7 abonnements et 4 abonnés
Article

Thierry Mugler in Montréal: Hot Couture

Thierry Mugler in Montréal: Hot Couture

Einst war er der Showman der Modewelt. Nun öffnete der Designer erstmals sein schillerndes Kostümarchiv – für die Schau „Thierry Mugler: Couturissime“ in Montreal. Sie zeigt einen Maßlosen, der die großen Inszenierungen des Instagram-Zeitalters vorwegnahm.

Hinter dem schwarzen, schwer fallenden Vorhang am Eingang der erste Wow-Moment: Eine Robe mit überbreit betonten Hüften und strenger Silhouette begrüßt den Besucher von „Thierry Mugler: Couturissi-me“. Die Überraschung ist gewollt: „Dass ausgerechnet eines von Muglers 70 Theaterkostümen für Shakespeares Macbeth von 1985 den Auftakt für seine Ausstellung bil- det, damit rechnet man nicht“, sagt Kurator Thierry-Maxime Loriot. Der smarte Kanadier aus Montreal hat mit opulenten Schauen über Jean-Paul Gaultier, Viktor & Rolf und Peter Lindbergh international Furore ge- macht, nun feiert er die ein wenig in Vergessenheit geratene Mode-Ikone Thierry Mugler. Anfang März eröffnete die Montrealer Ausstellung mit rund 150 Exponaten aus den Jahren 1973 bis 2001, mit Haute-Couture- und Prêt-à-porter-Modellen, Accessoires, Fotografien und Videos und vielen Bühnenkostümen.

Mode allein genügte Mugler nie. Das Theater, die Show, der große Auftritt – dieser Dreisatz bildet das Leitmotiv in Muglers Schaffen, der von sich sagt: „Meine wahre Berufung ist die Bühne.“ Eben dort beginnt seine Laufbahn: Geboren 1948 in Straßburg in eine aus Linz stammende Familie, macht er eine Ausbildung zum Balletttänzer – Musik und Bewegung bleiben lebenslang Inspiration. Später studiert er Kostümdesign, näht eigene Outfits und gründet 1974 das Label Thierry Mugler: Es soll den Kundinnen „freedom and empowerment“ bringen.

Vorbild Femme fatale •

Seine Vision der Frau ist die ultimative Femme fatale, die alle Grenzen und Rollenzuschreibungen sprengen darf. So wie Mugler selbst: „Meine kreativen Visionen kennen kein Limit, es gibt für alles eine ,Muglerian Solution‘“, sagt er. Prägend für sein Leben und Tun ist seine Mutter, hochgewachsen, rothaarig, breitschultrig. Er beschreibt sie als „Künstlerin, Tragödin, Diva und Superstar“. Doch seine Kindheit verläuft unglücklich, seine Erziehung: autoritär. Mit 14 verlässt er das Elternhaus, sucht nach einer eigenen Identität, einem eigenen Ausdruck, im Tanz, im Kostüm, in der Mode. In Paris entwirft er anfangs für etablierte Labels, ab 1974 unter eigenem Namen, auch Haute Couture-Schauen, kurz darauf kommt die Zweitlinie Mugler hinzu.

Ab 1992 präsentiert er während der Pariser Haute-Couture-Schauen. Sein Stil: avantgardistisch, überirdisch und übersexy. In Robert Altmans Film Prêt-à-Porter sagt der Modedesigner, der nie einer sein wollte: „It’s all about getting a great fuck, darling.“ Mit theatralischen Akzenten baute er seine Laufstegproduktionen zu drei Millionen Dollar teuren Showspektakeln aus, zu Gesamtkunstwerken aus Licht, Musik und Choreografie. Und er holt Celebrities wie Diana Ross, Tippi Hedren oder Sharon Stone auf den Laufsteg, um auf sich aufmerksam zu machen, entwirft Kostüme für Stars wie David Bowie, Céline Dion, Madonna oder Lady Gaga.

„I’m a showman“, hat Mugler, der Entertainer, mal gesagt. Er zeigt Models als Wagner-Heldinnen, Comicfiguren oder fiktionale Charaktere, als Meerjungfrauen oder Amazonen à la Helmut Newton, irgendwo zwischen Kitsch und Provokation, inspiriert vom Film noir, von Technik und Insekten, von Cyberspace und Videogames. Er experimentiert mit Latex, PVC und Gummi, verwendet reichlich Schulterpolster, Nieten und Druckknöpfe. Typisch für Muglers Entwürfe: Sie überformen den Körper, den er in Roboteranzüge und schweres Metall steckt, er überspitzt, überzeichnet und karikiert, umgibt den Körper mit einem Panzer, einer Montur. Einst selbst professioneller Tänzer, sieht er das Kostüm als Konstruktion und Erweiterung des Selbst, als Ausbruch aus dem faden Alltag. Sein legendäres Motorradlenker-Outfit, das er Model Emma Sjöberg im Videoclip für George Michaels Too Funky auf den Torso montierte, zählt zu den Highlights der Ausstellung. Die Metallrüstung überhaupt, sie ist sein „Signature-Piece“, das mal als Korsett in Gold oder Bronze aufschimmert oder als stählernes Jeanne-d’Arc-Dress mit verwegenen Cut-outs daherkommt. Daneben erstaunt die Ausstellung auch mit filigranen Gespinsten, die sich wie Spinnweben um weibliche Formen legen, mit organisch geformten Medusenkleidern, weich fallenden Drapés und Faltenwürfen: Mugler beherrscht auch die leisen Nuancen.

Sinkender Stern

Als sich der Minima- lismus in der Mode durchsetzt, sinkt der Stern der Marke Mugler. 1997 übernimmt Clarins die Marke und löst die Modesparte nach Verlusten 2002 auf, schließt alle 14 Boutiquen. Mugler geht nach New York. Mit den Kollektionen, die heute unter sei- nem Namen erscheinen, hat er nichts zu tun. Er entwirft Bühnenkostüme und wirkt als Berater für die Cirque-du-Soleil-Revue Zumanity in Las Vegas, für Sängerin Be- yoncé und ihre I Am ... World-Tour und 2014 für The Wyld für den Friedrichstadt- Palast in Berlin. Und: Er unterwirft sich einem persönlichen Make-over aus plasti- scher Chirurgie und Bodybuilding. So bringt er Abstand zwischen sich und die Marke, gibt sich einmal mehr eine neue Identität, nennt sich nach seinem Geburts- namen Manfred und findet neue Ziele, als Regisseur oder Gestalter von Hotels.
Zeitlos und jenseits von Trends, so bezeichnet Kurator Loriot Muglers Entwürfe und inszeniert sie in farbig gestalteten The- menräumen. „Zusammen mit Manfred Mugler habe ich in drei Jahren 7000 Teile kuratiert“, erzählt Loriot im Gespräch in einem Nebenraum des Museums. „Mugler kam selbst mit der Idee zur Retrospektive auf mich zu, denn er kannte meine Arbeit und hatte jetzt Zeit, das Projekt umzuset- zen. Zuvor lehnte er 20 Jahre lang Anfragen aus New York oder Paris ab, er wollte keinen chronologischen Aufbau und all das.“ Für Modefans hat sich das Warten gelohnt: Die Ausstellung fängt mit virtuosen Stilmitteln die Facetten einer schillernden Persönlichkeit und glanzvollen Ära ein.

Die Schau „Thierry Mugler: Couturissime“ läuft noch bis zum 8. September im Montreal Museum of Fine Arts, danach vom 13. Oktober bis 8. März 2020 in der Kunsthal Rotterdam und vom 3. April bis 30. August 2020 in der Kunsthalle der Hypo-Kulturstiftung München.
Die Reise nach Montreal erfolgte auf Einladung von Tourisme Montréal und Tourisme Québec.