Frauen (zurück) an den Herd? Aber klar: Der originelle Bildband „Bayerische Weiberwirtschaften“ präsentiert 33 Wirtinnen mitsamt ihren famosen Lieblingsrezepten
Es gibt sie wirklich, die sogenannte „d‘Weiberwirtschaft“: So heißt ein Dorfwirtshaus in Kalsing in der Oberpfalz, wo drei Generationen der Familie Stangl, allesamt weiblich, über Küche und Gaststube herrschen – ihr Lokal ist Mittelpunkt der Gemeinde und darüber hinaus. Weil „die Wirtin“ stets auch als Seele eines Gasthauses gilt, reifte die Beobachtung bald zum roten Faden einer Buchidee. 2005 war es, als das Autorenteam Hannelore Fisgus und Ria Lottermoser sozusagen mit der Kalsinger Urzelle die Buchreihe aus der Taufe hob. 2009 erschien die erste Ausgabe. Seitdem schickt das Autoren- und Fotografengespann seine Leser in die interessantesten „Weiberwirtschaften“ des Freistaats: Dieses Mal in einer erweiterten und überarbeiteten Neuausgabe (von 2016). Ob Wirtsstube oder Landgasthof, Café oder Restaurant: Alle vorgestellten Köchinnen eint die Leidenschaft für gutes Essen und das persönliche Bewirten der Gäste. Wa- rum also – erst Recht in Corona-Zeiten – in die Ferne schweifen? Nutzen wir doch lieber die Gunst der Stunde, um auf einem kulinarischen Parcours durch nie vorher gehörte Dörfer zu tingeln. Hierzu bietet der Verlag dieses als Ausflugsführer konzipierten Bands (neben Adressen und Öffnungszeiten) praktischerweise auch eine Google- Maps-Online-Karte. Dann kann‘s ja losgehen, hinein in die heimische Provinz. Nach Ober- oder Niederbayern, in die Oberpfalz, nach Schwaben, Mittel-, Ober- oder Unterfranken.
Fangen wir doch mal in Niederbayern an, wo es oft urtümlicher zugeht als im touristisch geprägten Alpenvorland. Das Dorf Zenting mit seinen rund 1100 Einwohnern liegt inmitten des Bayerischen Waldes, ins südöstlich gelegene Passau sind es 35 Kilometer. Hier im Kammbräu tischt Familie Kamm seit 1880 (!) heimische Spezialitäten auf. Heutezutage kocht dort Sigrid Kamm ihr eigenes Süppchen – mit weiblicher Intuition und frischen regionalen Zutaten. Ein typischer Tag der „Pferdenärrin, Kräuterfrau, Mutter und Zauberin am Herd“ sieht ungefähr so aus: „Ihr erster und letzter Weg am Tag führt zu ihren Pferden. Zwischendurch kümmert sie sich um Küche, drei Kinder, Wald und 15 Fischweiher. Auf dem Weg zu den Weihern sammelt sie schnell ein paar Pilze, pflückt Kräuter am Wegrand und eilt wieder an den Herd.“ Das klingt vielversprechend.
Die springlebendige Forelle selbst aus dem Teich gefischt
In den historischen holzvertäfelten Stuben hat Sigrid Kamm längst ihren eigenen Stil entwickelt. Wegen ihrer ausgefallenen Salatkreationen mit selbstgezogenen Kräutern reisen ihre Gäste auch von weiter weg an. Als Stammgast darf man sich sogar die springlebendige Forelle selber aus den heimischen Teichen fischen, frei nach dem Motto: Jagdszenen aus Niederbayern. Als „persönliche Trophäe“ schmeckt das Flossentier dann sicher dreimal so gut. Dazu gibt’s, was der „Woid“ sonst noch so hergibt: Beste Schwammerln, Wild und frische Früchte. Konkret sieht eine Kamm‘sche Komposition dann so aus: Für den Jungrinderbraten mit fruchtiger Holundersauce und Fingernudeln verwendet die Che n Rindsschulter und viel Wurzelgemüse, mehligkochende Kartoffeln und natürlich selbstgeformte Kartoffelteignudeln. Dekoriert mit frischen Blüten wird der g‘schmackige Teller zum gastronomischen Gedicht. Dazu ein Bier – das allerdings wird nicht mehr hier gebraut, sondern kommt von der Brauerei Hacklberg in Passau.
Künste aus dem Elsass in der Oberpfalz
Apropos Passau: Hier wartet schon die nächste kulina- rische Überraschung. Denn im Alten Bräuhaus in der Altststadt kredenzt die junge Wirtin Michaela Rohmann klare Rinderbrühe mit Kaspressknödeln oder altbayeri- sche Klassiker wie Saures Lüngerl. Auch Rohmann ist ein Original, weil in der Drei-Flüsse-Stadt geboren. Mit langem blonden Flechtzopf, Trachtenhemd und unverfälschtem Niederbayerisch serviert die Che n ihre zünftigen Magndratzerl. Dabei hat die gestandene Wirtin hier im Alten Bräuhaus einst als Aushilfsbedienung angefangen. Ursprünglich gelernte Bürokauffrau, hat sie unternehme- risches Wissen, das auch einer Wirtin gut steht.
Von Niederbayern ist es nur ein Katzensprung in die Oberpfalz. Nördlich von Regensburg kocht Jutta Kolb in den Münter Stuben auf. Und wie! Aus dem Elsass, kulinarische Hochburg par excellence, brachte die gebürtige Badenerin französisch inspirierte Gerichte mit. Boeuf Bourguignon zum Beispiel oder Coq au vin, den sie in einer badisch-elsässischen Version interpretiert. Versteht sich, dass beim beschwipsten Hahn eine gehaltvolle Sauce mit Riesling und Cognac nicht fehlen darf. Die typischen Tartes und Tarteletts liefern dem berühmten Ge ügel den Rahmen. Ziegenkäse, Senf und Flammkuchenteig bringt Jutta Kolb persönlich alle zwei Monate aus Frankreich mit. Weil die ehemalige Modedesignerin und Galeristin nicht auf Kunst verzichten mag, veranstaltet sie weiterhin Lesungen und Ausstellungen in ihrem 300-jährigen Haus mit persönlich geprägtem Flair. Das heißt nicht zufällig Münter Stuben: Hier in Kallmünz, nur einen Steinwurf entfernt, wohnten und malten und verlobten sich 1903 niemand geringerer als Wassily Kandinsky und Gabriele Münter. Bilder der expressionistischen Malerin und vom Dorf Kallmünz hängen heute beispielweise im Münchner Lenbachhaus. Nach ihr also benannte Jutta Kolb ihr kulinarisches Reich, mit dem die über 70-Jährige so etwas wie ihre Berufung gefunden hat. Wen nach so viel französischer Koch- und Coq-Kunst etwa der Magen drücken sollte, dem empfiehlt die Chefin eine kleine Wanderung hinauf zum Schlossberg, von wo sich ein weiter Blick über das Vils- und Naabtal bietet.
Beim Weiterblättern in diesem reich bebilderten Band entdeckt der Leser hinter jeder der 33 Gasthaustüren, hinter jeder Küchenschürze eine ambitionierte Persönlichkeit mit eigenständiger Vision und Freude am Tun. Genau das strahlen die zahlreichen hochformatigen Porträts der beiden Fotografinnen Barbara Lutterbeck und Nanni Schiffl-Deiler aus, während Autorin Hannelore Fisgus für jede ihrer „Weiberwirtschaftsweiber“ ausnehmend warme Worte ndet. Kein Zufall, denn als Rundfunkjournalistin, begeisterte Hobbyköchin, Reisefachfrau und Autorin von kulinarischen Reiseführern bringt Fisgus reiches Fach- wissen mit. Die Auswahl der gut verteilten Aus ugsziele bezieht neben althergebrachten Tafernwirtschaften auch zeitgeistige Formen der Esskultur mit ein.
Vegetarische Genüsse auf der Allgäuer Hütte
Dass es auch ohne Schnitzel, Speck und Hauswurst geht, beweist zum Beispiel Wirtin Silvia Beyer von der Hündeleskopfhütte in Pfronten-Kappel. Hier werden Wanderer und Biker eischlos glücklich und satt, denn die erste rein vegetarischen Berghütte der Alpen lockt mit „Omas Dinkel-Nusskuchen“, Kässpatzen, Hollerlimonade, Krautkrapfen und glutenfrei-veganer Zucchinilasagne. „Und es kommen deshalb nicht weniger, sondern eher mehr Gäste auf die Allgäuer Alpe“, schreibt Autorin Fisgus. Seit 2014 bewirtschaftet Beyer die Hündeleskopfhütte mit ihren 60 Terrassenplätzen – die eigene Hütte war ein lang gehegter Traum der gelernten Hauswirtschaftsmeisterin und vierfachen Mutter, die auf einem Bauernhof in Nesselwang aufwuchs. Weil sie als Zwölfjährige gewahr wurde, wohin all ihre selbst aufgezogenen Lieblingskälber verschwinden, beschloss sie, ab sofort nur noch vegetarisch zu leben. Gesagt, getan. Von dieser Entscheidung profitierte sicher das eine oder andere Stück Vieh – und am Ende auch das besondere kulinarische Angebot der Hütte. Die liegt übrigens auf 1180 Metern Höhe und hat meistens den Winter über geöffnet. Für Silvia Beyer, die alle nur Silli rufen, bedeutet das: Sie muss rechtzeitig Hunderte Liter Bier einkellern. Bei Schnee hat sie die Aufgabe, den Weg zu markieren und auch die Rodelbahn, die direkt vom Haus weggeht, zu pflegen. Damit ist sie nicht die einzige Hüttenwirtin, die rund ums Jahr oben am Berg ihren Mann steht. Aber jede der hier vorgestellten Wirtinnen, ob am Berg oder im Tal, macht auf ihre Weise einen einzigartigen Job.
Franziska Horn