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Schwer verdaulich, weil real: Spiele, die mehr bieten, als nur "Unterhaltung"

Wie kaum ein anderes Medium können Videospiele Menschen in andere Welten versetzen. Es gibt jedoch Spiele, da sind diese fremden Welten eine Realität, die gleich um die Ecke existiert. In diesem Special zeigen wir euch Videospiele die sich mit Problemen unserer Realität auseinandersetzen.

Die Themen Videospiele und Menschenrechte werden meistens nur in einem Zusammenhang diskutiert, wenn es darum geht, ob Kriegsspiele angemessen mit ihren Kulissen umgehen oder ob Moral und Ethik ausreichend überdacht wurden. Doch Videospiele können mehr als nur belustigen und Zeit vertreiben. Sie sind auch Kunst, und Kunst setzt sich auch mit schwierigen Themen auseinander. Im Folgenden präsentieren wir euch ein paar Spiele, die sich auf ihre eigene Art und Weise solchen komplexen Themen der Gesellschaft gewidmet haben.


Becoming Homeless - A Human Experience

Ein Spiel, das erst Anfang dieses Jahres auf Steam erschien, ist ein Projekt der Forschungsabteilung für virtuelle menschliche Interaktion der Stanford Universität in den USA.

Eigentlich ist das VR-Spiel eine Unterstützung zu einem Buch von Jeremy Bailenson, das sich mit der gesellschaftlichen Einordnung und dem Potenzial der VR-Technologie beschäftigt. Im dritten Kapitel geht es darum, mittels VR im übertragenen Sinn in den Schuhen einer anderen Person zu gehen, in diesem Fall in den Schuhen einer Person, die ihre Miete nicht mehr zahlen kann und in die Obdachlosigkeit fällt.

Ein Screenshot von Steam Zu sehen sind die leere Wohnung und ein Rucksack mit allem Hab und Gut das ihr noch besitzt(Ein Screenshot von Steam. Zu sehen sind die leere Wohnung und ein Rucksack mit allem Hab und Gut, das ihr noch besitzt.)


Als Spieler müsst ihr mit euren schwindenden Ressourcen arbeiten, mit der Umwelt interagieren, um zu versuchen eure Wohnung zu behalten und Entscheidungen treffen, die eure Existenz in der Gesellschaft bestimmen.

Das Spiel soll dem Glauben entgegenwirken, dass Menschen aufgrund ihrer Entscheidungen oder ihrer Persönlichkeit in die Obdachlosigkeit geraten.

Auf Steam schreiben die Entwickler:


"Researchers from Stanford have run thousands of participants through this experience in an effort to study the effect of VR experiences on empathy. Across our studies, we demonstrate that a VR experience changes helping behavior more than other types of perspective taking exercises, and the effect lasts months afterward."


"Wissenschaftler aus Stanford haben tausende Parizipenten diese Erfahrung durchmachen lassen, um die Effekte der VR-Erfahrung auf die Empathie zu untersuchen. Mit unseren Studien konnten wir zeigen, dass die VR-Erfahrung das Hilfsverhalten der Menschen mehr beeinflusst als andere Übungen, in denen die Perspektive gewechselt wird, und der Effekt hält monatelang."


Alleine unterwegs sein kennt wohl jeder aber wenn ihr im Leben vllig auf euch gestellt seid schmeckt die Einsamkeit noch bitterer (Alleine unterwegs sein kennt wohl jeder, aber wenn ihr im Leben völlig auf euch gestellt seid, schmeckt die Einsamkeit noch bitterer.)


Das Spiel könnt ihr zum Beispiel mit Oculus Rift oder einem VR-Headset wie der HTC Vive spielen. Die Kritik an diesem Spiel fällt im allgemeinen sehr positiv aus. Bemängelt wird jedoch, dass das Potenzial des Spiels nicht im Ansatz ausgenutzt wurde, da es viele Orte gibt, an denen nicht interagiert werden kann oder die NPCs im Dialog extrem repetitiv wirken.


Phone Story

Das Spiel Phone Story von Entwickler und Herausgeber Molleindustria erschien im Jahr 2011 für Android, iOS und PC-Plattformen. Es ist eine Kritik an der dunklen Seite der Elektronik-Industrie. Die Spieler werden mit dem Coltan-Abbau im Kongo, der Arbeiterausbeutung in China, dem Elektroschrott in Pakistan und der Konsumgesellschaft des Westens konfrontiert.


Tatsächlich ist das Spiel sogar eine direkte Kritik am Unternehmen Foxconn, das für seine schlechten Arbeitsbedingungen berüchtigt ist und mit einer Selbstmordreihe in Verbindung gebracht wird. Bei der WirtschaftsWoche könnt ihr lesen, wie die Mitarbeiter in China "Nicht-Selbstmord"-Erklärungen unterschreiben mussten.


Das Spiel schien 2011 einen wunden Punkt getroffen zu haben, denn nach kurzer Zeit wurde es aus dem App-Store entfernt. Apple ist einer der bekanntesten Kunden des Unternehmens, aber auch Nintendo und Motorola lassen ihre Produkte in den Foxconn-Fabriken herstellen, wie ihr beim Handelsblattnachlesen könnt.


Eine Szene aus dem Spiel die knallhart auf die Selbstmordserie in den Foxconn Fabriken hinweist(Eine Szene aus dem Spiel, die knallhart auf die Selbstmordserie in den Foxconn Fabriken hinweist.)


Alle Einnahmen des Spiels wurden gespendet. Trotzdem das Spiel sein Ziel erreichte und zur Zeit des Erscheinens viel Aufmerksamkeit auf die Thematik Menschenrecht und Arbeitsrecht lenkte, sei es als Spiel an sich nicht empfehlenswert, da die sozialkritische Komponente die repetitive, kurzweilige Spielmechanik überschatte, wie Chip damals schrieb.


Cloud Chasers - A Journey of Hope

Das Spiel vom schweizer Entwicklerstudio Blindflugstudios ist ein Survival-Action-Abenteuer, dass sich sehr subtil mit dem Thema Flucht und Migration auseinandersetzt. Es erschien 2015 zunächst für Adroid und iOS-Geräte, seit August 2018 ist es auch auf PC-Plattformen spielbar.


Protagonisten von Cloud Chasers - A Journey of Hope sind Amelia und ihr Vater Francisco, die eine beschwerliche Reise durch die Wüste auf sich nehmen, um ein neues, sicheres Zuhause zu finden. Das Ziel sind die Städte der Reichen, die über den Wolken liegen und durch hohe Stacheldrahtzäune geschützt sind.


Die Wolken ber der Wste sind die einzige Wasserquelle die euch zur Verfgung steht

(Die Wolken über der Wüste sind die einzige Wasserquelle, die euch zur Verfügung steht.)


Das Spiel überzeugte viele nicht nur durch seinen Umgang mit einem schweren Thema, sondern auch durch sein unterhaltsames, kniffliges Gameplay. Amelia muss mit ihrem Fluggleiter immer wieder in die Wolken fliegen, um ihre Wasservorräte aufzufüllen. Sollten sie und ihr Vater verdursten oder aus einem anderen Grund ums Leben kommen, muss das gesamte Spiel von vorne angefangen werden.


Jeder Durchlauf des Spiels gestaltet sich anders, da es bis zu 230 Ereignisse gibt, die das Spiel zufällig geschehen lässt. Zum Ende des Spiels hin werden die beiden auch immer häufiger mit bewaffneten Dronen in der Luft und der Grenzpolizei am Boden konfrontiert.


Für Cloud Chasers haben Blindflugstudios bereits fünf Awards erhalten, darunter den Innovation Prize und den Game Developer Choice Award. Das Spiel erscheint im August 2018 auf Steam für den PC. Im Play Store und im Appstore ist es bereits für 3,99 Euro erhältlich.


Das Spiel hat seit Juli 2018 übrigens ein Sequel, nämlich Airheart - Tales of broken Wings, in dem Amelia in der Stadt über den Wolken lebt. Auch in diesem Spiel gibt es ganz subtile Gesellschaftskritik, denn ihr neues Zuhause in der reichen Welt ist von Ressourcenknappheit bedroht. Mehr zu Airheart könnt ihr in unserem Test lesen.


Begrabe mich, mein Schatz!

Im Oktober 2017 erschien ein Spiel für Android und iOS von den Entwicklerstudios PixelHunt und Figs, von dem sogar konservative Medien, wie die Süddeutsche Zeitung, berichteten. „Begrabe mich mein Schatz“ ist ein syrisches Sprichwort, das bei einem Abschied gesprochen wird und so viel heißt wie: „Stirb ja nicht vor mir!“.


Ein Screenshot aus dem Spiel Nour ist kurz vor einem Auffanglager(Ein Screenshot aus dem Spiel. Nour ist kurz vor einem Auffanglager.)


In dem Spiel begleitet ihr Nour, eine Ärztin, die, nachdem ihre Schwester bei einem Bombenanschlag ums Leben kam, nach Europa flüchten will. Als Spieler schlüpft ihr in die Rolle ihres Ehemanns und schreibt mit ihr auf einer Spieloberfläche, die aussieht wie eine Messenger-App. Wenn ihr möchtet könnt ihr das Spiel sogar auf Echtzeit stellen, was dazu führt, dass Nour euch öfters nicht antwortet, wenn sie keinen Empfang hat, oder in Gefahr ist.


Sie bittet euch in verschiedenen Situationen um Hilfe und mit euren Entscheidungen im Chat-Verlauf bestimmt ihr sowohl den Verlauf der Geschichte, als auch ihr Ende. Es gibt über 40 verschiedene Geschichtszweige und 19 verschiedene Ausgänge, die nicht immer positiv enden.


Jasmin R. schreibt in der Bewertung im Play Store:


„Es ist das erste Mal, dass ich ein Spiel dieser Art spiele. Ich muss sagen, ich bin echt geflasht. Ich sitze vor einem fiktiven Chat und fiebere, warum die Person nicht antwortet. Meine Gedanken: Verdammt, warum schreibt sie nicht?“


Der Entwickler des Spiels war vorher selbst Journalist, vielleicht ist das Spiel deshalb in Kooperation mit dem Fernsehsender ARTE entstanden. In seinem Blog berichtet er von der Erfahrung, sein erstes, an der Realität orientiertes Videospiel zu entwickeln. Begrabe mich mein Schatz erhielt im Jahr 2018 zwei BAFTA-"Videospiel Awards", einen für "Spiele die mehr als Unterhaltung sind" und einen für "Das beste Mobil-/Handheldspiel".

Mit rund 600 Stimmen hat das Spiel im Google Play Store eine Bewertung von 4,4 Sternen. Inzwischen könnt ihr es kostenlos installieren.


Papers, Please

Papers, Please, zu Deutsch: "Papiere bitte", ist ein Indie-Game von Lucas Pope, einem ehemaligen Entwickler vom Studio Naughty Dog. Es erschien 2013 für PC-Plattformen und iPad. Das Spiel ist ein Simulator einer Passkontrolle, in einem dystopischen Szenario, das euch als Spieler vor einige schwere moralische Entscheidungen stellt.

Zwischen zwei kommunistischen Ländern wurde gerade ein langer Krieg beendet und Menschen strömen von einem Land in das andere. Unter den unschuldigen Migranten befinden sich auch Spione und Terroristen. Ihr müsst als Grenzkontrolle anhand ihrer Pässe bestimmen, wer ins Land kommt und wer nicht.


Falsche Migranten könnt ihr zum Beispiel an gefälschten Papieren erkennen. Wenn ihr schädliche personen ins Land lasst oder Unschuldige ablehnt, wird euch eine Strafzahlung auferlegt. Das ist problematisch, denn letzten Endes müsst ihr eure Familie ernähren können. Ihr müsst euch auch entscheiden, ob ihr Bestechungsgelder annehmt oder die Grenzwachen auf Personen schießen lasst. Das Spiel hat rund zwanig verschiedene Ausgänge.

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In einem Interview mit der BBC gab Lucas Pope 2014 bekannt, dass das Spiel über eine halbe Million mal verkauft wurde. Außerdem wurde es mit einem BAFTA-"Game Award" in der Kategorie "Strategie und Simulation" ausgezeichnet.

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