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Modeausstellung Thierry Mugler: Schutz durch Schönheit

Bringt Mode ins Museum: Ausstellungsmacher Thierry-Maxime Loriot mit Modellen von Designer Thierry Mugler. Foto: Max Abadian/MA

Vom Laufsteg ins Museum: Thierry-Maxime Loriot kreiert eine Ausstellung über den Designer Thierry Mugler, dessen Modelle auch Stars wie Lady Gaga schätzen.  


München - Der Kanadier Thierry-Maxime Loriot studierte Architektur- und Kunstgeschichtsstudent und arbeitete als Model, bevor er sich international einen Namen als Ausstellungsmacher machte. Seine neue Schau „Thierry Mugler: Couturissime" wandert jetzt von Montreal nach München in die Hypo Kunsthalle. Im Interview in Montreal, noch vor der Corona-Krise, spricht Loriot über die gesellschaftliche Verantwortung von Mode und darüber, was ihn an dem Designer Mugler fasziniert. 

Herr Loriot, die von Ihnen gestaltete Ausstellung „The Fashion World of Jean Paul Gaultier“ haben rund zwei Millionen Besucher in zwölf Städten besucht. Wen sehen Sie wiederum am liebsten in Ihren Schauen?

Wenn ich eine Modeausstellung konzipiere, denke ich nicht an die Profis der Modeindustrie. Sie werden eh kommen. Ich möchte lieber die Menschen von nebenan sehen, Nachbarn, Arbeitskollegen, Freunde. Der Modezirkus wird ja insgesamt überbewertet. Ich möchte, dass die Menschen von der Straße die Welt eines Künstlers entdecken können. Für sie entwerfe ich Räume mit dichter, unterschiedlich geprägter Atmosphäre. Ich gehe eine Ausstellung immer inhaltlich, aber niemals chronologisch an.

Nachdem sich London, New York und Paris vergebens um eine Mugler-Retrospektive bewarben: Wie gelang es Ihnen, Mugler ausgerechnet nach Montreal zu holen?

Es war umgekehrt. Thierry Mugler kannte meine Arbeit und ist auf mich zugegangen. Ich dachte erst, das sei ein Witz, nachdem er zuvor das Metropolitan Museum of Art in New York ausgeschlagen hatte. Die Zusammenarbeit mit Mugler war für mich wie, einen verschollenen Schatz aus der Tiefsee zu heben. Der in diesem Fall versteckt in geheimen Archiven in der Provence in Südfrankreich lagerte.

Was haben Sie dort gefunden?

Ich habe 7000 Teile und Entwürfe gesichtet, um am Ende 150 Outfits für die Ausstellung auszusuchen. Es dauerte zweieinhalb Jahre, diese Schau vorzubereiten. Dabei ist mir auch wichtig, die junge Generation an die Handwerkskunst der französischen Haute Couture zu erinnern. In der heutigen Fashion-Fast-Food-Zeit von H&M und Zara geht diese Wertschätzung verloren.

Gaultier, Lindbergh, Viktor&Rolf – was interessiert Sie als Kurator an den Ikonen der Modeszene?

Für mich zählen nicht die Follower, sondern Talent, Individualität, Innovation und der soziale Gedanke. Es geht darum, zu zeigen, dass Anderssein in Ordnung ist. Gerade in Instagram-Zeiten, wo jeder nach Likes strebt. Also darauf, worauf sich viele geschmacklich einigen können. Wenn du anders als die anderen bist, stichst du heraus, wirst aber nicht immer akzeptiert. Auch Jean Paul Gaultier und Viktor&Rolf waren „role models for being different“ . . .

. . . also Vorbilder in Sachen Anderssein . . .

. . . Ja, Gaultier zeigte erstmals Plus-Size-Models. Und Peter Lindbergh war nicht wirklich an sogenannten Models interessiert.

Diversität ist allerdings längst ein Schlagwort in der Modebranche.

Aber wenn du auf den Catwalk schaust, sind die Models meist groß und dünn und entsprechen damit vielleicht einem Prozent der Bevölkerung. Mugler hat als Erster Transgender-Models über den Laufsteg geschickt und Männer in Frauenkleidern. Er hat den Weg gebahnt für etwas, das heute beinah normal ist. Er hat die Frauen vom Sex-Objekt zum Sex-Subjekt gemacht, da besteht ein großer Unterschied. Sie waren nicht mehr das Objekt der Begierde, sondern selbst die Akteure. Für mich ist es wichtig, die Dinge in einen sozialen oder psychologischen Kontext zu setzen. Es geht um persönliche Meinungsfreiheit, ausgedrückt in der Sprache der Kleidung.

Bei Mugler gibt es ein typisches „Signature Piece“, also einen Entwurf, der wie ein Leitmotiv auftaucht, als Korsett, Corsage oder Panzer, ähnlich einer Ritterrüstung. Etwa die Motorradskulptur, die Emma Sjöberg in einem Video von George Michael trägt. Das Teil diente wohl auch dem Schutz. Schutz wovor eigentlich?

Muglers Arbeit wurde sehr von der Persönlichkeit seiner Mutter beeinflusst – eine überaus starke Frau, groß, elegant, spektakulär. Und er hat sich von Comic-Figuren inspirieren lassen, von Insekten, von Maschinen. Er hat sie in aufwendige Konstruktionen umgesetzt (manchmal in Zusammenarbeit mit Flugzeugingenieuren), die weit mehr waren als ein körperlicher Schutz – vielmehr ein Schutz durch Schönheit. Außerdem hatte Mugler Humor. Und wer seine Entwürfe überstreifte, veränderte sofort seine Körperhaltung, trat anders auf, bewegte sich anders. Mugler war vor seiner Designerlaufbahn ein klassischer Balletttänzer.

Der selbst nie wirklich als Modedesigner gelten wollte.

Genau. Seine Arbeit hat sich immer außerhalb von Modetrends bewegt. Viele Entwürfe waren für die Bühne konzipiert, für Stars wie David Bowie oder Beyoncé. Diese Modelle waren und sind zeitlos, sie liefen außer Konkurrenz. Deswegen tragen heute Lady Gaga oder Kim Kardashian seine Outfits zu „special events“. Und dafür hat Mugler zeitlebens die Bühne gebraucht: Dort konnte man sein, wer immer man wollte, in eine andere Rolle schlüpfen. Dort kannst du sein, wer du wirklich sein willst. Heute gibt es viel Uniformität, überall sind dieselben Labels zu kaufen. Mugler wollte individualisieren. Seine Arbeit war also ein Plädoyer für eine tatsächlich gelebte Diversität.

Die Ausstellung

Die beeindruckende Schau „Thierry Mugler: Couturissime“ läuft bis zum 30. August 2020 in der Hypo Kunststiftung München, Theatinerstr. 8. Geöffnet täglich von 10 bis 20 Uhr. www.kunsthalle-muc.de/ausstellungen/details/mugler/


Der Ausstellungsmacher Thierry-Maxime Loriot

1976 im kanadischen Quebec geboren, geht Thierry-Maxime Loriot mit 21 nach Montreal, studiert Architektur und Kunstgeschichte. Er wird als Model entdeckt, arbeitet für den Fotografen Mario Testino, für Marken wie Burberry, Armani, Zegna, Lanvin. Auf der Suche nach einer Aufgabe, die Musik, Kunst, Kino, Design verbindet, wird er Museums­kurator und startet erste Projekte mit dem Museum of Fine Arts Montreal.

Mit Schauen über den Fotografen Peter Lindbergh, den Designer Jean Paul Gaultier und Viktor&Rolf eröffnete er drei der erfolgreichsten Mode-Ausstellungen der vergangenen Jahre. Loriot arbeitet mit zahlreichen Zeitschriften und Kunstmuseen weltweit bei Mode- und Fotoprojekten zusammen.

Der Modedesigner Thierry Mugler

Als Sohn österreichischer Eltern kommt Mugler 1948 in Straßburg zur Welt, beginnt mit 14 Jahren eine Ausbildung zum Balletttänzer. 1974 gründet er in Paris das Modeunternehmen Thierry Mugler, baut ab 1992 mit Clarins seine Parfümlinie auf. In den 80er und frühen 90er Jahren zählte Mugler zu den bekanntesten Designern Europas. „Meine wahre Berufung ist die Bühne“, sagt Manfred Thierry Mugler. Er selbst kürte sich zum ersten „Showman“ der Modewelt. Sein Archiv zeigt einen Künstler, der die große Inszenierung schätzte, aber auch leise Töne beherrschte. Ende der 90er verliert die Marke an Strahlkraft, 1997 übernimmt der Kosmetikkonzern Clarins Fragrance die Marke Mugler, löst die Modeboutiquen auf.

Die Welt der Bühne, der Inszenierung, der Kostüme, der Bewegung und der Musik bleiben ein Leitmotiv in seiner Arbeit als Designer, Regisseur und Fotograf. Mugler widmet sich aufwendigen Bühnenproduktionen sowie Interior-Projekten. Er lebt in Berlin.

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