Wer Elif hört, fühlt. Ihre tiefe Stimme macht sie zu einer ungewöhnlichen Popsängerin. Die Deutsch-Türkin braucht kein Autotune. Sie singt akustisch in hallender Umgebung genauso klar wie im Studio und bringt dabei eine Ernsthaftigkeit rüber, die nicht schwer wiegt, sondern auch ein gutes Gefühl schenkt.
Wer sie noch nicht auf dem Schirm hat, versteht ihren Erfolg am besten anhand des Liedes Auf halber Strecke. Das ist für sie ein typischer Elif-Song, weil er Melancholie und Hoffnung gleichermaßen Raum bietet. Kein All-Happy-Feel-Good-Sommer-Song. Es geht ihr darin ums Durchhalten. So wie sie selbst einfach immer weiter macht, auf Plan A setzt: die Musik. Seit sie zwölf Jahre alt ist, schreibt sie ihre eigenen Texte. Und es lohnt sich!
Am 14. März wurde die Songwriterin von der GEMA mit dem Nachwuchspreis in der Sparte Unterhaltung ausgezeichnet. 10.000 Euro hat die 26-Jährige damit gewonnen. Davon will sie nicht etwa in den Urlaub fahren und sich gönnen, sondern ein neues Musikvideo produzieren.Bei ihrer Arbeit für die optische Umsetzung ihres Songs Doppelleben habe sie gemerkt, wie sehr sie das Filmen interessiert - und dass nur sie selbst am besten wisse, wie sich die konkrete Idee in ihrem Kopf umsetzen lässt.
NOIZZ hat mit Elif über das Songschreiben am Meer gesprochen, eigene Vorurteile gegenüber Istanbul und warum sie ihr Ego mittlerweile aus ihrem Job raushalten will.
NOIZZ: Liebe Elif, als 15-jährige hast du auf deinem ersten Konzert als Fan die Band Panic at the Disco in der Berliner Konzerthalle Huxleys Neue Welt angeschmachtet. Heute, 11 Jahre später, stehst du selbst auf der Bühne vom Huxleys und gibst ausverkaufte Konzerte. Wie fühlt sich das an?Elif Demirezer: Das ein Gefühl von: Träume können in Erfüllung gehen. Man weiß, worauf man hingearbeitet hat. Das war an dem Abend im Huxleys noch mal so ein kleiner Meilenstein für mich. Und von da geht's hoffentlich noch weiter.
Hast du noch großes Lampenfieber, bevor du auf die Bühne gehst?Elif: Auf jeden Fall, vor allem mit neuer Band. Ich habe erstmals türkische Instrumente mit auf der Bühne gehabt, weil ich von meiner Reise nach Istanbul so inspiriert war. Ich wollte neben meiner „Pop"-Elif, die ich bin, noch mal eine akustische Seite zeigen. Die Proben waren sehr intensiv, das war richtig harte Arbeit, alle Songs neu einzustudieren. Am Ende hat sich das aber gelohnt, weil das Konzert im Huxleys richtig toll war.
Was meinst du, wie offen ist das deutsche Publikum für orientalische Klänge, für traditionelle türkische Musik oder Einflüsse?Elif: Sehr offen, weil das so wunderschöne Sounds sind. Egal, mit welchen Instrumenten ich spiele, die Lieder bleiben am Ende Elif-Songs, also deutschprachige Pop-Songs. Wenn dazu dann eine Armenische Flöte oder eine Bağlama erklingt, ist das einfach ein bisschen Ear Candy. Das wird bei mir aber nie 100 Prozent Türkisch klingen. Aber das soll es auch nicht, weil das bin ich ja auch nicht.
Was meinst du damit?Elif: Ich bin ja hier geboren. Ich habe einen türkischen Background und trage beides in mir. Ich bin auch mit türkischer Musik aufgewachsen, aber am Ende mache ich deutschsprachige Popmusik, die westlich klingt. Trotzdem ist da immer diese Tiefe in den Texten, die von türkischer Musik beeinflusst ist, denn in türkischen Liedern gibt es immer so viel Drama und Sehnsucht. Irgendwie überträgt sich das auch auf meine deutschsprachigen Songs.
Wie findest du dann eine Kombi aus beiden Welten, wie den gemeinsamen Song von Herbert Grönemeyer und dem deutsch-türkischen Rapper BRKN?Elif: Ich fand es voll interessant! Ich meine, es ist Herbert Grönemeyer, und er singt auf Türkisch, und ich verstehe einfach, was er singt. Und die Aussprache war gar nicht so schlecht. Manchmal hab ich ihn nicht verstanden und an manchen Stellen wiederum sehr, sehr gut. Ich finde seinen Mut total toll, und als ich mir den Track angehört habe, habe ich mir gedacht: Boah, auf dem Track wäre ich auch gerne drauf gewesen.
Wie hat dich deine Reise in die Türkei beeinflusst, wo du neue Songs am Meer geschrieben hast?Elif: Ich war davor sehr, sehr lange nicht in der Türkei gewesen und habe das Land für mich noch nicht richtig erkundet. Mir haben die Leute immer von Istanbul erzählt, dieser weltoffenen Stadt, dieser Riesenmetropole, in der über 15 Millionen Menschen leben. Und Berlin ist ja schon groß! Aber dann war ich in Istanbul, und ich sage dir, diese alte Stadt hat Magie. Weißt du, ich sitze im Café und trinke meinen Mocca, und dann läuft da ein schwules Pärchen vorbei, ein Mädchen mit Piercing im Bauchnabel, und da drüben sitzt eine Frau mit Kopftuch, und alle verstehen sich.
Ich dachte mir sofort: Okay, cool, das ist meine Stadt. Denn hier wird alles akzeptiert, alle leben irgendwie schon so lang beieinander - so viele Religionen, so viele Kulturen. Ich konnte mich sehr damit identifizieren.
In Istanbul wird alles akzeptiert, alle leben irgendwie schon so lang beieinander - so viele Religionen, so viele Kulturen. Ich konnte mich sehr damit identifizieren.
Hast du dich dabei ertappt, dass du das von der traditionellen Stadt Istanbul nicht so erwartet hättest?Elif: Ja, habe ich. Meine Eltern kommen ja aus Adana, einer Stadt, die im Vergleich sehr viel konservativer ist als Istanbul. Das ist ein bisschen so wie mit Berlin und München. Man sagt ja auch, das Bayern ein bisschen religiöser ist - konservativer. Von Berlin kann man das nicht behaupten. Und weil ich immer nur Adana kannte, war das mein Bild von der Türkei.
Als ich dann aber in Istanbul war, habe ich gemerkt: Warte mal, hier laufen die Jugendlichen genauso rum wie ich, die gehen feiern auf den Dächern, und ich konnte das gar nicht begreifen und habe mich selber auch ertappt, wie ich einfach Vorurteile hatte. Und diese Idee wollte ich einfach mitnehmen in das Projekt, diese Vorurteile irgendwie auch auf die Bühne bringen. Ich wollte, dass die Leute offen dafür sind, dass man Sounds mischt, und hören, dass das interessant und schön sein kann.
Bei dem Konzert im Huxleys haben mir zum Beispiel viele Leute gesagt, dass sie das so nicht erwartet hätten, dass sich diese Instrumente so gut einbetten lassen.
Die türkischen Wurzeln, das Thema Herkunft, Familie, Tradition, Heimat, das verarbeitest du ja auch in deinen Songs und Musikvideos. Welche Themen sind dir noch wichtig?Elif: Zwischenmenschliche Beziehungen sind mir sehr wichtig. Und es sind die Erde, der Mond, es ist Gott, was auch immer das ist. Das ist etwas, was man nicht greifen kann, was es so interessant macht. Das zu benennen, was wir sehen, das ist nicht interessant. Ich glaube, das, was man nur fühlt, in Worte zu fassen, das ist wirklich die Königsdisziplin. Und das versuche ich auch in meinen Liedern.
Diese Gefühle einzufangen, die man nicht so richtig greifen kann, versuchst du ja schon, seit du sehr jung bist.Elif: Das stimmt, ich habe mit zwölf Jahren angefangen, Songs zu schreiben. Ich hatte damals zwei große Vorbilder: Juli und Silbermond. Das waren die einzigen Frauen, die erstmals so erfolgreich waren, dass ich es mitbekommen habe. Davor gab's Nina Hagen, aber für die war ich zu jung. Ich habe dann versucht, die Songs zu covern und hab mir gedacht: Nee, warte mal, das ist nicht deine Geschichte, das ist deren Geschichte! Ich will meine Geschichte erzählen! Und so fing das mit dem Songwriting an.
Wie haben sich denn deine Texte und Themen seitdem verändert?Elif: Ich finde, dass wenn man jünger ist, dass sich viel, viel um Liebe dreht und um die erste große Liebe. Aber wenn man älter wird, kann man sein Ego ein bisschen besser zurückhalten. Es geht nicht mehr nur darum, sich selbst zu verwirklichen, sondern man guckt eher, was eigentlich die Menschheit bewegt. Das will ich herausfinden und in Lieder packen.
Ich möchte keine Selbst-Therapie-Platte machen. Ich möchte eine Platte machen für die Menschen da draußen, ich möchte eine Platte machen, die Menschen erreicht. Ich glaube, das kann man nur, wenn man eine bestimmte Reife entwickelt hat und etwas älter wird. Jetzt komme ich einfach in ein Alter, wo ich mich besser zurücknehmen kann.
Wenn man älter wird, kann man sein Ego ein bisschen besser zurückhalten. Es geht nicht mehr nur darum, sich selbst zu verwirklichen, sondern man guckt eher, was eigentlich die Menschheit bewegt.
Alter ist ja nur eine Zahl. Fühlst du dich in deinem Kopf reifer oder jünger?Elif: Mal so, mal so. Manchmal habe ich das Gefühl, ich weiß gar nichts. In manchen Bereichen habe ich das Gefühl, ich habe viel mehr erlebt, als ich denke. Am besten ist, sich selber einfach nicht so ernst zu nehmen und einfach so zu sein, wie man ist. Wenn ich jetzt das Gefühl habe, ich bin den anderen überlegen, bringt mir das ja nichts. Manchmal fühle ich mich älter, manchmal nicht, sagen wir mal so.
Ich höre irgendwie raus, du sprichst oft persönliches Wachstum an, Weiterentwicklung, Reife, das scheinen wichtige Themen für dich zu sein. Was weißt du denn heute, was du vor fünf Jahren noch nicht wusstest?Elif: Wer ich bin. Ich glaube, dass ich bis vor ein paar Jahren immer ein Bild von mir hatte, wer ich sein wollte. Und ich glaube, das geht vielen Leuten so. Aber wenn man irgendwann akzeptiert, wer man ist und aus dieser Ausgangsposition handelt und einfach weiß, was die eigenen Stärken und Schwächen sind, wird man viel glücklicher. Und das macht auch jeden so einzigartig. Das man nicht dem hinterher rennt, was man sein möchte, weil man so viel Zeit damit verliert.
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Quelle: Noizz.de