Das Modekarussell sei aufgrund zu hoher Geschwindigkeit außer Kontrolle geraten, schreibt die Starjournalistin Suzy Menkes. Das Mitgefühl ihrer Leser hält sich in Grenzen. Sie fordern Nachhaltigkeit und Konsumentennähe.
Der Artikel "Sign of the Times - The New Speed of Fashion" erschien am 23. August in der Online-Ausgabe der New York Times. Darin klagt Suzy Menkes, die einflussreiche Journalistin, der die Modeindustrie an den Lippen hängt, über Händler, die auf den Shows nur Unverkäufliches zu sehen bekommen, Designer, die überfordert sind, monatlich neue Kollektionen zu entwerfen und Konsumenten, die im Winter keinen Wintermantel mehr kaufen können. In Menkes Argumentation scheint die Situation ausweglos. Auch wenn sie die Beschleunigungsfaktoren und Auslöser des Dilemmas ortet: Online-Shops und Fast-Fashion Ketten. Problematisch an den Fast-Fashion Ketten - H&M, Topshop, Zara, Target und J.Crew - sei, dass sie ihre Version der Laufstegware bereits im Verkauf haben, bevor die Designerkollektionen nach einer Produktionszeit von sechs Monaten noch in den Stores eingetroffen sind. Das Phänomen des "Online-Shopping" handelt Menkes ebenfalls relativ kurz ab, indem sie es darstellt als eine Erlebnisreduktion auf den Kaufreiz und die Gewissheit etwas vor allen anderen zu haben. Aus Menkes' Perspektive kann sich also nicht nur die Industrie, sondern auch der Konsument der Hetze nach dem ständig Neuen nicht mehr entziehen. Worauf die Journalistin nicht eingeht: Dass der positive Nutzen der Omnipräsenz via Internet für Luxusbrands, die bisweilen eher die Politik der Zurückhaltung und der limitierten Editionen verfolgten, immer noch fraglich ist. Weil es einen inflationären Aspekt ins Spiel bringt und die Arbeit der Kopisten erleichtert. Unvereinbar: Mode und Logik
Wie zuletzt John Galliano's Burn-Out und Alexander McQueens Suizid gezeigt haben, leiden die Designer unter dem Leistungsdruck acht bis zehn neue und frische Kollektionen jährlich kreieren zu müssen. Aber Menkes weiß, dass auch die CEO's klagen - wenn auch hinter vorgehaltener Hand. Sie kämpfen mit dem erhöhten Kostendruck, den die Flut an Kollektionen mit sich bringt. Gleichzeitig wissen die Ökonomen, dass die "Resort"-Kollektionen nicht nur zum unverzichtbaren globalen Promotion-Instrument sondern auch zum Umsatzfaktor geworden sind. Die Verkäufe erreichen bis zu dreiviertel des Jahresumsatzes einer Brand. Menkes führt dieses Phänomen auf das markttauglichere Design der Linien zurück. Zu erwähnen ist, dass Menkes ausschließlich von den "fat-cat corporations" spricht, das sind die Konzerne, die im Besitz der großen Luxusbrands sind. Kleinere Unternehmen könnten sich die vielen Kollektionen gar nicht leisten. Menkes kommt in dem Artikel zu keinem Schluss - außer jenem, dass noch nie jemand behauptet habe, dass Mode und Logik gut zusammenpassen ... Soviel zur Argumentation der Journalistin. Weit interessanter allerdings die 37 Leserkommentare, die sich in drei Wochen angesammelt haben und eher die Lücken in Menkes Bericht kommentieren, als ihre ausgedehnten Argumente: Drei Leser aus New York kritisieren die Oberflächlichkeit des Artikels. Eine weibliche Leserin meint, dass Menkes nichts Neues erzähle. Ein männlicher Leser stellt fest, dass jeder in der Modeindustrie Beschäftigte - inkl. Beobachter - zu sehr gefangen sei, um die zugrundeliegenden Probleme zu erkennen. Ein dritter ebenfalls männlicher Leser vermutet in Menkes vorsichtiger Argumentation die Furcht, nicht mehr zu den Shows eingeladen zu werden.
Mode "für" die globale Erwärmung ...?
Zu diesen grundsätzlichen Lesereinschätzungen passt, dass die Journalistin "Nachhaltigkeit" in ihrem Artikel nicht explizit erwähnt, der Begriff aber dennoch von den Lesern am stärksten thematisiert wird - angeregt von folgender Äußerung: "Durch die Veränderung der traditionellen saisonalen Klimabedingungen durch die globale Erwärmung sowie einem globalen Markt, der Kleidung fordert, die im feuchtwarmen Singapur genauso passt, wie im tieffrostigen Russland und den verkehrten Saisonen in Australien, könnten alle diese monatlich frischen Shows aus Kundensicht logisch erscheinen." Wollte Menkes mittels globaler Erwärmung den gesteigerten Output der Modeindustrie rechtfertigen, so denken ihre Leser bei dem Begriff eher an die überproduzierende Modeindustrie als Verursacher der globalen Erwärmung. Ein Leser aus Boston sieht in Menkes' Äußerung "die vielleicht schrecklichste Referenz auf die globale Erwärmung", die ihm je untergekommen sei, da die Modeindustrie der globale Führer in der Forcierung von Wertverlust sei. Eine Leserin aus New York schreibt nicht ohne Sarkasmus, dass sie sich auf wetterbedingte Naturkatastrophen, die durch die globale Erwärmung wahrscheinlicher werden, mit monatlichen Modeschaubesuchen und dem Kauf von Resort Cocktailkleidern vorbereiten werde ...
Wollte Menkes mittels "globaler Erwärmung" den gesteigerten Output der Modeindustrie rechtfertigen, so denken ihre Leser bei dem Begriff eher an die überproduzierende Modeindustrie als Verursacher der globalen Erwärmung.Ein weiteres Thema, das Menkes nicht näher ausführt, ist die Produktion am Konsumenten vorbei. Dabei werfen die Leser der Modeindustrie u.a. unwirtschaftliches Denken vor. Ein Leser aus Atlanta klärt Menkes über die Marktgesetze von Angebot und Nachfrage auf. Im Vergleich zu dem geringen Kundenpotential sei das Angebot in der Luxusmodeindustrie zu groß und ein Sinken der Preise geradezu typisch für eine geringe Nachfragesituation, so der Kommentator. Gegenreaktion des Konsumenten
Kritisiert wird von den Lesern aber auch die Manipulation des Konsumenten, dem die Industrie über die Vorgabe von Idealen vermittle, dass er immer neue Produkte brauche. Der wohl vernichtendste Kommentar dazu kommt von einem Leser aus der Schweiz: "Wäre es verwegen, zu hoffen, dass eine Industrie die verantwortlich ist für Tod und Körperverletzung von Arbeitern in der Bekleidungsproduktion aufgrund unsicherer Bedingungen, für den Tod und die Erkrankung junger Frauen aufgrund von Anorexia und Bulimie, die Auslöschung der Selbstachtung von Millionen von Frauen und Mädchen, einfach implodieren und verschwinden würde?" Selbst die Exklusivität der Produkte wird von den Lesern in Frage gestellt. Trotz ihrer enormen kreativen Bemühungen wirft man den Luxusbrands also ein einförmiges Angebot vor - und einen Qualitätsverlust noch dazu ... Ein Leser aus Kanada merkt an, dass Couture, Bekleidungsindustrie und Einzelhandel zunehmend mit dem Risiko buhlen, eine Gegenreaktion der Konsumenten zu erhalten. Wie eine Gegenreaktion aussehen könnte, führt ein Leser aus San Francisco aus, der das Ende des auffälligen Konsums bereits nahen sieht. Denn schon jetzt sei Mode in das Reich gieriger B-Listen Promis, Botox-gespritzter Damen, goya-esquen Matriarchen und ungehobelten Oligarchen eingegangen, so sein Kommentar. Weiterentwicklung statt Opferhaltung
Es ist aber nicht nur blanke Ablehnung, die der Modeindustrie in den Postings entgegenschlägt. Einige wenige Leser zeigen auch Empathie. Ein Leser aus Philadelphia sieht die traurigste Konsequenz der "High-Speed Fashion" im Mangel an Wertschätzung für den Kreationsprozess. Ein Leser aus New York bedauert das hässliche Bild, das die Modeindustrie nach außen abgibt. Zitat: " ... die Kunden kriegen die fieberhafte Energie, das Ego, die Gier und die Angst der Industrie mit und das ist nicht attraktiv. Es beeinflusst die Konsumentenloyalität und die Kaufbereitschaft negativ." In der Kritik am herrschenden Businessmodell der Modeindustrie fällt mehrmals das Wort "disruption", das soviel bedeutet, wie die Ablöse eines Marktkonzeptes durch ein neues. Vermehrt wird in dem Zusammenhang auf die Absatzprobleme referiert, die der Musikindustrie aus dem Internet erwachsen sind. Ein Leser aus Miami Beach fordert die Branche auf, sich weiterzuentwickeln, "um dem Zusammenbruch zu entgehen, den die neuen Technologien mit sich gebracht haben". Last but not least erhält Menkes auch ein Lob von einem Leser aus Boston: "Großartiger Bericht, Suzy! So wahr. Früher oder später werden die fat-cat corporations die Kreativität in der Mode töten ... Hildegard Suntinger Link zum Artikel: http://tmagazine.blogs.nytimes.com/2013/08/23/sign-of-the-times-the-new-speed-of-fashion/?_r=2
Erschienen in TZ 18, 19.09.2013
Mode und Medien