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Stavanger, Norwegen: "Kreuzfahrtschiffe zerstören unsere Idylle

So sieht es fast jeden Tag in Stavanger aus: Ein großer, stinkender Kreuzfahrer liegt vorm Fenster, dagegen sind die Häuser am Hafen klein wie ZwergenbautenFoto: ddp/imageBROKER/Herbert Berger

Alt-Stavanger an der Westküste Norwegens gehört zu den schönsten Orten Skandinaviens. Die 173 Holzhäuser sind 200 bis 300 Jahre alt und werden von ihren Bewohnern liebevoll gepflegt. Es gibt Geschäfte, kleine Galerien, schnuckelige Cafés und einen unbezahlbaren Blick auf den Fjord. Schöner kann man nicht wohnen - wären da nicht die riesigen Kreuzfahrtschiffe. Den Anwohnern stinkt es

Die Einheimischen können keinen Schritt mehr gehen, ohne von Touristen beobachtet zu werden. „Wir haben nichts gegen Touristen, aber wir wollen nicht, dass sie beim Mittagessen plötzlich bei uns auf dem Teller sitzen", schimpft Bernt Posch in der Zeitung „Dagbladet". „Jeder einzelne Tourist ist bestimmt ein netter Mensch, aber in diesen Massen ist es für uns Anwohner sehr schwierig." Was ihn außerdem ärgert: Die Schiffe zerstören ihm die Aussicht. Früher blickte Posch auf den Fjord, heute nur noch auf hohe, weiße Schiffswände.

Henning Iversflaten fühlt sich nicht einmal mehr in seinem eigenen Garten wohl. „Einige Touristen kommen einfach durchs Gartentor. Oder sie gehen sogar ins Haus. Sie glauben, das sei ein Museum. Ich muss jetzt dauernd alles absperren. Als ich vor 20 Jahren hierherzog, kamen 34 Schiffe in einem Jahr. Heute sieht es ganz anders aus. Wir sind so weit, dass ich nur nach den Ankunftszeiten der Schiffe meine Pläne machen kann. Ich kann nicht einkaufen gehen, wenn gerade wieder die Touristen kommen. Ich komme mit meinen Einkaufstüten nicht einmal zu meiner Tür."

Die Schiffe bringen Massen an Touristen nach StavangerFoto: Günter Gräfenhain/HUBER IMAGES

Es stinkt den Anwohnern und die Häuser verdrecken

Um die Jahrtausendwende kamen 30 bis 40 Kreuzfahrtschiffe pro Jahr nach Stavanger. 2019 sind es 250 Schiffe. 2020 sollen es 290 sein! Der Touristenverband hofft sogar auf 300 Schiffe. Jedes Schiff kommt mit Tausenden Menschen - und jedes Schiff verschmutzt die Luft etwas mehr. Ziel ist es offiziell, dass nicht mehr als 9000 Touristen pro Tag die Stadt besuchen. Da die Schiffe aber immer größer werden, wird das laut Touristenverband schwierig einzuhalten. Gunhild Vevik vom Fremdenverkehrsamt Stavanger: „Das Wichtigste ist ein zusammenhängender Plan. Dass wir beispielsweise von den Schiffen Umweltfreundlichkeit fordern und dass wir mit anderen Städten zusammenarbeiten." Das kann jedoch noch dauern. Aktuell haben die Anwohner ganz andere Sorgen. Ihre Häuser verdrecken wegen der Schiffe. Früher reichte ein ordentlicher Frühjahrsputz und die Holzhäuser strahlten den ganzen norwegischen Sommer lang. Heute ist diese Mega-Arbeit alle paar Wochen fällig.

„Die Hilfsmotoren laufen Tag und Nacht"

Unni Karoline Bakke lebt seit 20 Jahren in Alt-Stavanger. „Wir müssen die Wände ständig abwaschen. Die Hilfsmotoren der Schiffe laufen oft Tag und Nacht. Wir müssen alle Türen und Fenster geschlossen halten, so verdreckt ist die Luft. Wir können nirgendwo mehr sein. Diese Schiffe zerstören unser Wohlbefinden, die Ästhetik der Stadt und die Umwelt. Oft können wir nicht aus dem Fenster schauen, weil die Schiffe so nah sind. Man bekommt Klaustrophobie." Henning Iversflaten muss nicht nur die Wände waschen. Er putzt sogar täglich die Fenster. „Die Touristen schauen durch die Fenster direkt zu uns rein und drücken ihre Gesichter ans Glas. Das Fenster ist jeden Tag voller neuer Flecken." Unni Bakke: „Mich ärgert, dass man keine Grenze gezogen hat. Dass man es einfach so nimmt, wie es kommt. Warum können die Schiffe nicht vor der Stadt anlegen und dann mit Bussen herfahren? Warum müssen sie direkt vor unserer Haustür anlegen?" Die Anwohner fordern von ihrer Stadtverwaltung und vom Touristenverband eine baldige Lösung. Erste Vorschläge wurden jedoch zurückgewiesen. Einige Bewohner von Alt-Stavanger denken inzwischen sogar daran, ihre Häuser zu verkaufen und wegzuziehen. Wenn nichts passiert, scheint das für viele die einzige Lösung zu sein.

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