Knapp 26 Jahre sind ins Land gegangen, seitdem Karl Bartos die legendäre Elektronik-Band Kraftwerk verlassen hat. Trotzdem ist sein Name bis heute untrennbar mit dem Mythos der Düsseldorfer Klangtüftler verbunden, schließlich ist er Co-Autor bedeutender Kraftwerk-Stücke wie „Das Modell“, „Die Roboter“ oder „Computer Liebe“. Anlässlich der Wiederveröffentlichung seines ersten Solo-Albums "Communication" aus dem Jahr 2003, hatte wir die Gelegenheit, ein Interview mit dem Wahl-Hamburger zu führen.
hamburg.de: Hat die Stadt Hamburg einen eigenen Klang?
Bartos: Ja klar, der Hafen! So klingt keine andere Stadt. Wir wohnen am Stadtrand noch hinter Blankenese, da gehören die tutenden Schiffe zur Klanglandschaft. Früher haben wir am Hohenzollernring gewohnt, dort konnten wir im Hintergrund immer die Hafengeräusche hören. Das ist ein ganz eigentümlicher Klang. Ich mag das sehr.
hamburg.de: Findet sich
dieser Hamburg-Klang auch in ihrer Musik wieder?
Bartos: Ich höre genau wie Hamburg klingt, wie meine Umwelt klingt und in der Musik meiner früheren Band spielten Geräusche ja ebenfalls eine wichtige Rolle. Generell ist das ja so, dass ich mich schon unglaubliche lange mit den Geräuschen der Umwelt beschäftige. Ich habe Schlagzeug und klassische Musik studiert und dann landet man rasch bei den italienischen Futuristen. Die Futuristen haben Anfang des 20. Jahrhunderts erklärt, dass nicht nur das Musik ist, was man auf Instrumenten spielt, sondern dass auch Geräusche nach den gleichen Gestaltungsmustern angeordnet und verarbeitet werden können wie Musik. Sie haben die Menschen darauf aufmerksam gemacht, wie die Welt klingt und dass man aus diesen Klängen auch Musik machen kann. Allerdings fehlte ihnen damals die Technik zur Tonaufzeichnung.
hamburg.de: Was war für
Sie das ausschlaggebende Argument für die Wiederveröffentlichung
ihres Albums "Communication"?
Bartos: Nachdem der Vertrag mit meiner alten Plattenfirma ausgelaufen war, ist das Album nicht mehr erhältlich gewesen. Ich wollte es gerne der Öffentlichkeit wieder zugänglich machen.
hamburg.de:
Herr Bartos, von Ihnen stammt der Satz: "Es
ist nicht die Aufgabe von Musik, modisch zu sein." Aber ist es
nicht so, dass gerade elektronische Musik unter einem hohen
Innovationsdruck steht?
Bartos: Es gab früher eine Rhetorik meiner ehemaligen Kollegen von Kraftwerk, die ich für unglücklich halte. Sie haben gesagt, man könne keine moderne Musik auf den Instrumenten des Mittelalters machen oder die Gitarre sei ein Instrument des Mittelalters. Das war ein bisschen chauvinistisch und in Anführungszeichen "modern". Computer und diese Art der Elektronik gibt es noch nicht lange, besonders die digitale Welt hat noch nicht gezeigt, dass sie nachhaltig ist. Ich hatte unglaubliche Schwierigkeiten, die Musik-Files der "Communication" von einem alten Mac-Programm, das gerade mal 16 Jahre alt ist, zu rekonstruieren. Das "wohltemperierte Klavier" von Bach hingegen ist 300 Jahre alt und wir können es in Form seiner Noten sofort wieder zum Leben erwecken. Das Wesentliche ist, dass man zwischen der Musik und den Werkzeugen differenziert. Musik ist klingende Luft und egal mit welchem Instrumentarium sie erzeugt wird, entscheidend ist doch, welche Gefühle sie entfaltet. Für mich ist es nicht wichtig, ob Musik modern oder altmodisch genannt wird, denn das sind Begriffe, die interpretierbar sind. Ist Bach altmodisch, weil seine Musik 300 Jahre alt ist?
hamburg.de: An Bach
werden diese Kriterien auch nicht angelegt. Selbst dem Rock`n Roll
wird inzwischen eine Historie zugestanden. Niemand hätte Muddy
Waters dazu gedrängt, permanent den Mississippi-Blues neu zu
definieren.
Bartos: Der Dirigent Daniel Barenboim erklärt das immer so: Jedes Kunstwerk hat zwei Gesichter, das eine Gesicht ist der Zeit zugewandt und das andere Gesicht der Unendlichkeit. Das gilt auch für die Musik von Bach. Das eine Gesicht ist der Epoche zugewandt, in der er lebte, es bezieht sich auf die Ornamentik und den Stil seiner Musik, aber das andere Gesicht ist heute ebenfalls noch erkennbar, es verweist auf das Wesen, das in den Werken von Bach enthalten ist. Ob Musik nun modisch oder altmodisch ist, das soll man Karl Lagerfeld fragen, der kennt sich in diesen Dingen gut aus, mich interessiert das nicht.
hamburg.de: Die
"Communication" wird es jetzt auch digital und als Stream
geben, werden die neuen Medien langfristig auch Einfluss auf die
Gestalt der Musik nehmen?
Bartos: Das Medium prägt immer auch den Inhalt, aber die Musik, die aktuell auf Spotify läuft betrifft das nicht, die gab es schon vorher, die wird da jetzt nur verramscht.
hamburg.de: Welche
Auswirkungen werden die veränderten Bedingungen in der
Musikindustrie auf die Musik haben, die sie zukünftig machen?
Bartos: Ich werde es mir nicht mehr leisten können, Alben zu machen. Die Popmusik in den 60er Jahren ist vor allem entstanden, weil es ein irre gutes Geschäft war. Die Kunst geht zum Brot. Außerdem fielen andere positive Entwicklungen in diese Zeit, beispielsweise begann damals die Jugend damit, untereinander zu kommunizieren ohne den Weg über die Autoritäten. Das MP3-File hat jedoch dafür gesorgt, dass es sich nicht mehr lohnt so zu arbeiten wie früher und das wird die Gestalt der Musik dahingehend verändern, dass sie in erster Linie Programmstrukturen hervorbringt. Die Musik wird dann nicht mehr im Vordergrund stehen, sondern die Konsumption und die Beschäftigung mit den Programmen.
hamburg.de: Glauben
Sie, dass Musik für die heutige Jugend noch die identitätsstiftende
Bedeutung hat, die Musik zur Zeit ihrer Jugend hatte?
Bartos: Nein, ganz im Gegenteil. Als wir anfingen uns für Musik zu interessieren, da mussten wir sie suchen. Im Fernsehen gab es den "Beat Club" und es gab Radiosender wie BFBS und AFN. Es war wie eine Geheimwissenschaft. Diese Musik sprach zu mir, ich wusste nicht genau was sie sagte, aber irgendwie fühlte es sich richtig an. Ich merkte anhand des Duktus des Klangs, dass da eine relevante Information enthalten war. Aber der Zugang zu mehren Millionen Songs via Spotify bedeutet nichts, ich kann die gar nicht alle hören. Die Filterkriterien sind bei jeder Art von Information wichtig. Man muss zunächst herausfinden, was man überhaupt hören will.
hamburg.de: Was tritt
an die Stelle der Musik? Vielleicht der Promi-Kult, den sie in ihrem
Stück"15 Minutes Of Fame" thematisieren?
Es gibt diesen berühmten Aufsatz von Walter Benjamin "Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit", da hebt er hervor, dass das Kunstwerk seine Aura verliert und diese durch den Prominenten-Status ersetzt wird. Diese Entwicklung hat mit dem Film angefangen. Im zweiten Weltkrieg gab es dann die großen Kinostars, Hollywood blühte auf und nach dem Krieg erschien die Popkultur auf der Bildfläche. Und tatsächlich übernahm die Celebrity-Kultur allmählich den Wert der Kunst. Durch das Internet wurde dieser Prozess nochmal verstärkt - kuratiere dein Leben. Jeder hat einen Kanal auf dem er in die Welt senden kann, aber im Grunde genommen kreisen alle nur noch um sich selbst.
hamburg.de: Bei der
Erstveröffentlichung der "Communication" sorgte dessen
piktographisches Design und das Musikvideo von "I`m The Message"
für Aufsehen - beides wurde von der Hamburger Agentur Weissraum
umgesetzt. Wie kam es zur Zusammenarbeit und wie sah die
Arbeitsteilung aus?
Bartos: Das war eine Empfehlung meiner damaligen Plattenfirma. Zunächst war das reines Business, aber im Laufe der Zusammenarbeit haben wir festgestellt, dass wir uns ganz gerne mögen und das ist immer eine gute Voraussetzung für eine langfristige Kooperation. Wir arbeiten heute noch zusammen. Das piktographische Design für die "Communication" haben wir gemeinsam entwickelt. Ich hatte die Idee und Weissraum kümmerte sich um die Umsetzung. Beim Video für "I´m The Message" war die Arbeitsteilung ähnlich. Es beruht auf meinem Storyboard, aber Weissraum haben die Regie geführt und den Film komplett alleine gemacht.
hamburg.de:
Wir sprachen bereits von der digitalen Inflationierung der Musik,
beinhaltet das aber nicht zugleich die Chance der Demokratisierung
der Musik? Jeder wird sein eigener Musik-Star.
Ich sehe das insofern negativ, weil heutzutage ganz viele Menschen deshalb denken, dass es dem Wesen der Musik entspräche, aufgenommen zu werden - das stimmt aber nicht. Die Musikaufnahme hat es lange Zeit nur durch die Notation gegeben. Letztlich geht es darum herauszufinden, was Musik eigentlich ist, wie sehr sie unserem Leben ähnelt. Aber über Musik lässt sich erst denken, wenn sie tatsächlich gespielt wird. Es geht jedoch nicht darum, Geschäftsmodelle von klugen Geschäftsleuten zu unterstützen, die eigentlich nichts mit Musik zu tun haben. Die gesamte Musik, die je komponiert wurde, befindet sich in den Händen weniger Personen, die sie digital verramschen. Ich kann allen Leuten nur raten: kauft euch eine Flöte oder eine Gitarre oder einen Synthesizer und bringt die Luft zum Schwingen.
hamburg.de:
Was planen Sie für die Zukunft, gibt es etwas Spruchreifes, das Sie
uns verraten können?
Bartos: Ja, ich arbeite an meiner Biographie und dann gibt es etwas zum Lesen.
hamburg.de:
Herr Bartos, wir danken Ihnen für das Gespräch.
Das Interview führte Frank Burmester für hamburg.de
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