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Selbstverteidigungskurs gegen Diskriminierung am Arbeitsplatz

Ein Kollege behandelt dich herablassend? Aufgaben sind nicht fair verteilt? Minderheiten werden diskriminiert? Was du gegen Ungerechtigkeiten in deinem Team tun kannst


Meine Kollegen behandeln mich herablassend. Wie kann ich mich behaupten?

Ein Kollege lässt dich nie ausreden, ein anderer hört gar nicht erst zu, und die Chefin nennt dich "Kindchen", wenn du etwas nicht verstehst? Ziemlich unangenehm, ziemlich einschüchternd. Du solltest es nicht auf Dauer hinnehmen. "In einem professionellen Kontext ist die wichtigste Währung immer Souveränität", sagt die Karriere-Beraterin Nina Bessing. "So was sind subtile Formen, sich durchzusetzen." Die Souveränität werde mit solchen Machtspielchen angegriffen. Bessing rät, freundlich zu kontern. Fällt dir etwa jemand ins Wort, weise ihn darauf hin, dass er dich unterbrochen hat, und bestehe darauf auszureden. Eine andere Möglichkeit: einfach weiterreden. Wenn alles nichts hilft, empfiehlt Bessing kurze Ansagen wie "Stopp, ich war noch nicht fertig" und eine entschlossene Körpersprache: "Hör auf zu lächeln, verschränke die Arme, werde ein wenig lauter." Susanne Sommer, die Unternehmen zu Diversity und Konfliktmanagement coacht, rät außerdem, Frechheiten nicht persönlich zu nehmen. Sie erlebe, dass in Konkurrenzsituationen häufig angefangen werde zu diskriminieren: "Dann heißt es schnell: Ach, Frauen sind immer so empfindlich." Eine Abwertung. Trotzdem solle man sich fragen, sagt Sommer, ob es dabei eigentlich um etwas anderes gehe. Greift mein Kollege mich als Frau oder als Konkurrentin an? Gibt es vielleicht einen ganz anderen Konflikt, den wir lösen müssen?


Die Aufgaben in unserem Team sind nicht fair verteilt. Was kann ich tun?

Du hast das Gefühl, keine wichtigen Projekte zu bekommen? Dann kann es helfen, das Thema zunächst mit einer vertrauten Person zu besprechen oder ein Tagebuch über die Benachteiligungen zu führen. Wer das Gefühl hat, unterschätzt zu werden, sollte dagegen vorgehen, rät Susanne Sommer. Ihr Tipp: "Sag nicht, dass du dich unterschätzt fühlst, sondern promote dich." Man solle sich überlegen, welche Aufgaben im Team man gerne übernehmen würde und wann man den Vorgesetzten darum bittet. Wer seine Ideen in einer Gruppe vorstellen muss, kann vorher jemanden einweihen, der ihm dabei beipflichtet. Falls der Vorgesetzte Einwände hat, rät Karriere-Beraterin Nina Bessing: "Sag ihm: Lass mich das mal versuchen, ich möchte mich beweisen." Wenn man sich weiter benachteiligt fühle, könne man das Problem beim Chef ansprechen. Systematische Diskriminierung zu thematisieren, etwa wenn man das Gefühl hat, dass Frauen, People of Color oder anderen Gruppen grundsätzlich weniger zugetraut wird, sei aber eine relativ hohe Eskalationsstufe. Deshalb sollte man sich dafür unbedingt mit Kollegen zusammentun. Wenn deine Potenziale auf Dauer nicht gesehen werden, gebe es nur noch eine Lösung, sagt Nina Bessing: Suche dir einen besseren Arbeitgeber.


Jemand aus dem Team flirtet mit mir – ich will das nicht. Wie setze ich Grenzen?

"Werden Sie aktiv", rät Konfliktmanagerin Susanne Sommer, "aber geben Sie dem anderen dabei eine Chance, sein Verhalten in Zukunft zu ändern." Wenn der Kollege sein Interesse explizit ausdrückt und direkt auf ein Date einlädt, solle man freundlich, aber klar ablehnen. Schwieriger ist das bei subtilen Flirts. Dann rät Sommer, in unangenehmen Momenten das Verhalten des Gegenübers zu beschreiben. Zum Beispiel so: "Du schaust mir gerade sehr lange in die Augen." Wichtig sei, in solchen Momenten auf eine selbstbewusste Körpersprache zu achten, damit die Ansage nicht als Koketterie verstanden werde. Also: aufrecht stehen, Schultern zurück, Kopf gerade.


Sollte der Kollege eine Absage ignorieren, rät Karriere-Beraterin Nina Bessing dazu, im Beisein anderer auf das aufdringliche Verhalten aufmerksam zu machen. Dann könne man die Arme verschränken oder sogar laut werden. "Wenn jemand deine Grenzen nicht respektiert, ist das absolut erlaubt", sagt Bessing. Und wo beginnt sexuelle Belästigung? Klaus Alenfelder, ein Rechtsanwalt, der sich auf Fälle von Diskriminierung spezialisiert hat, definiert das so: "Sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz ist nach dem Allgemeinen Gleichstellungsgesetz jede unerwünschte Handlung sexueller Natur, die den Betroffenen in seiner Würde verletzt." Das kann schon ein anzüglicher Spruch sein und reicht bis zu Stalking, unerwünschten Berührungen oder dem Zuschicken von Nacktbildern. Alenfelder empfiehlt, in jedem Fall den Vorgesetzten zu informieren. Dieser sei rechtlich verpflichtet zu handeln. Das Unternehmen müsse den Vorfall dann aufklären und die betroffene Person vor weiterer Belästigung schützen. Auch durch Sanktionen, also die Abmahnung, Umsetzung oder Kündigung der Person, von der sie ausging. Klaus Alenfelder rät außerdem, sich jede Belästigung möglichst detailliert zu notieren und sich einen Anwalt zu suchen.


Ich fühle mich unwohl, weil ich der einzige Angehörige einer Minderheit bin. Was nun?

Das Wichtigste: So zu empfinden sei nicht ungewöhnlich, sagt die Karriere-Beraterin Nina Bessing. "Wenn man neu in eine Gruppe kommt und feststellt, man hat ein Merkmal, das die anderen nicht haben, führt das manchmal zu Unsicherheit." Denn: "Menschen, mit denen wir uns identifizieren können, vertrauen wir automatisch mehr. Bei anderen brauchen wir länger." Tupoka Ogette, Autorin des Buches Exit Racism, warnt vor dem stereotype threat. Dieses Phänomen beschreibt die Angst, negative Vorurteile gegenüber der eigenen Minderheit zu bestätigen. Eine Angst, die dazu führen kann, dass die eigene Leistung tatsächlich sinkt. Die gute Nachricht: Diese Unsicherheit lässt nach, je besser man einander kennenlernt. "Versuche, dich zu überwinden und umso stärker auf die anderen zuzugehen", rät Nina Bessing. Also: Fragen stellen, am Kaffeeautomaten plaudern oder zusammen zu Mittag essen. Wer in Gruppen eher schüchtern sei, solle sich einzeln verabreden. "Sprich mit deinen Kollegen über Gemeinsamkeiten, aber erzähle ruhig auch davon, was in deinem Leben anders ist", empfiehlt Nina Bessing. So könnten sie lernen, deine Perspektive besser zu verstehen.


Ein Kollege macht einen Witz auf Kosten eines anderen. Wie soll ich reagieren?

Unbedingt intervenieren, meint Nina Bessing. Bei diskriminierenden Witzen oder Beleidigungen sei es die Verantwortung der Gruppe oder einer Führungskraft einzuschreiten. "Das sollte nicht auch noch bei der diskriminierten Person abgeladen werden", sagt sie. Ihr Rat an Kollegen: gar nicht erst mitlachen. Und, wenn möglich, das Problem sofort thematisieren. "Schweigen ist Zustimmung", sagt die Antirassismus-Expertin Tupoka Ogette. Dabei müsse man gar nichts Harsches oder etwas besonders Schlagfertiges erwidern, sagt sie. Es genügt schon zu sagen: "Bei solchen Kommentaren fühle ich mich unwohl." Oder, noch besser, eine Frage zu stellen: "Moment, was passiert hier denn gerade?" Damit zwingt man die Gruppe, die Situation zu reflektieren – und gibt dem Angreifer gleichzeitig die Chance, sich für sein Verhalten zu entschuldigen oder es zu erklären.

Mit den vermeintlichen Gefühlen der diskriminierten Person sollte man nicht argumentieren, wenn sie diese gar nicht selbst geäußert hat. "Das kann übergriffig sein", sagt Tupoka Ogette. Die Konfliktmanagerin Susanne Sommer ermuntert gerade Berufsanfänger, bei Diskriminierungen einzuschreiten: "Denen wird oft noch mehr nachgesehen, die haben Welpenschutz." Wenn diskriminierende oder beleidigende Sprüche regelmäßig vorkommen, sollte man ein Gespräch mit dem Chef ausmachen und ihm das Problem schildern. "Ausgrenzung ist immer ein Thema für die Führungskraft", sagt Nina Bessing. Für den Fall, dass Diskriminierung vom Vorgesetzten ausgeht oder er nicht auf Hinweise reagiert, sind die Gleichstellungsbeauftragte, der Betriebsrat oder der nächsthöhere Vorgesetzte die richtigen Ansprechpartner.


… und wenn ich selbst betroffen bin?

Auf jeden Fall: nicht aus Höflichkeit mitlachen. Stattdessen schweigen, genervt gucken, weggehen, rät Karriere-Beraterin Nina Bessing: "Viele merken dann schon, dass sie zu weit gegangen sind, und reagieren." Wer sich traue, den ermutigt Bessing, unangebrachtes Verhalten deutlich zu kritisieren. Am besten sei es für Betroffene, die Kritik sofort zu äußern. "Sonst muss man später erst eine passende Situation finden, um den Vorfall zu besprechen", sagt sie. "Dadurch wird das Thema für alle noch größer." Konfliktmanagerin Susanne Sommer rät, in der Kritik zwischen dem Beleidiger und seinem Verhalten zu unterscheiden. "Die Person sollte ich nicht abwerten, ihr Verhalten aber schon", sagt sie. Dabei könne man ruhig zeigen, dass einen der Vorfall aufwühlt.

Die Autorin Tupoka Ogette findet es jedoch auch nachvollziehbar, wenn eine betroffene Person nicht jede Diskriminierung gegen sich anspricht. "Ich finde es wichtig, Rassismus da zu thematisieren, wo er stattfindet", sagt sie. "Gleichzeitig bin ich realistisch und weiß, dass ich es oft nicht anspreche, wenn ich die Konsequenzen nicht absehen kann." Außerdem gingen viele Menschen sofort in die Defensive, wenn man ihre Aussagen als rassistisch kritisiere. "Oft ist es dann unmöglich, aufzuarbeiten, was passiert ist, weil sie nur hören: Du bist ein schlechter Mensch. Das verhindert den eigentlichen Dialog." Ähnlich verhalte es sich mit Sexismus, Homophobie oder anderen Formen der Diskriminierung. Wenn man wiederholt abgewertet oder beleidigt werde, rät Nina Bessing, das nicht dauerhaft auf sich sitzen zu lassen. "Dann würde ich zuerst mit der Person, von der es ausgeht, ein Gespräch ausmachen. Und erst wenn das nichts hilft, ein Gespräch mit dem Vorgesetzten."


Ich bin LGBQT und würde mich gerne outen. Aber wie?

Die sexuelle Orientierung – ist das nicht zu intim fürs Büro? "Es geht überhaupt nicht darum, was du im Bett machst", sagt Albert Kehrer, Diversity-Berater mit Schwerpunkt LGBTQ: "Sondern schlicht darum, sagen zu können, wen du liebst." Heteros zeigten ihre sexuelle Orientierung ständig, ohne dass es eine große Sache sei, sagt er. Das Familienfoto auf dem Schreibtisch, die Anekdote aus dem Pärchenurlaub, selbst in zugeknöpften Unternehmen werde so was besprochen. Laut einer Studie verheimlichte 2017 ein Drittel der queeren Arbeitnehmer seine sexuelle Orientierung vor den Kollegen. Eine gute Nachricht, meint Albert Kehrer: Vor zehn Jahren war es noch die Hälfte. Die Zahl derjenigen, die von Diskriminierung berichteten, liege dagegen unverändert bei 76 Prozent. Kehrer rät, sich vor einem Outing zu fragen: Was weiß ich über die Einstellungen meiner Kollegen? Will ich mich im Zweifelsfall lieber verstecken oder möglichen Konflikten aussetzen? Es kann helfen, zunächst nur eine vertraute Person einzuweihen. Sollen einige Kollegen davon wissen und andere nicht, müsse man sich ständig überlegen, wie man sich wo und mit wem äußert. "Das kann viel Energie kosten", sagt Albert Kehrer. Eine große Verkündung hält er für unangebracht. Auf natürliche Art ließe sich das Thema ansprechen, indem man etwa von den Urlaubsplänen mit der Partnerin oder dem Partner erzählt. Heterostyle. Singles, die nach gegengeschlechtlichen Partnern gefragt werden, könnten einfach sagen: "Ich bin Single, aber wenn, dann wäre es eine Person meines Geschlechts."



Ich erfahre, dass ein Kollege mit dem gleichen Job mehr verdient. Was kann ich tun?

Frauen verdienten 2017 in Deutschland durchschnittlich 21 Prozent weniger als Männer. Selbst wenn man die Statistik um strukturelle Faktoren bereinigt, also nicht Kita-Erzieherinnen mit Dax-Managern vergleicht und nur Männer und Frauen in denselben Branchen und mit derselben Arbeitszeit anschaut, bleibt ein durchschnittlicher Unterschied von sechs Prozent. "Der lässt sich kaum anders als durch Diskriminierung erklären", sagt Sandra Schumacher. Sie ist Coach für Gehaltsverhandlungen. Und erfuhr in ihrem ersten Job, dass ein Kollege in gleicher Position fast das Doppelte verdiente. Ihre Reaktion: Sie stürmte in das Büro ihres Chefs, um ihn zur Rede zu stellen, brach in Tränen aus und drohte, zu kündigen. Der Chef tat: nichts. Also begann Schumacher, ihre Leistung herunterzufahren. "Ich habe alles falsch gemacht", sagt sie.

Heute rät sie ihren Klientinnen, Argumente für sich zu sammeln, wie vor einer gewöhnliche Gehaltsverhandlung. Warum habe ich mich bewährt? Welche Erfolge hatte ich? Habe ich neue Aufgaben übernommen? "Gut ist alles, was die eigene Kompetenz betont", sagt Schumacher. Schlechte Argumente wären hingegen die persönliche Situation, die ewig zurückliegende letzte Erhöhung oder das hohe Gehalt eines männlichen Kollegen. Dass man um die ungerechte Bezahlung im Unternehmen weiß, sollte man in der Verhandlung besser für sich behalten. Man könne das Wissen aber dafür nutzen, fadenscheinige Ausreden des Vorgesetzten zu durchschauen. "Mit einem ersten Nein muss man in jeder Verhandlung rechnen", sagt Sandra Schumacher. Das bedeute nicht das Ende des Gesprächs, sondern nur, dass man mehr Argumente brauche. "Die Verhandlung kann sich auch über mehrere Treffen ziehen", sagt sie. Wer so wütend über die Ungerechtigkeit ist, dass er nicht mehr professionell auftreten könnte, dem rät sie: Adrenalinspiegel senken. Helfen können Gespräche mit Freunden oder ein Boxkurs am Wochenende. "Aber einen Rest Wut kann man ruhig behalten", sagt sie. "Denn Wut führt dazu, dass ich weiter gehe, als ich mich sonst trauen würde."

Der Rechtsanwalt Klaus Alenfelder erklärt, dass man gegen Lohndiskriminierung auch juristisch vorgehen könne. "Für gleiche oder gleichwertige Arbeit muss das gleiche Gehalt gezahlt werden", sagt er. Das könne man einklagen, auch für einen zurückliegenden Zeitraum. Man sollte schnell handeln, wenn man von einer Ungleichheit erfährt. Denn ab diesem Zeitpunkt gilt eine Frist von zwei Monaten. Sandra Schumacher findet aber, dass man nur dann vor Gericht gehen sollte, wenn man bereit sei, den Arbeitgeber oder zumindest die Abteilung zu wechseln. Ihre Erfahrung: "Mit dem Vorgesetzten wird es danach nichts mehr."


Ich möchte im Büro beten und religiöse Gebote einhalten. Welche Rechte habe ich?


Das Recht auf Religionsausübung steht im Grundgesetz und gilt auch im Job. Ein Kopftuch darf dir niemand verbieten – Ausnahmen gibt es nur wenige, etwa im öffentlichen Dienst oder für Angestellte kirchlicher Arbeitgeber. "Angst vor negativen Kundenreaktionen oder um das Image des Unternehmens sind keine legitimen Gründe, religiöse Symbole zu verbieten", sagt der Anwalt Klaus Alenfelder. Gebete sind in Pausen am Arbeitsplatz erlaubt. Auf einen Gebetsraum hätten Arbeitnehmer jedoch keinen Anspruch. Stattdessen könnten dafür das eigene Büro oder ungenutzte Räume benutzt werden. Auch sonst müsse ein Unternehmen seinen Mitarbeitern ermöglichen, alle religiösen Gebote zu befolgen, sagt Alenfelder. Das gelte nur dann nicht, wenn der Job das unmöglich macht. Niemand muss mit Sekt auf einen Unternehmenserfolg anstoßen, aber wer im Getränkemarkt arbeitet, wird nicht umhinkommen, dabei mit Alkohol zu tun haben.


Dieser Text stammt aus dem ZEIT Campus Magazin 6/18.


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