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Ave Maria in Florida: Eine Planstadt für Katholiken in den USA - WELT

Wichtiger Mittelpunkt der Stadt ist die Kathedrale von Ave Maria

Floridas Katholikenstadt aus der Retorte

Ave Maria im Süden Floridas ist einer der skurrilsten Orte der USA. Die Bewohner der Stadt halten sich an strikte Regeln - etwa das Verkaufsverbot von Verhütungsmitteln. Gründer der christlichen Siedlung ist ein Fast-Food-Milliardär.

Ave Maria. Wenn das Navigationssystem diesen Ort kennt, dann hat man Glück gehabt. Oft ist der Name einer der skurrilsten Städte Amerikas gar nicht einprogrammiert, schließlich wurde sie erst vor nicht mal 20 Jahren gegründet. Wer in Miami startet, braucht zwei Stunden, die Route führt quer durch den Bundesstaat Florida und in Gegenden, so einsam, dass vor dem Florida Panther gewarnt wird. Von dieser lokalen Puma-Art gibt es im gesamten Bundesstaat nur noch geschätzt 130 Exemplare. Dass hier mit ihnen zu rechnen ist, sagt viel über die Abgeschiedenheit der Gegend aus.

Auf der Einfallstraße nach Ave Maria kommt einem kein Auto entgegen. Man sieht neue Einfamilienhäuser und kleine Villen - teils offenbar bewohnt, teils leerstehend. Erst als in der Ferne eine überdimensionale Kathedrale auftaucht, ahnt man, dass in dieser Siedlung wohl doch mehr als nur eine Handvoll Menschen leben.

Um die 10.000 Einwohner sind es laut jüngsten Schätzungen. Ave Maria ist eine Vision im Werden, die ewige Baustelle einer christlichen Stadt, ersonnen und finanziert von dem Pizzamilliardär Tom Monaghan. Christliche Bescheidenheit scheint nicht so sein Ding zu sein, jedenfalls konnte er es sich nicht verkneifen, das Logo seiner Kette „Domino's" ins Trottoir gleich vor der Kathedrale mauern zu lassen.

Der biblische Name des Ortes ist sein Programm: Eine Stadt für gläubige Katholiken, in der keine Kondome oder sonstigen Verhütungsmittel verkauft werden, in der jedes Paar eine stattliche Anzahl von Kindern hat. In der katholischen Privatuniversität gilt für Studenten zudem ein Dresscode: Tops ohne Träger oder mit Spaghettiträgern sind genauso tabu wie kurze Hosen, Flipflops und generell zu enge oder zu weite, freizügige Kleidung.

Die Kirche dominiert das Stadtbild von Ave Maria

„Die Kirche ist das dominierende Gebäude im Ort, so wie in vielen Städten Europas", erklärt Forrest Wallace stolz, der Diakon der Gemeinde. „Zur linken Seite ist der Campus der Ave Maria University, rechts davon das Stadtzentrum." Und der ovale Platz um die Kirche herum mit Geschäften und Wohnungen, das sei der sogenannte Verkündigungskreis, der Annunciation Circle.

Diakon Wallace ist eine Art Faktotum in diesem Ort, untypisch sei er, wie er sagt: nicht nur für die Vereinigten Staaten, auch für den Rest der Welt. Neben seiner Tätigkeit als Geistlicher leitet er die Pressearbeit der städtischen Universität und ist dort Dozent im Fach Marketing.

So ist das in Ave Maria: Man hat nicht nur Beruf und Familie, man ist immer auch Stadtgründer. Es sei für ihn die großartige Chance gewesen, etwas völlig Neues aufzubauen, erzählt Wallace. 2007 sind er und seine Frau mit ihren acht Kindern von Cincinnati hergezogen, um mitzuhelfen, eine katholische Stadt auf der grünen Wiese hochzuziehen.

Auch Chelsea Allen, neunfache Mutter, ist eine begeisterte Avemarianerin. Sie siedelte mit Ehemann und Nachwuchs von Minnesota um, schon im Gründungsjahr der Stadt. „By Way of the Family" heißt ihr Shop, den sie an der vielsagenden Adresse Verkündigungskreis 5080 eröffnet hat, neben Schulutensilien führt er vorwiegend religiöse Geschenkartikel, etwa Heiligenfiguren als Knuddelpuppe.

Ave Maria sei „ein kleines Stück Himmel auf Erden", findet Chelsea Allen. „Ich liebe das Wetter; ich liebe die Nachbarschaft; ich liebe die Schulen; ich liebe einfach alles hier." Es gebe im Ort so viele Kinder, mit denen ihre neun spielen könnten. „Und ich weiß, dass ihre Eltern dieselben Werte teilen wie wir."

Keine Minderheiten - dafür viele Kinder

Tatsächlich ist Ave Maria der wahr gewordene Traum vieler konservativer Amerikaner. Die Mehrheit der Einwohner ist katholisch und weiß, auch wenn Andersgläubige wie Protestanten, Juden und Moslems ausdrücklich geduldet werden. Dies sei eine tolerante Stadt, betont Pastor Robert Tatman: „Wir haben Ave Maria getreu der amerikanischen Überzeugung aufgebaut, dass wir Menschen nicht diskriminieren", sagt er. Es spiele keine Rolle, woher jemand komme, jeder sei willkommen.

Das Stadtbild von Ave Maria jedoch bestimmen weiße, heterosexuelle Paare, meist Mittvierziger und -fünfziger. Die Minderheiten, die der Pastor hier willkommen heißen will, verspüren offenbar keinen Drang, sich in dieser erzkatholischen Retortenstadt niederzulassen. Menschen mit dunkler Hautfarbe oder offen Homosexuelle sind bei unserem Besuch in Ave Maria nicht zu sehen.

Sicht- und weithin hörbar ist dafür jedoch der Nachwuchs von Ave Maria, was Kathy Delaney freut, die 2006 die Metropole New York verließ, um hier ein neues Leben zu beginnen. „Wenn Sie sich umsehen, sehen Sie überall Kinder", sagt sie mit leuchtenden Augen. Hier sei ein idealer Ort, um diese großzuziehen. Jeder finde überall Unterstützung. „Es ist wie eine große Familie."

Stolz zeigt sie eine braune Schatulle. Auf der Vorderseite ist ein Gebet eingraviert, auf dem Deckel prangt ein Bild der heiligen Madonna: eine Spieluhr. Kathy Delaney öffnet sie, und es erklingt das „Ave Maria" - Kitsch für die einen, ein nettes Andenken aus dem einzigen Souvenirladen der Stadt für andere.

Die Läden haben nur das Notwendigste

In eine nagelneue Stadt zu ziehen sei ihr verlockend erschienen, erklärt Delaney ihre Entscheidung für Ave Maria, ausschlaggebend sei dann allerdings gewesen, dass es hier mit der katholischen Ave Maria University eine Hochschule gebe, auf die sie ihren Sohn habe schicken können. „Ich wollte in seiner Nähe sein, also habe ich mir in Ave Maria einen Job gesucht."

Nun bietet sie im Wellness-Tempel „Salon d'Maria" Maniküre an, Pediküre, Peelings, Massagen - alles, was den Körper in Schuss hält, sich aber auch als eine Form der Seelsorge begreifen lässt. „Mir gefällt es, Menschen zu helfen, damit sie sich besser fühlen", sagt Kathy Delaney. „Das ist für mich eine Handlung aus Liebe heraus; wie ein Geschenk Gottes, das ich mit anderen teile."

Ihr Salon reiht sich ein in die Geschäfte, die rund um die zentrale Kathedrale angeordnet sind. Das Gotteshaus bildet den Mittelpunkt von Ave Maria, jeder kann jederzeit kurz vorbeischauen, um ein Gebet zu sprechen. Etwa 1100 Gläubigen bietet sie gleichzeitig Platz - ein 30 Meter hoher Bau nur aus Glas und Stahl.

Wäre Holz verwendet worden, hätte die hohe Luftfeuchtigkeit im Süden Floridas dazu geführt, dass sich im Inneren des Gebäudes Wolken bilden und in der Kirche ein eigenes Ökosystem entsteht. Binnen eines einzigen Jahres, von März 2006 bis März 2007, ist die Kirche erbaut worden. Sie ist wirbelsturmsicher und kann angeblich sogar Hurrikanen der höchsten Kategorie widerstehen.

In den Verkündigungskreis münden alle Straßen. Hier finden sich, neben den Läden, auch die Lokale der Stadt - ein mexikanisches Restaurant, eine Grillstube, eine Bar, eine irische Gaststätte, ein Café, dazu ein Obstladen und ein Supermarkt.

Ein Hauch von Sozialismus? „Na ja, richtige Kaufhäuser haben wir hier nicht", gibt Kathy Delaney zu. „Wir müssen die Stadt verlassen, um wirklich groß einzukaufen." In Ave Maria gebe es nur das Notwendige, wie Schulen, Ärzte, ein paar Läden und eben die Kirche. Eine Pizzeria ist übrigens nicht dabei. Trotzdem gefalle es ihr hier: Es sei sicher, man fühle sich beschützt, und man sei von Gleichgesinnten umgeben. Nicht so wie da draußen.

Viele Stipendien für die lokale Universität

Freilich, so ganz stimmt das mit den Gleichgesinnten nicht. Zumindest ist längst nicht jeder Studierende wegen religiöser Überzeugungen hier. „Ave Maria lockt eher mit Geld und Bildungschancen", sagt Veronice Lyter, die hier Literatur studiert. „Die Universität war vor einigen Jahren noch relativ neu und hat deswegen viele Stipendien vergeben, um Studenten anzuziehen. Diese finanzielle Unterstützung hat es meiner Familie überhaupt erst ermöglicht, mich auf eine Hochschule zu schicken." Rund tausend Studenten hatte die Ave Maria University bereits nach einem halben Jahrzehnt gewonnen.

Inwieweit die Dozenten theologischen Einfluss zu nehmen versuchen, sei schwer zu sagen, sagt Lyter. „Ich glaube nicht, dass die Professoren religiöse Aspekte in unserer Lektüre besonders betonen." Im Großen und Ganzen würden sich die Dozenten bemühen, möglichst objektiv zu unterrichten. „Sie betonen sogar, dass Theologie und Literatur zwei verschiedene Dinge sind."

Sie sei zufrieden hier, sagt sie, „aber ehrlich gesagt tut ein Kulissenwechsel dann und wann mal ganz gut." Mindestens jedes zweite Wochenende müsse sie raus. Dann fahre sie mit ihren Freunden ins 40 Autominuten entfernte Naples.

Und nicht nur sie: An den Wochenenden sieht man in Ave Maria erstaunlich wenige Studenten. In Naples mit seinen 22.000 Einwohnern gibt es mehr als drei Dutzend Kirchen. Trotzdem ist anzunehmen, dass die jungen Leute aus Ave Maria am Wochenende dort nicht zum Beten hinfahren.

Tipps und Informationen

Anreise: Nächstgelegener Flughafen: Southwest Florida International Airport in Fort Myers, rund eine Autostunde von Ave Maria.

Unterkunft: In Ave Maria gibt es für Touristen weder Hotels noch Motels. Es besteht jedoch die Möglichkeit, Apartments oder ein Haus via Airbnb zu buchen. Das nächste Motel gibt es im rund zehn Kilometer entfernten Immakalee, Hotels im 60 Kilometer entfernten Naples.

Auskunft: Infos zur Stadt: avemaria.com. Touristische Einreisen in die USA sind derzeit nicht möglich.

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