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Wie im Wartezimmer

Zwei syrische Mediziner flüchten nach Deutschland und würden gerne in ihrem Beruf arbeiten. Doch die Hürden für die Anerkennung sind hoch - daran ändert auch der drohende Ärztemangel nichts.


Wenn der Syrer Najib Killawi Deutsch spricht, achtet er peinlich genau auf jede sprachliche Feinheit. Er will es richtig machen, ärgert sich, wenn ihm mal die falsche Endung unterkommt. Er will zurück in ein halbwegs normales Leben, dafür muss er die Sprache perfekt beherrschen. Denn der 45-Jährige ist Arzt, und um auch in Deutschland Arzt zu sein, muss er nachweisen, dass er Deutsch kann. Der Freistaat Bayern fordert das Sprachniveau C1, nur eine Stufe unter Muttersprachniveau. Also lernt Killawi und überlegt lieber kurz, bevor er ein Verb falsch konjugiert.

Er ist einer der Geflüchteten, die im Streit um die richtige Flüchtlingspolitik gerne vorgezeigt werden: gut ausgebildet, motiviert und zielstrebig. Es könnte eine Win-Win-Situation sein: Killawi und Hunderte andere warten nur darauf, endlich wieder in ihrem Beruf arbeiten zu können und Hausärzte in Bayern suchen oft vergebens nach geeigneten Nachfolgern, die ihre Praxen übernehmen. Eine Bedarfsplanung der Kassenärztlichen Vereinigungen Bayern (KVB) ging 2017 davon aus, dass in Bayern allein 189 Hausärzte fehlen, besonders in den ländlichen Regionen. Hier könnte eine schnellere Anerkennung von Ärzten aus Drittstaaten helfen. Aber so einfach ist das oft nicht. Die Anerkennung eines Medizinstudiums, das in einem Drittstaat, also nicht EU-Staat, absolviert wurde, ist kompliziert.

Killawi hat sieben Jahre in der Ukraine studiert, danach 15 Jahre lang als Arzt in Syrien gearbeitet. Vormittags in einem staatlichen Krankenhaus, nachmittags in seiner Praxis. Vor vier Jahren wird er zusammen mit anderen Ärzten verhaftet. "Weil wir gegen den Bürgerkrieg waren", sagt Killawi. Er verschwindet für sechs Monate in einem Gefängnis des Assad-Regimes. Als er wieder freikommt, verlässt er mit seiner Familie das Land, 18 Monate später kommt er in Deutschland an. Alleine, denn seine Frau und seine Tochter haben sich nicht auf die gefährliche Reise übers Meer begeben, sie warten in Saudi-Arabien. Killawi wartet jetzt in Regensburg.

Najib Killawi ist Arzt.

(Foto: Privat)

Für die Anerkennung ausländischer Berufsqualifikationen ist in Bayern die Landesregierung verantwortlich und die steht vor einem Dilemma. Einerseits muss sie garantieren, dass genug Ärzte im Freistaat arbeiten, andererseits, dass diese Ärzte wissen, was sie tun.

"Ich habe ungefähr 200 Papiere zur Regierung von Oberbayern geschickt", sagt Killawi. Geburtsurkunde, Lehrpläne aus der Uni, wie viele Stunden er über Nieren gelernt hat, wie viele Stunden über das Herz. "Das ist zwanzig Jahre her. Ich hatte Glück, dass die Universität in der Ukraine diese Unterlagen noch hatte."

Die Zahl der Ärzte aus Ländern außerhalb der EU, die in Deutschland eine Zulassung beantragen, steigt seit Jahren. Von 309 Anträgen 2013 auf 1034 im Jahr 2017. Die meisten Anträge kommen von Syrern, Serben und Ägyptern. Doch die Bearbeitung dauert. Die Behörden prüfen in jedem Fall individuell, ob die Qualifikation des Bewerbers deutschen Standards entspricht.

Es gibt noch einen zweiten Weg: Die Erteilung einer beschränkten Berufserlaubnis. Diese gilt höchstens zwei Jahre und nur in Bayern, aber mit ihr könnte Najib Killawi zumindest vorerst wieder arbeiten. Voraussetzung ist aber auch dafür: Deutsch auf C1-Niveau. Ein Krankenhaus in der Nähe von Regensburg hat ihm eine Stelle angeboten - wenn er die Sprachprüfung besteht. Beim ersten Versuch im März hat es nicht geklappt.

Manchen hilft aber auch der zweite Weg nicht. Ali Ibrahim ist 29 und hat sein Medizinstudium ebenfalls in der Ukraine abgeschlossen. Um es anerkennen zu lassen, fehlt dem Syrer aber ein Jahr Praxiserfahrung. Dieses Jahr stünde in Deutschland auf dem Lehrplan, sagt Ibrahim, in der Ukraine nicht. Ihm bleiben nur zwei Möglichkeiten: Er kann sich in Deutschland an der Uni bewerben, um sein Studium nach deutschen Regeln abzuschließen, aber die Wartelisten sind lang. Auf einen deutschen Studienplatz für Medizin muss man aktuell drei bis vier Jahre warten. "Eine Freundin von mir wartet seit zwei Jahren", sagt Ibrahim, "Ich habe sieben Jahre Medizin studiert und jetzt soll ich noch mal vier Jahre warten, bis ich arbeiten kann?" Die zweite Möglichkeit: Ibrahim geht zurück in die Ukraine und arbeitet dort für ein Jahr. Dann würde er die Voraussetzungen der deutschen Behörden erfüllen.

Eine Sprachprüfung oder ein fehlendes Praxisjahr: Um in Bayern als Arzt arbeiten zu drüfen, muss Ali Ibrahim mehr als einen Abschluss vorweisen.

(Foto: Privat)

Verena Groß, der Pressesprecherin der Regierung Oberbayern, sind Fälle wie der von Ibrahim bekannt. "Der einfachere und kürzere Weg ist, das Pflichtpraktikum im Ausbildungsstaat nachzuholen", sagt sie. Ein Jahr Praxis in der Ukraine und dann wieder nach Deutschland. Wer dafür einen Antrag bei der Ausländerbehörde stelle, der habe in der Regel einen Anspruch darauf, wieder nach Deutschland zurückkommen zu dürfen, wenn "der Aufenthalt außerhalb Deutschlands den Interessen der Bundesrepublik dient", so Groß. Ibrahim befürchtet aber, dass er dann nicht mehr nach Deutschland zurück darf. "Dafür habe ich zu viel investiert", sagt er, "Ich habe Deutsch gelernt und hier ein Zuhause gefunden. Das will ich nicht aufgeben."

Ibrahim wünscht sich, in Deutschland ein praktisches Jahr machen zu können, um zu lernen, was ihm an Erfahrung fehlt. Dann könnte er arbeiten und etwas zurückgeben - Steuern zahlen, anstatt auf Unterstützung angewiesen zu sein. "Ich will Integration", sagt Ibrahim, "aber stattdessen bin ich in einer Sackgasse gelandet. Und je länger ich nicht als Arzt arbeite, desto mehr vergesse ich, was ich sieben Jahre lang gelernt habe."

Najib Killawi hat seinen nächsten Termin für die Fachsprachprüfung im September in München. Solange hat er noch Zeit zu lernen. Er will nicht aufgeben. Währenddessen arbeitet der 45-Jährige in einem Krankenhaus in Regensburg - als Praktikant. Nur dass er seine Familie nicht sehen könne, das sei schwer. Die deutsche Botschaft gebe ihr kein Visum und Killawi bekomme als Syrer kein Visum für Saudi-Arabien. Manchmal lasse diese Zwickmühle seine Gedanken so lange kreisen, bis für Vokabeln, Deklinationen und Zeitformen kein Platz mehr ist.

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