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„Gutterdämmerung“: Der lauteste Stummfilm ever knallt nicht - WELT


Es sollte der „lauteste Stummfilm aller Zeiten“ werden. Zur Berliner Vorab-Premiere von „Gutterdämmerung“ mit Lemmy, Iggy, Slash und Co. hat sich unser Autor durch ein Vier-Gänge-Menü füttern lassen.

In einer späten Szene, es wird gerade die Schlacht um den Rock 'n' Roll entschieden, wird das Dilemma von „Gutterdämmerung“ besonders deutlich: General Lemmy brettert auf einem Panzer durch die Ödnis, Priester Henry Rollins fuchtelt verwirrt mit seinem Revolver auf dem Schlachtfeld hin und her und Josh Homme, von dem man nicht so recht weiß, für wen oder was er da gerade kämpft, raucht in Zeitlupe eine Zigarette bis zum Filteransatz runter, mit einer abgefuckten Lässigkeit, wie sie nur Josh Homme gut steht. Dann feuert er seine Bazooka ab und verschwindet schneller, als er gekommen war, hinter einem Hügel im Niemandsland.

Ein Dutzend Rock-Legenden in einem Film verwursten zu wollen ist per se keine schlechte Idee. Allein: Fast nie sind auch nur zwei von ihnen gleichzeitig im Bild zu sehen. Der Umstand, dass wohl fast alle bekannten Gesichter ihre jeweiligen Einlagen aus Termingründen separat vor dem Greenscreen aufnehmen mussten, lässt das filmische Gerüst von „Gutterdämmerung“ seltsam lose wirken. Die eigentliche Handlung musste auf ein Minimum gestutzt werden, damit die Bilder überhaupt noch als Ganzes funktionieren können - und das tun sie leider mehr schlecht als recht.

Jesse Hughes empfiehlt sich als künftiger Bond-Bösewicht

Dabei hatte doch alles so schön angefangen: Mit Spargel und Spare Ribs und einem hämisch grinsenden Jesse Hughes mit Pfeife im Mundwinkel. Der Sänger der Eagles of Death Metal, Bataclan-Überlebender und Waffennarr, fühlt sich sichtlich wohl in seiner Rolle als Pfeife rauchender Kopfgeldjäger. In der Eröffnungsszene verfolgt er im Oldtimer-Cabrio auf einem Salzsee ein wehrloses Pärchen und empfiehlt sich nicht zuletzt wegen seines immer imposanter wirkenden Schnurrbarts als künftiger Bond-Bösewicht. Hughes ist einer der wenigen, deren schauspielerische Leistung über ein paar Cameo-Zeilen und eine Namensnennung im Abspann hinausgeht. Und die Verfolgungsjagd auf dem Salzsee ist eine der wenigen Szenen, bei der man dem schwedischen Regisseur Björn Tagemose dankbar ist, diesen Film gedreht zu haben.

Tagemose, im Brotjob Modefotograf, ist der Kopf hinter dem ambitionierten Konzept, das Verhältnis des Menschen zum Rock 'n' Roll in einem Schwarz-Weiß-Stummfilm mit musikalischer Begleitung zu erzählen. David Bowie, Keith Richards und Jimmy Page, der ursprünglich den lieben Gott höchstpersönlich spielen sollte, konnte er für sein Regiedebüt nicht gewinnen, gereicht hat es aber immerhin für eine Gästeliste, die schon so beachtlich genug ist: Neben den bereits Genannten spielen Grace Jones, Slash, Mark Lanegan und Tom Araya von Slayer mit, Justice, Volbeat und Nina Hagen tauchen immerhin in Kurzeinsätzen auf. Einige dieser Künstler, zum Beispiel Jones, kannte Tagemose bereits von seiner Arbeit an Musikvideos, andere hat er sich rasch zusammentelefoniert.

So wird aus purem, noch genießbaren Trash Lächerlichkeit

Die Story ist schnell erzählt: Ein gefallener Engel namens Vicious, gespielt von Iggy Pop, der mit Flügeln und schwarzen Augen übrigens hervorragend aussieht, schleudert eine Gitarre zu den Menschen auf der Erde herab. Die fangen an, sich zu streiten und führen am Ende sogar einen Krieg um die Frage, ob der Rock 'n' Roll nun eine Sünde sei oder nicht. Henry Rollins, gottesfürchtiger Priester, ist erklärter Feind des Rock und brandmarkt jeden, der in der Gitarre ein Symbol für die Freiheit des Menschen sieht. Doch über Leben und Tod darf zum Schluss nur Grace Jones richten, die zwar ohne Augenbrauen, dafür mit gigantischer Sense ausgestattet, zwischen Himmel und Hölle vermittelt.

Dabei findet „Gutterdämmerung“ auf gleich drei Ebenen statt, bei dieser Vorpremiere in einem Berliner Klub sogar auf einer vierten, kulinarischen, da die Gäste an mehreren langen Tafeln sitzend mit einem Vier-Gänge-Menü durch den Abend gefüttert werden - irgendwie muss man die Ticketpreise von teilweise abenteuerlichen 180 Euro rechtfertigen. Der eigentliche Film läuft auf einer durchsichtigen Leinwand, eine Begleit-Band spielt dahinter. Vor dem Vorhang laufen immer wieder singende, Weihrauch schwenkende Mönche und Nonnen auf und ab. Einer der Männer in Kutte fungiert als eine Art Erzähler, der mit Bibel in der Hand große Reden schwingt und das Publikum ständig zum Skandieren unsinniger Parolen aufruft. So wird aus purem, noch genießbaren Trash Lächerlichkeit.

Dass das Geschehen ständig zwischen diesen Ebenen hin und her pendelt, macht es nicht gerade leicht, sich auf alles einzulassen, was man sieht. Während Slash in einem offenen Sarg vor der Kirche entlanggetragen wird, schummelt sich der Gitarrist der Hintergrund-Band vor die Bühne und spielt mit Zylinder auf dem Kopf ein schlimmes Solo mit noch schlimmeren Posen – und steht dabei auch noch im Sichtfeld.

Überhaupt, die Band: Für Coverband-Verhältnisse ganz okay, spielen die Männer hinter der Leinwand Lieder von Black Sabbath, Led Zeppelin, Motörhead, Nirvana und anderen. Die Auswahl könnte vorhersehbarer nicht sein und klingt naturgemäß stets wie ein dünnes Destillat des Originals. In der letzten Szene läuft beispielsweise „The End“ von The Doors – da hätte man schon etwas kreativer sein dürfen. Außerdem übertönt die Musik den einen oder anderen Dialog.

Gesprochen wird nämlich ganz schön viel. „Gutterdämmerung“ ist in Wahrheit nicht im geringsten ein Stummfilm, auch wenn er als solcher beworben wird, und auch die Band ist nur selten für die musikalische Untermalung der Bilder verantwortlich, sondern drängt sich zu häufig auf. Dieses ganze Event kann sich nicht entscheiden, was es letztlich sein will: ein sehr langes Musikvideo? Eine lose Aneinanderreihung von Cameo-Auftritten, die pflichtbewusst mit einer warmen Runde Applaus gewürdigt werden? Oder einfach der Versuch, so viele Stars wie möglich in einen Film zu quetschen, dem es an allem mangelt außer an Stars? In schlimmen Momenten riecht „Gutterdämmerung“ nach Bier und Männerschweiß. In guten sehen wir eine passable Hommage, die man mit etwas Mühe liebgewinnen kann.

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