15.01.2016
Welches Problem haben die Briten mit Europa? Und was passiert, wenn sie wirklich tschüss zur EU sagen? Wir haben Jens Zimmermann (SPD) von der der Deutsch-Britischen Parlamentariergruppe im Bundestag gefragt.
Ist die EU ohne die Briten vorstellbar?
Es ist schwer vorstellbar, aber trotzdem geht es immer weiter. Auch wenn Großbritannien stets eine spezielle Rolle in der EU spielt und gespielt hat.
Das liegt unter anderem auch an der Insellage. Deutsche können sich das nur schwer vorstellen, weil sie denken, dass es nur ein paar Meter Wasser sind, die Großbritannien vom kontinentalen Festland trennen. Die Briten sehen sich allerdings in einer speziellen Rolle. Für sie liegt ein großer Fokus auf den wirtschaftlichen Aspekten der EU und besonders dem gemeinsamen Markt.
In vielen europäischen Ländern haben die Skeptiker Auftrieb. Die arbeiten meistens mit einfachen Antworten und das gibt einen enormen Zulauf. Bei den Briten spielt das Thema Migration eine große Rolle. Als die EU-Osterweiterung stattgefunden hat, führte Großbritannien - im Unterschied zu Deutschland - damals sofort die Freizügigkeit ein. Das hat viele Arbeitnehmer aus Ostleuropa angezogen (Anmerkung der Red.: Freizügigkeit bedeutet uneingeschränktes Arbeits- und Aufenthaltsrecht für Nicht-Staatsbürger). Viele Briten urteilen nun nach dem bekannten Motto: "Die nehmen uns die Arbeit weg".
Wird die Flüchtlingskrise das geplante Referendum maßgeblich beeinflussen?
Nur zu einem gewissen Teil. Den Briten geht es weniger um Flüchtlinge, als um die Arbeitnehmerfreizügigkeit. Es wird eher über polnische und rumänische Klempner anstatt von syrischen Flüchtlingen gesprochen.
Richtig. Das ist natürlich viel zu wenig und keine große Hilfe, wenn wir uns die aufgenommenen Flüchtlinge in unserem Land anschauen...
Das ist gemischt. Es gibt schon eine große Anzahl von Parlamentariern, die ganz klar einen Nutzen als Mitglied der EU sehen.
Das ist in allen Parteien so, außer bei der rechtspopulistischen Partei UKIP. Die Liberalen, Labour oder die Scottish National Party sind eher für den Verbleib in der Union. Und zu UKIP: Obwohl sie 15 Prozent der Wählerstimmen bekommen haben, stellen sie ja nur einen einzigen Abgeordneten im Parlament. Deswegen spielen sie keine große Rolle. Insgesamt würde ich schon sagen, dass sich eine Mehrheit für den Verbleib ausspricht.
In den Reihen von Camerons konservativer Partei - den Tories - herrscht eine heftige interne Debatte. Wieso ist man sich dort so uneinig?
Auf der einen Seite gibt es die Politiker, die von einem wirtschaftlichen Vorteil durch die Mitgliedschaft in der Union überzeugt sind. Andererseits ist da ein national-konservativer Flügel, der eine möglichst große Unabhängigkeit für Großbritannien herstellen will. Vor der letzten Wahl musste der Premierminister Cameron diesem Flügel das Referendum versprechen, um ihn ruhig zu stellen. Problematisch ist, dass Einzelereignisse vor der Wahl für Wirbel sorgen können. Das bedeutet, dass Vorkommnisse wie die Anschläge von Paris bei einen großen Teil der Bevölkerung Ängste hervorrufen können und sie in die Arme der UKIP treiben. Deshalb warne ich vor einem " Brexit by accident".
Cameron hat einige Bedingungen für den Verbleib in der EU. Er fordert "manchmal weniger Europa". Stimmen Sie dem zu?
Wir, die SPD Fraktion, denken, dass wir mehr Europa brauchen. Aber es gibt 28 Mitgliedstaaten, in denen es verschiedenste Auffassungen gibt, die wir auch akzeptieren. Es kommt darauf an, welche der Forderungen umgesetzt werden können. Die Staats- und Regierungschefs werden versuchen, Cameron entgegenzukommen. Trotzdem dürfen Kernaspekte wie die Freizügigkeit nicht angetastet werden.
Das ist eine gute Frage, die so wirklich keiner beantworten kann.
Nein, denn das ist ja eine juristische Frage, in der es um Vertragsrecht geht. Wir sehen weniger in dem Austritt das Problem. Großbritannien bliebe weiterhin ein Nachbarstaat und wichtiger Handelspartner. Fraglich ist, ob dann jeder deutsche Staatsbürger, der in London arbeitet, eine Aufenthaltsgenehmigung benötigt. Zwischen der EU und den Briten müsste es bilaterale Verträge geben, die solche Fragen klären. Wie lange so etwas dauern würde, kann niemand sagen. Von den Befürwortern wird das heruntergespielt, aber ich denke nicht, dass das alles so reibungslos vonstattengehen wird.
Für Großbritannien sehe ich definitiv wirtschaftliche Nachteile, weil der Zugang für qualifizierte Arbeitskräfte in das Land deutlich erschwert werden würde. Ich vermute, dass viele internationale Großbanken Teile ihrer Geschäfte innerhalb der EU verteilen würden. Insgesamt würde es Großbritanniens Position in der Welt schwächen. Zudem eine klare Schwächung der EU, denn Großbritannien ist ein wirtschaftlich starker Teil. Möglicherweise ist es der Anlass, dass andere Länder ihren Verbleib infrage stellen. Ich glaube, dass Großbritannien und die 27 anderen Staaten nach einem Austritt beide als Verlierer dastünden. Am Ende wäre es keine "Win-Win"-, sondern eine "Lose-Lose"-Situation!
Jens Zimmermann ( SPD) wurde 1981 in Groß-Umstadt in Hessen geboren. Er studierte an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt und am Regents College in London Betriebswirtschaft. Neben seiner Funktion in der Deutsch-Britischen Parlamentariergruppe des Bundestages sitzt Zimmermann im Finanzausschuss und im Ausschuss Digitale Agenda. In seiner Freizeit geht er im Odenwald klettern und im Winter fährt er gern Ski.
Rétablir l'original