Nunavik im Norden der Labrador-Halbinsel ist ein weites Land ohne Straßen, groß wie Frankreich. In den 14 Küstendörfern leben Inuit. Glücklich, wer ihnen folgen darf: beim Iglubauen, Eisfischen und Hundeschlitten-Fahren.
Von Franziska Horn
Minus 13 Grad Tageshöchsttemperatur zeigt das Thermometer. Der Windchill macht es gefühlt noch kälter. Dick verpackt in Thermoanzügen saust eine Gruppe Touristen auf Holzschlitten mit fünf Hundestärken hinaus ins weite Weiß der Tundra. „Qimmiq“ heißen die Hunde in der heimischen Sprache Inuktitut. Hier im Land der Inuit laufen die Tiere nicht paarweise, sondern sternförmig an Leinen vorneweg. „Damit nicht alle Tiere gleichzeitig versinken, falls die Eisschollen brechen“, sagt Peter Boy Itukallak. Der Endsechziger ist so etwas wie der Häuptling von Puvirnituq, einem 1300-Einwohner-Dorf an der Hudson Bay, nur mit Fliegern der „Air Inuit“ erreichbar. Als das halb nomadische Volk noch den Karibuherden hinterherzog, war sein Leben eng mit dem der Huskys verbunden. In den 1950er Jahren rottete die kanadische Regierung die Hunde beinah aus. Seit dem Jahr 2000 lassen die Inuit mit dem jährlichen Hundeschlittenrennen „Ivakkak“ die Traditionen wieder aufleben – Symbol für den Überlebenswillen des uralten Volkes.
Als einer der Letzten seiner Generation kam Peter, Jahrgang 1954, noch im Iglu auf die Welt. Peter gehört zu den besten Schneehüttenbauern und Steinskulpturenschnitzern von ganz Quebec. An den Füßen trägt er Kamik, typische Stiefel aus Robbenfell. „Zum Gerben kauten früher die Frauen das Leder mit den Zähnen“, erzählt die blonde Isabelle Dubois, die die Touristengruppe begleitet. Sie kam als Journalistin in den Norden arbeitete als Musher, Schlittenführer – bis sie schließlich blieb. Begeistert von der Lebensweise der Inuit vermittelt Isabelle heute zwischen den Welten. In Nunavik, das groß wie Frankreich ist, leben rund 11 000 Inuit in 14 Küstendörfern. Dazwischen arktische Tundra mit flachen Granitbänken. Seit wenigen Jahren kommen Touristen nach Puvirnituq, um eine einzigartige Lebensweise zu erleben, zum Iglubauen, Hundeschlitten-Fahren und Eisfischen. „In der Schneewüste kann man sich leicht verirren, sogar den Inuit passiert das“, sagt Isabelle. Am Rande eines gefrorenen Sees hält Peter Itukallak an. Er hat gefunden, was er suchte: feinsten, windverpressten Schnee, stichfest und unberührt, Baumaterial für den Eisarchitekten. Millimetergenau schneidet er dicke Platten aus. Die entstandene Senke wird Zentrum des Iglus, rundherum schichtet die Gruppe dann Blöcke auf, isoliert die Fugen mit feinem Schnee. Peter wirft dabei immer wieder prüfende Blicke durch die Sehschlitze seiner traditionellen Sonnenbrille aus Horn. Dann ist der Rundbau fertig für die arktische Nacht. Ein
kleiner Ofen und die Wärme der Menschen sorgen für eine feine Eisschicht, die die Innenwand überzieht – eine perfekte Isolation gegen Wind und Kälte. So wird es unter der Kuppel kuschelig warm. Am Morgen meint Isabelle, nächtliche Polarbären gehört zu haben. Ein Augenzwinkern. Der heimliche Schnarcher ist enttarnt. Außer dem Iglu haben die Inuit das Kajak, den Anorak, den Parka und den Schneeschuh entwickelt. Und das Werkzeug zum Eisfischen: Peters Bruder geht hinaus auf den gefrorenen See und sticht mit einem Spatelstock ein rundes Loch ins 60 Zentimeter dicke Eis. Dunkles Wasser brodelt herauf. Minuten später glänzen die Leiber von zwölf Fischen im Schnee, die er mit einer Handangel aus der Tiefe holt. Im Nu erstarren die springlebendigen Fische zu steifen Kringeln. Futter für Mensch und Tier, auch die Hunde bekommen ihren Teil.
Zurück im Dorf zeigt Peter das Kühlhaus mit der Beute heimischer Jäger: Rentierköpfe, Fische, Robbenfleisch. Zur Feier des gerade beendeten „Ivakkak“-Rennens ziehen sich breite Papierbahnen über den Boden des Gemeindehauses, darauf servieren die Inuit das Beste der heimischen Küche. Karibu-Eintopf und halb gefrorenen Fisch, frisch wie Tatar und in feiner Sushi-Qualität. Schneehuhn und Walross gibt es, Belugawal, Robbenfleisch und Elch. Eine Ehre, wer hier dabei sein darf. Die Sieger des jüngsten Rennens werden laut beklatscht, während die Frauen ihre Babys im Arnautik, einem Parka mit weiter Kapuze, durch den Raum schaukeln. Dann gibt es ein letztes Highlight: das legendäre Kehlsingen der Inuit. Dazu stellen sich zwei Frauen – die Künstlerinnen Lisa Louie und Akinisie Sivuarapik – gegenüber und fassen sich an den Ellbogen. Sie stimmen Lieder an über Bäche und Wellen, über Mücken und Forellen, rhythmisch und melodisch, dazwischen kratzig-tiefe Töne. So summen und vibrieren sie, zu Vorlagen, die die Natur liefert. Ihre Weisen machen Lust, das Leben der Inuit auch in der warmen Jahreszeit zu entdecken, wenn sie wie in alten Zeiten ins Sommerlager ziehen und Kräuter sammeln.
Anreise
Ab Frankfurt zum Beispiel mit Air Canada
(www.aircanada.com) nach Montreal.
Von dort mit Air Inuit (www.airinuit.
com/en) oder Canadian North (https:/
/canadiannorth.com/) nach Nunavik.
Unterkunft
In den Orten gibt es Co-op-Stores, Hotels
und Co-op-Hotels. Visa und Master-
Card werden meist akzeptiert. In manchen
Winter-Packages ist eine Nacht im
selbst gebauten Iglu enthalten, im Sommer
je nach Programm eine Nacht im
Inuit-Zelt. www.bonjourquebec.com/engb,
Preise ab 295 Euro im DZ.
Veranstalter
Der heimische Veranstalter Inuit Adventures
(FCNQ) organisiert seit wenigen
Jahren ein Touristenprogramm mit Packages
für kleine Gruppen, winters wie
sommers, in diverse Regionen von Nunavik
und mit unterschiedlichen Schwerpunkten,
z. B. „Arctic Wildlife“, „Aurora
Borealis in Kuujjuaq“ oder „Ways of the
Inuit“. Diese Packages bieten Erlebnisse
abseits vom Pauschaltourismus. Ausgangspunkt
ist Montreal. Für die Saison
2022 wird ein neues Programm ausgearbeitet:
Zum Beispiel: „Aurora Borealis
on Ungava Bay“ im Ort Kuujjuaq, 4 Tage
(Fr.–Mo.), inklusive Flüge ab/bis Montreal,
Hoteltransfers, Guides und Aktivitäten,
alle Mahlzeiten, drei Übernachtungen
im Co-op-Hotel Kuujjuaq, mit kulturellem
Programm wie Throatsinging,
rund 3400 Euro.
Oder: „Ways of the Inuit“, 4 Tage (Fr.–
Mo.), inklusive Flüge ab/bis Montreal,
Hoteltransfers, Guides und Aktivitäten,
alle Mahlzeiten, drei Übernachtungen
im Co-op-Hotel, rund 2900 Euro, http://
Aktivitäten
Je nach Package und Jahreszeit bieten
sich Aktivitäten wie Eisfischen, Hundeschlitten-
Fahren, Snowmobilfahrten, Iglubauen,
Wildbeobachtung, Kanutrips,
Wandern, Skitouren, kulturelles Programm,
z. B. Bildhauer-Workshops (Seifenstein/
Eis) http://www.aventuresinuit.
ca/fr/ (aktuell noch kein Programm
wegen der Coronapandemie). Jährliches
Hundeschlittenrennen: www.ivakkak.com
Allgemeine Informationen
Nunavik Tourism, www.nunavik-tourism.
Oder: https://www.bonjourquebec.com/en-gb