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„Design ist politisch" - Designer Michael Geldmacher im Porträt

Gepolsterter Loungesessel „Layer" für die italienische Firma Billiani.vAuch hier wirkt das Prinzip des Minimalismus, das Geldmachers Entwürfe auszeichnet - weniger ist mehr. Foto: Hersteller

Designer sollen nicht nur funktional interessante Dinge entwerfen, sondern auch Haltung zeigen und eine Gesellschaft verändern wollen, sagt Michael Geldmacher. Der Designer arbeitet für renommierte Firmen und engagiert sich für Projekte mit Geflüchteten. 

Von Franziska Horn 

München - Wie politisch ist Design? Soll ein Designer überhaupt politisch sein? „Natürlich", findet Michael Geldmacher. „Das heutige Schweigen der kreativen Klasse ist - bis auf die üblichen Verdäch­tigen - ziemlich skandalös", sagt der Gestalter. „Welche Designer ergreifen denn heute noch Partei?" Wer mit dem Münchner diskutiert, darf gerne den eigenen Standpunkt vertreten zu Aspekten wie Grundeinkommen, Volkswohl oder Neoliberalismus, kurz: zur Frage, wie wir leben wollen. „Mit ihrem damaligen demokratischen Ansatz zählten die Ulmer Hochschule für Gestaltung und das Bauhaus zu den wichtigsten Designschulen überhaupt“, sagt Geldmacher, der schon mal „Stoppt Söder“-Schilder für eine Demo drucken lässt, um sie auf Protestmärschen einzusetzen. Grundsätzlich fordert er, „dass Design eine Gesellschaft verändern sollte“ – durch Entwürfe, zu denen man entweder pro oder kontra steht, die jedoch immer eine Haltung verlangen.

Nachdenklich sitzt Geldmacher in seinem ruhigen Studio in einem Münchner Hinterhof unweit des Hauptbahnhofs, die Strahlen der späten Nachmittagssonne fallen schräg in den Raum. An den Wänden reihen sich Maschinen, Materialproben und Regale mit Modellen von Prototypen. Auch ein übergroßer Setzkasten ist dabei, voll kurioser Fundstücke, Erinnerungen und Souvenirs aus aller Welt. Davor steht im Kontrast ein langer Konferenztisch mit den von ihm entworfenen schlicht-eleganten Elephant-Chairs für Kristalia. Geldmacher, Jahrgang 1968, gehört zur kleinen, feinen Elite deutschsprachiger Gestalter – ganz ohne Lehrjahre im Designbüro eines Altmeisters.

Seine Schule war die des Denkens: Er studierte Philosophie (Sartre, Existenzialismus) und Industrie-Design an der Fachhochschule für angewandte Wissenschaften (HM) in München, wo er auf seine Studiopartnerin Eva Paster traf.

1999 gegründet, arbeitete das Designduo „Neuland Industriedesign“ 15 Jahre lang für ein Best-of internationaler Auftraggeber, entwarf das minimalistische Bett „Kengo“ und Regal „Reef“ für Interlübke, Hocker und Barstühle „Park“ für B-Line, Regal „Insert Coin“ für den aus Stuttgart stammenden Nils Holger Moor- mann, Regal „Melody“ und „Random“ für MDF Italia, letzteres brachte prompt eine Nominierung für den Compasso d’Oro ein – auch weil es das gewohnte Rasterschema eines Regalsystems aufbricht.

„Out of the box“ zu denken, ohne formal zu sehr aus dem Rahmen zu fallen, dieser Balanceakt ist es, der dem Duo den Erfolg bescherte. Ein Stier, ein Hai, ein Elefant: Oft sind es stilisierte organische Formen der Tierwelt, an die sich die Modelle des Designers anlehnen, der seit 2015 unter eigenem Namen entwirft: Für den Stuhl „Toro“ von B-Line gab es zum Beispiel im Dezember 2018 den Iconic Award 2018 vom Rat für Formgebung. 2019 kam ein Ofen für MCZ hinzu und erweiterte die Billiani-Serie um einen Barhocker und Sessel, die auf der Messe Mailand vorgestellt wurden. Aktuell arbeitet er an zwei Projekten für US-Fir- men, die 2021 präsentiert werden sollen und noch unter Verschluss sind.

Zu seiner Herangehensweise bei der Gestaltung sagt er: „Der Gedanke ist mein Lieblingsmaterial.“ Sein Verständnis für Um- und Querdenker ist groß, denn er ist selbst einer, der sich im steten Über-den-Tellerrand-Schauen übt. Das beweist auch ein Projekt, das Geldmacher mit Kollegen wie dem Architekten Matthias Marschner vom Münchner Büro Hirner und Riehl Architekten für erweiterte die Billiani-Serie um einen Barhocker und Sessel, die auf der Messe Mailand vorgestellt wurden. Aktuell arbeitet er an zwei Projekten für US-Fir- men, die 2021 präsentiert werden sollen und noch unter Verschluss sind.

Zu seiner Herangehensweise bei der Gestaltung sagt er: „Der Gedanke ist mein Lieblingsmaterial.“ Sein Verständnis für Um- und Querdenker ist groß, denn er ist selbst einer, der sich im steten Über-den-Tellerrand-Schauen übt. Das beweist auch ein Projekt, das Geldmacher mit Kollegen wie dem Architekten Matthias Marschner vom Münchner Büro Hirner und Riehl Architekten für das Münchner Kulturzentrum Bellevue di Monaco realisierte: Für das Café in der Innenstadt entwarf er gemeinsam mit Geflüchteten und Studierenden der Fa- kultät für Design der Hochschule München Stühle und Tische im Retro-Look, die der Möbelhersteller Go In auflegte.

Für Geldmacher ist dies ein Beispiel, wie Integration gelingen kann: „Mein Job hierbei war mehr der eines Artdirectors und hat mich in Kontakt zu Menschen gebracht, die per Schlauchboot übers Mittelmeer gekommen sind.“ Was das bewirkte? „Demut“, sagt er und erzählt zudem von Erfahrungen mit diversen Design-Workshops 2017 und 2018 mit Studenten des Architekturinstituts EIAB- Cin Addis Abeba, Äthiopien. Er empfiehlt: „Jeder sollte mal drei Monate in einem Entwicklungsland gelebt haben.“

Probleme zu lösen, in Europa oder anderswo – das ist für ihn immer noch eine Hauptaufgabe von Gestaltung. „Design beschreibt ja nicht nur eine Form, sondern sucht und findet die Lösung für ein Problem.“ Mit dieser Haltung betrachtet er sich im heutigen „Anything goes“-Designzeitalter als eine Art Fossil – mit Augenzwinkern, natürlich: „Design bedient nach wie vor die Eitelkeiten und Sehnsüchte der Menschen nach dem Schönen, dem anderen, der Differenzierung.“

Wer Geldmachers Wirken und Werken über die Jahre folgte, stellt persönliche Veränderungen fest: Zum seit jeher hohen politisch-sozialen Engagement ist ein Stück Gelassenheit gekommen. „Arbeit war früher das zentrale Thema für mich. Heute mache ich nur noch so viel wie nötig. Ich reise viel, gehe in die Berge, mache mal ein Sabbatical. Je mehr Druck man hat, desto lockerer muss man damit umgehen“, sagt er.

Auch zum Bohei der großen Möbelmessen habe er „inzwischen deutlich mehr innerliche Distanz“. Dann folgt ein Bekenntnis gegen das landläufige Stilgeschwurbel: „Das überbordende Formenvokabular des Barock fordert dich nicht, es erschlägt dich eher. Beim Minimalismus dagegen musst du selbst der helle Punkt sein, der strahlt. Du musst einen Inhalt haben, eine Haltung. Das ist natürlich die größere Herausforderung.“

Also bleibt der Gestalter unbeeindruckt vom Formenwirrwarr lieber der eigenen Linie treu: „Nach wie vor versuche ich, einem Problem zuerst konzeptionell zu begegnen, danach gestalterisch“, sagt er. Das gelingt immer wieder, wie die Hängelampe „Sujù“ für Martinelli Luce beweist, bei der das Stromführungskabel gleichzeitig das Hängekabel ist. Ein kleines Kolumbus-Ei, sozusagen. Ob es auch Idealismus braucht, so zu arbeiten? „Ja, zu 100 Prozent“, antwortet er spontan, bevor er nachschiebt: „Wobei – ein Prozent hat sich im Laufe der Jahre abgenutzt. Sagen wir, zu 99 Prozent!“ 



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