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Thierry Mugler: "Ich nutze Weiblichkeit als Waffe" - DER SPIEGEL - Stil

Stärke beweisen, gepanzerte Schönheit als Schutz benutzen: Gleich die allererste Figurine verkörpert die DNA des Mugler'schen Kosmos. Ein sexy Cyborg, eine Mischung aus Frau und Technik. Der Fembot ist der Star der sogenannten "Futuristic&Fembot Couture"-Galerie in der Münchner Kunsthalle - einer von mehreren Räumen, in denen aktuell das Schaffen eines der bedeutendsten Modedesigner des späten 20. Jahrhunderts gewürdigt wird: Thierry Mugler.

Seine weiblichen Roboter steckte der Franzose Mitte der Neunzigerjahre in feingeschmiedete Bodysuits aus Metall. Für seine "Gynoid Couture" unternahm er zahllose Versuche, um das starre Material dem Körper anzupassen. Der deutsche Künstler und Designer Philipp Fürhofer schuf mit seiner Rauminstallation die entsprechende kühle Lebenswelt für das Hybridwesen, dessen Retro-Futurismus von Fritz Lang und seinem Film "Metropolis" inspiriert ist.

Mugler ist weit mehr als Mode

Nach der Premiere 2019 in Montréal und einer Zwischenstation in Rotterdam zeigt die Ausstellung "Thierry Mugler: Couturissime" in München rund 150 Outfits: Haute Couture und Prêt-à-porter, Bühnenkostüme, aber auch Fotografien, Zeichnungen, Videos - weil Thierry Mugler in vielen Disziplinen glänzt, genügte ihm nie nur eine Facette davon. So besteht die Ausstellung aus sphärischen Themenwelten in acht Akten, für die das Wort Mode schlicht nicht mehr greift.

"Meine wahre Berufung ist die Bühne", hat Mugler, inzwischen 71, einmal über sich gesagt. Das mit der Bühne ist wörtlich zu nehmen. "Ich bin ein Geschichtenerzähler. Ich bin Pygmalion", sagt er im persönlichen Gespräch. Ein Künstler, der die eigens erschaffenen Figuren zum Leben erweckt. Das Wort Modedesigner hört Mugler nicht gern. "Ich sehe mich als Regisseur, damals schon, heute ebenso", sagt er, "und Mode ist nur ein Werkzeug davon". Ihn fasziniert das große Ganze, die überbordende Inszenierung, die sinnliche Gesamtschau. Kostüm, Accessoires, Styling, Fotografie, Szenerie, Parfüm, Attitüde, Pose - für seine berühmten Shows koordinierte er ebenso Musik, Choreografie und Beleuchtung.

Weil Mugler als einer der Ersten Prominente wie Diana Ross oder Sharon Stone auf den Laufsteg schickte und für ihre Auftritte einkleidete, widmet sich ein Ausstellungsteil "Stars und Strass". David Bowie, Lady Gaga oder Beyoncé verschafften seinen Kostümen singuläre Aha-Momente.

Ikonische Outfits aus fünf Jahrzehnten

Die Frau, wie Mugler sie sich vorstellt, ist Diva und Domina, Drag-Queen und Dompteuse, das zeigt die Retrospektive sehr eindrucksvoll. Sie ist Kriegerin, Heldin und Heroine - eine "Glamazone", eine besonders glamouröse Version der Amazone. Sie ist Vamp, Verführerin und Femme fatale. Ihre unveränderlichen Kennzeichen: Wespentaille und überzeichnete Schultern. Mugler überformt seine Idealfrauen mit skulpturalen Schnitten, legt ihre privaten Zonen dagegen frei - provokant, aufreizend, sexuell explizit. Der Fantasie bleibt wenig überlassen. "Ich nutze Weiblichkeit als Waffe", sagt Mugler.

"Die Frau ist für ihn Akteurin statt nur Projektionsfläche", sagt Thierry-Maxime Loriot, Kurator der Ausstellung, "sie ist Sex-Subjekt statt Sex-Objekt". Zweieinhalb Jahre brauchte Loriot, um die Schau vorzubereiten und Muglers Archiv in Südfrankreich zu durchforsten. Aus den rund 7000 verwahrten Teilen wählte er 150 aus. Ikonische Outfits aus der Zeit von 1977 bis 2014.

Das "signature piece" des Meisters? "Das ist die Corsage aus Metall!" In der Ausstellung schimmert sie auf als Bustier, Korsett oder Panzer. Die berühmteste Rüstung ist das "Motorcycle-Corset" nebst Rückspiegeln, das das Model Emma Sjöberg in George Michaels Video "Too funky" trägt, ein Entwurf aus der Haute Couture-Kollektion 1992. Da ist er wieder: der Harnisch als Leitmotiv.

Mindestens ebenso gern inszenierte Mugler die weiblichen Kurven mit Fell und Federn; er behängte sie mit Strass, Strapsen und Tausenden Pailletten, mühelos zwischen Subkultur und Hocheleganz changierend. Die Verwendung von Latex, Lack und Leder war ein kalkulierter Tabubruch in der Haute Couture, der höchsten Schneiderkunst, auf die Frankreich so stolz ist.

Dass er auch die leisen Töne beherrscht, beweisen ein Jackett der Kollektion "Les Tranchés" von 1999 aus natürlichem Bindfaden - oder bodenlange Roben aus schwarzen Perlenschnüren, filigran wie Spinnweben. Spinnen? Aber ja: Auch Insekten, Quallen oder exotische Vögel inspirierten den Modedesigner, zu sehen im achten und letzten Teil der Schau namens "Metamorphosen".

Aus Thierry wird Manfred

Metamorphosen - so könnte auch die Überschrift für Muglers Leben lauten. 1948 in Straßburg als Sohn österreichischer Eltern geboren, stand er schon mit 14 Jahren als professioneller Balletttänzer auf der Bühne der Opéra national du Rhin. 1967 geht er nach Paris und verkauft erste Modeentwürfe, sechs Jahre später gründet er sein Maison Mugler und macht mit opulenten Catwalk-Shows Furore. 1992 bringt er mit "Angel" sein erstes, höchst erfolgreiches Parfüm heraus, das sich zeitweise in Frankreich besser verkauft als Chanel No. 5. Später folgen "Amen", Alien" und viele weitere. Insgesamt an die hundert Stück.

Ende der Neunziger siedelt Mugler nach New York über, bevor er schließlich 2002 aus seinem Unternehmen ausscheidet: Der Minimalismus setzt sich durch, der flirrende Stern der Marke Mugler sinkt. Er verlegt sich hauptsächlich auf Regiearbeiten und das Kostümdesign für Bühnenshows wie "Zumanity" des Cirque du Soleil. 2009 kreiert er die Outfits für Beyoncé Knowles "I am"-Welttournee. Für die hocherfolgreiche Show "The Wyld" im Friedrichstadt-Palast kommt er 2014 nach Berlin - und bleibt.

Mugler verändert sich in dieser Zeit nicht nur beruflich. Er benutzt fortan seinen zweiten Vornamen Manfred - und formt seinen Körper mit Bodybuilding und operativen Eingriffen zur Kunstfigur mit breitem Kinn, noch breiterem Nasenrücken und überbreiten Schultern. Ein Körper, der den Schutz durch Kleidung nicht mehr braucht - weil der Körper selbst zum Panzer geworden ist? "Ich hatte viele Jahre zu viel gearbeitet und fühlte mich ziemlich zerstört vor meiner Verwandlung", sagt Manfred dazu. "Heute fühle mich wie der Superheld, der ich bin!"

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