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Es klappt wieder

Smarte Einrichtung auf engstem Raum: Tagsüber werden Schrankbetten zu Schreibtisch, Regal oder Ablage.

Ob als spartanische Bettstatt oder in Luxusausführung: Das Schrankbett ist zurück! Über das Revival eines Möbelstücks – das die meiste Zeit unsichtbar ist. 

Die Begegnung zwischen James Bond und seinem Schrankbett ist kurz und endet in der größtmöglichen Katastrophe für beide. Um seinen Verfolgern zu entkommen, verschwindet der Geheimagent im 007-Klassiker „Man lebt nur zweimal" samt Bett in der Schrankwand. Das Versteck fliegt auf, die Verfolger zerschießen die Bett-Schrank-Konstruktion, und in der nächsten Sequenz liegt Bond regungslos an der Wand.

Regisseure haben das Schrankbett auffallend oft als Falle für ihre Helden genutzt. Charlie Chaplin scheitert beim Versuch, ein Schrankbett aufzubauen. In der amerikanischen Fassung von „Dick und Doof" (Laurel and Hardy) erschlägt das Bettgestell den dicklichen Hardy. Die Leinwand bot dem Möbelstück eine Bühne, die es in den kommenden Jahrzehnten nicht mehr bekommen sollte. Das Schrankbett verschwand eingeklappt in der Wand, schleichend aus Möbelkatalogen und irgendwann aus deutschen Wohnhäusern.

Schrankbett, das klang nach haselnussbrauner Viermeterwohnwand, nach drückenden Sprungfedern im Rücken und ungemütlichen Nächten im Gästezimmer der Schwiegereltern. Heute entwerfen italienische Möbeldesigner mehrmals im Jahr Kollektionen, die im Preissegment eines neuen Fiat-Modells liegen. Geschäftsleute in Maßanzügen bestehen auf das Comeback-Mobiliar in Maßanfertigung. Schrankbetten sind Exportschlager. Schrankbetten sind Lifestyle. Woher kommt der neue Glanz für ein vergessen geglaubtes Möbelstück?

Die Vorzüge des klappbaren Bettgerüstes sind genauso schnell erklärt wie das Prinzip hinter der Konstruktion. Hinter einer unscheinbaren Schrankfläche ist passgenau eine Matratze eingelassen. Tagsüber verschwindet das Bettlager in der Wand, um abends mit einem beherzten Handgriff ausgeklappt zu werden. Scharniere verbinden die Schrankwand mit dem Bettgestell, Sprungfedern lassen die Liegefläche sanft in den Raum gleiten. Ausklappen, schlafen, einklappen, aufgeräumt. Schrankbetten hatten schon im 18.Jahrhundert ihren Platz in Bauernhäusern. Sie führten sprichwörtlich ein Nischendasein. Im schmalen Gang zwischen Wohn- und Wirtschaftsbereich fanden hier Dienstboten ihr spartanisches Nachtlager. Im Deutschland der Nachkriegszeit war der bewohnbare Raum so begrenzt, dass sich die Bettform abermals als funktionale Schlafstätte etablierte. Auch in Plattenbauten der DDR waren einfachste Klappbetten zu Hause. Schrankbetten galten als Inbegriff des Smart Livings, bevor das Wort „Smart Living", überhaupt existierte.


Es war nie weg, aber eben auch nicht sexy

Doch dann brach die Zeit an, in der die Wohnräume größer und Platz nicht mehr zum limitierenden Faktor wurde. Von da an musste das Schrankbett um seine Daseinsberechtigung kämpfen. Komplett weg war es eigentlich nie, aber auch nicht sexy. Oftmals fehlte dem funktionalen Bett ein Lattenrost. Nur wenige Matratzen waren dafür geeignet, tagein und tagaus mit ungewaschenem Bettzeug in eine Holzverkleidung gepresst zu werden. Der Zustand vieler Matratzen der sechziger und siebziger Jahre ist mit „hygienisch fragwürdig" noch wohlwollend umschrieben.

Der Sprung in das heutige Schrankbetten-Zeitalter könnte größer nicht sein. Wenn Christoph Brenner über Schrankbetten spricht, dann bekommen die Möbelstücke klangvolle Namen: Tango Componibile, Nuovoliolà oder Ulisse Dining. Seit 1996 vertreibt Brenner funktionale Möbel der italienischen Marktführer Clei, Campeggi und Instabilelab. „Zwischen den quietschenden und knarzenden Modellen der Nachkriegszeit und den aktuellen Designerkollektionen liegen Lichtjahre", sagt Brenner. In den Anfangsjahren musste er sich noch mühsam einen Kundenstamm aufbauen. Mittlerweile stünden die Interessenten an seinen Messeständen Schlange, sagt er.

Jahr für Jahr werden die Auftragsbücher des Familienunternehmens dicker. In den vergangenen Jahren stand nach eigenen Angaben immer ein Umsatzwachstum im zweistelligen Bereich. Horrende Mietpreise in Ballungsräumen, urbane Mikroapartments, Smart-Living-Konzepte und Tiny-House-Bewegungen haben das klappbare Bett wieder aus der verstaubten Schrankwand gehoben. „In Metropolen wie Paris, Mailand oder Rom ist die Nachfrage nach Funktionsmöbeln schon seit Jahren hoch. Seit drei, vier Jahren erlebt auch der deutsche Markt einen extremen Wachstumsschub", beobachtet Brenner.


Teure Einzelanfertigung statt Massenware

Traditionell übernehmen italienische Hersteller in der Branche eine Vorreiterrolle. In der norditalienischen Provinz Como, auf halber Strecke zwischen Lago Maggiore und Mailand, hat sich es Clei seit 1962 zur Aufgabe gemacht, Stil und Funktionalität zu verbinden. Mit Blick in die Hochglanzbroschüre der Italiener sind die Erinnerungen an schlaflose Nächte auf durchgelegenen Schrankbett-Matratzen urplötzlich ganz weit weg. Das Modell Penelope 2 Sofa kündigt der Hersteller als Doppelfunktionstransformationssystem mit einem Kipp-Doppelbett sowie patentiertem CF09 Lattenrost an. Tagsüber verwandelt sich das Bett in ein Sofa mit Rückenlehnen aus reiner Baumwolle. Es gibt das Stockbett für zwei, das sich wie eine Ziehharmonika aus dem Schrank ziehen lässt; das Bücherregal, auf dessen Rückseite sich ein hochgeklapptes Bett versteckt. Auch eine Kombination aus Bett und Schreibtisch fehlt nicht. Und in vielen Bettschrankbetten gehören USB-Anschlüsse zum Standard. Die Preise für das Vielseitigkeitsmobiliar aus den italienischen Designstätten klettern auch ohne ausgefallene Sonderwünsche schnell in den fünfstelligen Bereich.

Christoph Brenner sagt, in seinen Schrankbetten ruhten kleine Träumer in Kinderzimmern, chronisch klamme Studierende, Banker mit gehobenen Komfortansprüchen, Hotelgäste und Klinikpatienten. „Das Bett kann man zwar in eine Schrankwand schieben, aber seine Käufer in keine Schublade.“ Teuren Einzelanfertigungen stehen mittlerweile eine Reihe an preisgünstigen Produkten aus der Massenproduktion gegenüber. Das Schrankbett ist im Mainstream angekommen – oder besser gesagt: im Otto-Versand. Für 220 Euro gibt es dort das spartanisch anmutende Modell „Sognum“ – ein aufgerichteter Bettkasten samt Klappgestell.


In Großstädten ist die Nachfrage hoch

Auch die deutschen Hersteller Nehl, Priess und Möbel Rudolf versuchen, den Wachstumsmarkt mit eigenen Modellen zu bedienen. Bei Möbel Rudolf, einem Familienunternehmen in vierter Generation, hat man sich auf die Produktion hochwertiger Jugendzimmer „made in Germany“ spezialisiert. Seit 2018 verlassen auch wieder Schrankbetten die Fabrikhalle im hessischen Schlüchtern. „Wir haben vorher im kleinen Rahmen Marktforschung betrieben und gemerkt: Insbesondere in Großstädten ist die Nachfrage groß“, sagt Geschäftsführer Rudolf.

Wie viele Schrankbetten der Hersteller mit rund 140 Mitarbeitern jedes Jahr produziert, will der Unternehmer nicht sagen. Das Geschäft sei aber gut angelaufen, heißt es. Auch der Verband der deutschen Möbelindustrie kann das Comeback des Möbelstücks nicht in Zahlen ausdrücken. „Das Potential ist aber noch deutlich größer als der aktuelle Marktanteil“, urteilt Verbandsfrau Ursula Geismann. Gut ein Drittel der hierzulande produzierten Möbel werden exportiert. Und insbesondere in Asien oder Nordamerika sei die Nachfrage nach smarter Einrichtung auf engstem Raum ungebrochen, sagt Geismann.

Wer auf der Online-Pinnwand Pinterest „Schrankbett“ eingibt, bekommt einen guten Eindruck, wie groß das Interesse gegenwärtig ist. Tausende Beispiele zeigen, wie man ein platzsparendes Schrankbett nutzt oder selbst baut. Mit dem englischen Begriff „Murphy bed“ sind es noch mehr Treffer. Der amerikanische Opernsänger Murphy war es auch, der sich die Bettkonstruktion 1911 patentieren ließ. Der Legende nach machte ihn die Liebe zu einer jungen Dame erfinderisch. Im Amerika des frühen 20. Jahrhunderts galt es als unanständig, dass eine ledige Frau das Schlafzimmer eines Mannes betritt. Murphy, der in einem Ein-Zimmer-Apartment in San Francisco wohnte, stand vor einem räumlichen Problem. Kurzerhand, so will es die Erzählung, konstruierte er eine Halterung, mit der sein Bett in der Wand verschwand. Der Kniff ermöglichte ein romantisches Treffen in den eigenen vier Wänden. Eher früher als später dürfte dann das Bett auch eine Rolle gespielt haben.

 So nett die Anekdote ist, im deutschen Sprachraum hat sich der Begriff „Murphy bed“ allerdings nicht durchgesetzt. Schrankbett, Wandbett, manchmal auch Klappbett, Hochklappbett, Ausklappbett, Einklappbett oder Einbaubett – es gibt viele Namen, die allesamt sperriger klingen, als das Möbelstück auftreten möchte. Mit der Bezeichnung „Verwandlungsbett“ versuchte der Verkäufer Brenner, dem Bett auch sprachlich einen neuen Anstrich zu verleihen. Er ruderte schnell zurück: „Der Begriff Schrankbett ist einfach zu stark verankert.“ Auch auf dem Fernsehbildschirm feiert das Schrankbett sein Comeback. Für eine kurze Gastrolle zieht es in die Cartoon-Serie „Family Guy“ ein. Die eigentliche Nachricht dabei: Es geht nicht kaputt. Und James Bond? Der Geheimagent hat das Schrankbett im Filmklassiker nur genutzt, um seinen Tod vorzutäuschen. 
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