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Interview

"Das ist verflucht noch mal nicht einfach"

Ein großes Haus in einem kleinen Ort südlich von Hamburg, von der Terrasse fällt der Blick auf eine Waldsenke. Hier wohnen Ivar und Dagmar Buterfas-Frankenthal, 87 und 86 Jahre alt. Ende Juli feierten sie eiserne Hochzeit, auch der Bundespräsident gratulierte. Die ZEIT hat die Eheleute hier zweimal zum Interview getroffen und insgesamt acht Stunden mit ihnen gesprochen. Ivar Buterfas-Frankenthal sagt, sie seien nur im Doppelpack zu haben, er tue nichts ohne seine Frau. Die meiste Zeit redet allerdings er. Das Ehepaar blickt zurück auf sein Leben und auf eine Begegnung, die beide gerade sehr aufwühlt.

Ivar Buterfas-Frankenthal: Letzten Dezember erschien ein Bericht auf Spiegel Online über mich und meine Frau. Daraufhin erreichten uns Nachrichten aus ganz Europa, auch aus Australien und Amerika, insgesamt ungefähr 1500 E-Mails – und ein einziger Brief. Einen Moment habe ich gezögert, den Brief zu öffnen, ich dachte: Du kennst jemanden mit diesem Namen.

Dagmar Buterfas-Frankenthal: Mein Mann kam zu mir und sagte: Da hat einer geschrieben, der hat diesen Namen. Dann habe ich erst mal blöd geguckt, ich konnte ihn gar nicht verorten. Aber mein Mann kennt ja die großen Nazis alle.

Auf dem Kuvert stand der Familienname eines hochrangigen Nationalsozialisten; eines Mannes, der 1942 mit anderen NS-Größen am Wannsee konferierte, um den Holocaust zu organisieren. Ein Enkel dieses Mannes hatte den Brief geschrieben. Die ZEIT hat mit ihm gesprochen, er möchte sich nicht öffentlich äußern. Auch nicht zu jenen Fragen, über die das Ehepaar Buterfas-Frankenthal noch immer rätselt. Aus Rücksicht auf die Persönlichkeitsrechte des Enkels verschleiert dieser Text seine Identität. Der Enkel schrieb in seinem Brief, er wolle das Ehepaar Buterfas-Frankenthal besuchen, gemeinsam mit seiner Familie. Er wünsche sich, dass seine Kinder von einem Überlebenden erfahren, wie es war, als die Nazis das Land beherrschten.

DIE ZEIT: Was ging Ihnen durch den Kopf, als Sie den Brief gelesen hatten?

Ivar Buterfas-Frankenthal: Ich dachte: So einen lässt du doch nicht in dein Haus! Das ist ja unglaublich. Ich bin 87 Jahre alt, das ist das erste Mal in meinem Leben, dass sich so jemand an mich wendet.

ZEIT: Waren Sie wütend?

Ivar Buterfas-Frankenthal: Ich war geschockt, fast paralysiert. Dafür habe ich viel zu viel mitgemacht.

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erschienen in DIE ZEIT 36/2020