erinnerung / den schönsten Tag / Oh, oh, oh, oh . . . Ein Kind brauchen diese Kinderspielzeuge nicht. Strom genügt. Barbie: Meine Batterie muss aufgeladen werden. Bitte verbinde mich mit der Ladestation. Furby: Schnrrr. Uachachacha. Schnrr. Uachachacha.

Offenlegung: Alle Sätze kamen aus den Lautsprechern der Spielzeuge. Um die Unterhaltung in Gang zu bringen, wurde gelegentlich eine Taste gedrückt. Barbie wurde ins Deutsche übersetzt, damit sie den anderen Spielzeugwesen verständlich war. Die Gesprächsteilnehmer: "Hello Barbie", 2015, von Toy Talk und Mattel (82 Franken, bisher nur in den USA erhältlich). "Furby Broom" von Hasbro, aktuellste Version (35 Franken). "My Friend Cayla" von Vivid Toys (77 Franken). Das "Laberhündchen" von Winfried Kögler (16 Franken). "Minion Kevin" von Mondo Thinkway Toys (55 Franken).

JAKOB VICARI ist Wissenschaftsjournalist; er lebt in Lüneburg (D). Rétablir l'original