Nilla Fischer ist die Kapitänin der Frauenmannschaft des VfL Wolfsburg. Auf ihre Initiative hin spielen alle Kapitäne des Vereins mit einer regenbogenfarbenen Kapitänsbinde. Wie es dazu kam, erklärt sie im Interview.
Nilla Fischer, Sie gehen als Fußballerin nicht nur offen mit Ihrer Homosexualität um, sondern setzen sich für den Kampf gegen Homophobie ein. Warum?
Es ist unglaublich wichtig, Akzeptanz für jeden Menschen und jede Lebensform zu erschaffen. Wenn ich auch nur eine einzige Person mit meinem Engagement stärke, würde mich das sehr glücklich machen. Es ist gut, dass Homosexualität in den letzten Jahrzehnten in den meisten Bereichen der Gesellschaft stark an Akzeptanz gewonnen hat.
Warum ausgerechnet im Fußball noch nicht?
Fußball ist eine der letzten großen Männerdomänen. Ein Beispiel dafür ist, dass an wenigen Orten in unserer Gesellschaft noch so abfällig über Frauen geredet wird, wie in Fußballkneipen oder Stadien. In so einem rauen Klima ist es als Spieler natürlich schwer, anders zu sein oder durch etwas so intimes wie der eigenen Sexualität herauszustechen. Aber ich glaube, Männer haben es da noch mal schwieriger als wir Frauen.
Ich war natürlich noch nie in einer Männerkabine, aber ich kann mir vorstellen, dass dort die Dynamik ganz anders ist, als bei uns Frauen. Meine Theorie ist, dass Männer es im Fußball noch schwerer als anderswo haben, mit weiblichen Charaktereigenschaften konnotiert zu werden. Fußball ist ein kampfbetonter Sport. Da gilt es vor allem im Amateurbereich, untereinander besonders männlich zu wirken. Im Profifußball hat sich in den letzten Jahrzehnten viel getan. Ich kann mir nicht vorstellen, dass ein schwuler Fußballprofi Anfeindungen innerhalb der Mannschaft zu befürchten hätte. Trotzdem gibt es in den europäischen Topligen keinen einzigen offen schwulen Fußballer.
Wie erklären Sie sich das?Das liegt daran, dass männliche Fußballprofis auch neben dem Platz so viel Aufmerksamkeit erhalten. Viele möchten anscheinend eine solch intime Angelegenheit mit so einer großen Öffentlichkeit nicht teilen. Wenn man dann auch noch Angst haben muss, von Fans angefeindet zu werden, ist es durchaus verständlich, dass es keinen offen schwulen Fußballprofi gibt. Und diese Angst ist leider berechtigt.
Im Gegensatz zu Thomas Hitzlsperger, der sich erst nach seiner aktiven Karriere outete, hatten Sie Ihr Coming Out schon am Anfang Ihrer Laufbahn. Wie war das?Das war zum Glück sehr einfach. Ich habe zu der Zeit noch in Schweden gespielt und wurde im Rahmen eines Interviews gefragt, ob ich Single bin oder eine Beziehung habe. Darauf konnte ich ganz locker antworten, dass ich eine Freundin habe. Das hatte ich nicht geplant, aber es schien mir der perfekte Moment für mein Coming Out zu sein.
Ich habe das Glück, dass mich meine Familie und meine Freunde immer bedingungslos unterstützten. In meinem engeren Umfeld hatte ich daher nie Probleme. Das war für mich natürlich ein wichtiger Moment, aber dass dieses Interview später zu so einem großen Thema in den schwedischen Medien wurde, hat mich überrascht. Auch wenn die generelle Stimmung eher positiv war, haben mich auch viele Hassnachrichten erreicht und ich habe sogar Morddrohungen bekommen. Genau deswegen ist es so wichtig, gegen Homophobie im Fußball zu kämpfen.
Sie selbst engagieren sich stark. Sie sind Botschafterin für Gleichberechtigung und Toleranz.Ja, das ist mir wichtig. Ich trage bei jedem Spiel eine Kapitänsbinde in Regenbogenfarben um mich gegen Homophobie einzusetzen. Das handelt mir viel Hass in den Sozialen Medien ein. Diese Kommentare tun mir zwar weh, aber sie zeigen auch warum es sich lohnt, dieses Zeichen zu setzen. Jetzt tragen alle Mannschaftskapitäne von VfL Wolfsburg, vom Kapitän der F‑Jugend bis zu Joahua Guilavogi von der Bundesligamannschaft, diese Kapitänsbinde. Dass sich der ganze Verein so stark mit diesem Thema auseinandersetzt, macht mich sehr stolz für Wolfsburg zu spielen.
Der Wolfsburger Josip Brekalo sagte in einem Interview: „Das spezielle Symbol für die Einstellung anderer Leute möchte ich nicht tragen“. Wie haben Sie auf diese Aussage aufgenommen?
Das war eine blöde Reaktion. Die Regenbogenfahne ist kein Zeichen für Homosexualität, sondern unterstützt und zelebriert die Vielfalt von Lebensformen. Es ist schade, dass sich Herr Brekalo so negativ gegen dieses Symbol für Akzeptanz geäußert hat, aber es ist nur eine einzelne Haltung. Viele Spieler wie Koen Casteels oder Joshua Guilavogui unterstützen meine Initiative auch in den Medien und haben keine Sekunde lang in Frage gestellt, ob wir diese Aktion weiterführen sollen. Da habe ich viel Rückhalt vom Verein und den restlichen Spieler gespürt.
Hatten Sie die Möglichkeit, mit Josip Brekalo zu sprechen?
Nein, hatte ich nicht, aber es wäre bestimmt interessant, mit ihm darüber zu sprechen. Ich glaube, es ist wichtig, sich untereinander auszutauschen. Viele Menschen haben eine abwertende Grundhaltung gegenüber Homosexualität, weil sie grundsätzlich nie damit in Berührung kommen. Kommunikation würde da auf jeden Fall helfen. Trotzdem muss ich ehrlich zugeben, dass ich momentan keine große Lust darauf habe, mit ihm darüber zu reden.
Wünschten Sie sich manchmal ein größeres Zeichen im Männerfußball?
Jeder – nicht nur als Fußballprofi sondern auch als Mensch – muss für sich selbst entscheiden, ob und wie er sich für Toleranz und Gleichberechtigung einsetzt. Und es ist klar, dass jeder Fußballprofi mit großer Reichweite und Strahlkraft auch eine gewisse Verantwortung hat. Ob man seine eigene Sexualität mit der Öffentlichkeit teilt ist eine komplett private Angelegenheit, die jeder mit sich selbst ausmachen muss. Dazu sollte sich niemand gedrängt fühlen. Aber ich würde mich sehr darüber freuen, wenn zumindest mehr Männer ihre Reichweite nutzen würden, um sich gegen Homophobie auszusprechen. Der Effekt wäre da natürlich viel größer, als bei mir.
Glauben Sie, es wird irgendwann eine Zeit geben, in der es selbst im Fußball komplett egal ist, was für eine Sexualität die Spieler haben?
Das wäre natürlich traumhaft. Momentan hat man aber eher das Gefühl, dass sich unsere Gesellschaft in Themen wie Toleranz und Weltoffenheit wieder zurückentwickelt. Anders lässt sich der Zuspruch für den aktuellen amerikanischen Präsidenten nicht erklären. Das ist eine beunruhigende Entwicklung, die sich selbst hier in Europa beobachten lässt.
Das gilt nicht nur für Homophobie und Fremdenfeindlichkeit. Auch Sexismus scheint wieder salonfähig zu sein.
Das stimmt. Jeder muss einfach kurz nachdenken, bevor man etwas sagt oder tut. Viele verletzende und sexistische Situationen könnten so vermieden werden. Ein bisschen Sensibilität würde uns allen gut tun.
Diese Sensibilität hätte auch DJ Solveig bei seiner Ballon‑d’Or-Moderation vertragen können. Als Ada Hegerberg zur besten Fußballerin der Welt gekürt wurde, fragte er sie ob sie twerken könne.
Ada hat sehr gut reagiert. Sie hat einfach „Nein“ gesagt und sich gar nicht erst auf so etwas eingelassen. Ich glaube, dem Moderator war der Sexismus in seiner Frage nicht bewusst. Aber genau das ist der Punkt: Er hat sie unterbewusst auf ihr Geschlecht reduziert und damit einen großartigen Moment überschattet. Da alle Medien natürlich über diese Situation berichtet haben, geriet letztendlich ihr großer sportlicher Erfolg in den Hintergrund. Sie hatte ein großartiges Jahr und hat verdient den Ballon d’Or gewonnen. Nach einer fantastischen Rede darüber, dass Mädchen auf der ganzen Welt den Mut dazu haben sollten Fußball zu spielen, wird ihr diese „Twerking“-Frage gestellt. Das ist schade.
Sie gehören auch zu den größten Fußballerinnen Ihrer Generation. Und trotzdem reden wir nicht über Fußball. Stört Sie das?
Ich rede so viel über Fußball in meinem Leben, da freut es mich, auch mal über andere Themen zu sprechen. Gerade wenn es ein Thema ist, was mir so am Herzen liegt. Ich wünschte mir natürlich, wir wären als Gesellschaft schon einen Schritt weiter und müssten gar nicht erst über Toleranz und Gleichberechtigung reden, aber das ist leider noch nicht der Fall. Und so lange rede ich gerne darüber.