Alle reden darüber, wie schön sie ist. Das ist so ziemlich das erste und häufigste, was die Menschen um Popstar Marina herum flüstern, mit Ehrfurcht in der Stimme, an diesem Interview-Tag im Grand Hyatt am Berlin Potsdamer Platz. Ja, Marina Lambrini Diamandis, wie sie mit bürgerlichem Namen heißt, ist eine Erscheinung, verboten schön, die griechischen Wurzeln geben ihr etwas Klassisches, Erhabenes. Sie trägt ein Jeans-Oberteil mit einem tiefen Ausschnitt, das ihre Bewegungsfreiheit etwas eingeschränkt. Das merkt man, als sie probiert, sich ihren Minztee einzuschenken. Dabei heben sich die türkisfarben lackierten Fingernägel leuchtend von der weißen Porzellan-Kanne ab.
Die Sängerin ist auf Promo-Tour für ihr neues Album "LOVE +FEAR". Liebe und Angst.
Zwischen diesen beiden Gefühlen bin ich vor meinem Gespräch mit Marina auch hin und her gerissen. Ich liebe ihre Musik, ihre so gar nicht Popstar-gekünstelte Art. Die Angst packt mich trotzdem. Ich bin aufgeregt vor unserem Treffen, merke, wie ich mich anspanne. Schließlich habe ich einen Girl Crush und schwärme für die Sängerin, seit ich 13 Jahre alt bin. Damals nannte sie sich noch Marina and the Diamonds. 2010 hörte ich ihr Album "Family Jewels" rauf und runter, Songs wie "I am not a Robot", "Obsessions" und "Oh no!".
Zum ersten Mal live gesehen hatte ich Marina bei ihrer "Froot"-Tournee 2015 in Berlin.
Ich erinnere mich an bunte Bühnenoutfits, Glückstränen in ihren Augen und denen ihrer Fans und eine Frau, die Bock hat, auf der Bühne zu stehen. Bei meinen Vorbereitungen erfahre ich jedoch aus ihrem Interview mit "The Times", dass sie während genau dieser Tour unter Panikattacken litt. Deswegen nahm sie auch eine Auszeit.
Als ich sie frage, wie sich Angst für sie anfühlt, erklärt sie: "Bei mir ist es so: Ich kann nicht mit dem Grübeln aufhören. Es ist das Gefühl, einfach nicht zur Ruhe kommen. Jeden Tag." Heute geht sie anders mit der Angst um. " Ich habe verstanden, dass Angst ein Gefühl ist, das vorbei geht und solange nichts Lebensbedrohliches dahinter steckt, ist das nicht wichtig. Ich weiß aber, wie schwer das in dem Moment ist, in dem man in der Angst steckt. Es ist noch schwieriger, wenn man wie ich sein Leben lang mit der Angst kämpft und gar nicht weiß, wie es sich anfühlt, nicht ängstlich zu sein." Als ich sie frage, was sich verändert hat, sagt sie: "Medikamente. Seit sechs Monaten nehme ich sie, vorher hatte ich das nie ausprobiert. Ich bin nicht per se dagegen, aber ich halte nichts von Drogen, ich kenne meinen Körper gut und ich reagiere sogar auf Schmerztabletten mit Hautausschlag. Also war ich nicht gerade begeistert davon. Aber sie helfen mir wirklich, auch wenn ich weiß, dass sie nur eine kurzfristige Lösung sind."
Es überrascht mich, dass man Marina ihre Panik so gar nicht anmerkt. Sie ist Feministin, setzt sich ein, wirkt wie jemand, der sich nicht einschüchtern lässt. Sie verrät:
Ich bin jetzt 33, und erst seit vergangenem Jahr habe ich echtes Selbstvertrauen.
Das wurde ihr nicht in die Wiege gelegt. "In der Vergangenheit wirkte ich vielleicht selbstsicher, hatte aber sehr widersprüchliche Gefühle. Es hängt so viel von dem gesellschaftlichen Druck ab. Es ist nicht einfach, sich selbst zu lieben und sich selbstsicher zu fühlen. Für sehr viele Frauen ist das ein sehr langer Weg. Also jeder, der das hier liest und sich überhaupt nicht selbstsicher fühlt: Keine Sorge, damit wird man nicht geboren. Das baut man auf, in seinem eigenen Tempo. Und ich habe den Punkt, an dem ich mich wirklich so gefühlt habe, eben erst mit 32 erreicht." Das sei keine gerade Linie, kein bestimmter Moment gewesen.
"Ich könnte sagen, es sind bestimmte Erfahrungen, die ich durchgemacht habe, oder dass es zusammenhängt mit Therapie und Psychologie, aber ich denke, das ist allgemeiner passiert durch den gesellschaftlichen Wandel, den wir sehen, der teilweise echt rückschrittlich ist. Das lässt dich darüber nachdenken, wie wir Frauen behandelt werden. Zum Beispiel habe ich vor kurzem auf Instagram und Twitter etwas über Bodyshaming gepostet und darüber, wie es als ein Mittel benutzt wird, um Menschen zum Schweigen zu bringen, egal, ob Frauen oder Männer. Aus irgendeinem Grund ist das eine sehr beliebte Taktik, um Frauen mundtot zu machen. Am Anfang, wenn du noch nicht begreifst, dass eine Taktik ist, nimmst du das persönlich und denkst, vielleicht hat die Person recht, vielleicht sollte besser zu bestimmten Themen schweigen. Dabei ist es für sie einfach unangenehm, dass wir eine Stimme haben. Und das liegt wiederum an den sozialen Konditionen. Das ist etwas, wo ich sehr leidenschaftlich bin, es hat mir sehr mit meinem Selbstvertrauen geholfen. Jetzt nehme ich sowas nicht mehr persönlich. Die Taktik funktioniert bei mir nicht mehr."
Als wir uns verabschieden, bin ich erleichtert. Marina ist ein Schisserin, denke ich, genau wie ich. Aber für mich ist sie auch eine Alltagsheldin, weil sie sich nicht von ihrer Angst kontrollieren lasst. Klar, wenn ich das nächste Mal in eine Grübel-Attacke verfalle oder mir das Herz vor sozialer Angst rast, kann mir das auch nicht wirklich helfen. Aber Hoffnung geben - dass ich, vielleicht sogar früher, als mit 32 Jahren, sagen kann: Ich vertraue mir.
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Quelle: Noizz.de