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Junge Afghanen sollen bleiben dürfen

Offenbacher Schülerinnen und eine Lehrerin organisieren den Protest gegen die drohende Abschiebung ihrer Mitschüler.

Abdul Ahmad Adelyar möchte gerne Straßenbauer werden. Zumindest kann er sich das vorstellen, seit er ein kurzes Praktikum in dem Bereich gemacht hat. Er schmunzelt kurz, als er davon erzählt. Dann blickt er wieder ernst. Der 18-Jährige soll nach Afghanistan abgeschoben werden, sein Asylantrag wurde abgelehnt.

Doch in Offenbach formiert sich Protest. Erst schrieb eine Lehrerin einen offenen Brief - unter anderem an die Landesregierung. Dann setzten zwei Schülerinnen eine Petition ins Netz. Und am 29. August soll es nun sogar eine Demonstration geben - samt Kundgebung vor dem Offenbacher Rathaus.

Adelyar wird dort sprechen - auch im Namen derer, denen es genauso geht wie ihm. Alleine an der August-Bebel-Schule, wo Adelyar eine Integrationsklasse besucht und Deutsch lernt, sollen in den letzten Monaten neun junge Afghanen einen Ablehnungsbescheid erhalten haben, erzählt Lehrerin Brigitta Elisa Simbürger.

Sie hatte den Protest gegen die Abschiebung der jungen Männer im Frühjahr mit ihrem offenen Brief ins Rollen gebracht.„Jugendliche in ein so gefährliches Land zurückzuschicken, ist menschenrechtlich nicht vertretbar", findet Simbürger. Als Lehrerin hätte sie davor „nicht die Augen verschließen" können.

„Ich möchte einfach normal leben - so wie andere Menschen", sagt Adelyar. Seit er im März den negativen Asylbescheid erhalten hat, hängt die Abschiebung wie ein Damoklesschwert über seinem Leben, das er sich seit 2015 hier aufgebaut hat. Zwar sind Abschiebeflüge nach Afghanistan im Juni ausgesetzt worden - aber niemand weiß, wann sie wieder aufgenommen werden. Der junge Mann erzählt von Bauchschmerzen und Konzentrationsproblemen, die sich seitdem häuften.

Den offenen Brief vom Frühjahr habe seine komplette Klasse unterschrieben, erzählt Lehrerin Simbürger. Doch die Antworten der Regierungsparteien darauf hätten sie schockiert. Allem voran die Rückmeldung der CDU, die geschrieben habe, dass eine Abschiebung sinnvoll sei, weil Afghanistan tatkräftige junge Männer brauche. Die Pressestelle der CDU hat das bis Redaktionsschluss nicht bestätigt.

Die Grünen im hessischen Landtag antworteten auf Nachfrage, dass die Partei eine Neubewertung der Sicherheitslage in Afghanistan fordere, ein dauerhafter Abschiebestopp aber nur durch die Bundesregierung erlassen werden könne. Hessen habe bislang zudem „vorrangig Straftäter und Gefährder" abgeschoben. Zuspruch kam von der Landtags-Opposition, erzählt Simbürger.

Adelyar schweigt dazu. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge schreibt in seinem Ablehnungsbescheid, dass ihm in Afghanistan kein „ernsthafter Schaden" drohe. Sein Vater und sein Bruder seien in Afghanistan von den Taliban umgebracht worden, erzählt hingegen seine Lehrerin - damit er nicht schon wieder darüber reden muss. Der Schüler mit Wohnsitz in Dreieich möchte hier bleiben und nicht zurück ins Umland von Kabul. Er hat Angst, dass es ihm dort genauso ergehen könnte wie seinen männlichen Verwandten.

Die Petition, die sich auch um das Schicksal anderer Afghanen dreht, kommt in Fahrt, seit die Kampagnenplattform „change. org" das Anliegen am Mittwoch auf ihre Startseite gehoben hat. Waren es vor einigen Tagen noch knapp 1000 Unterschriften, die die Offenbacher Schülerinnen Julia Endres und Hibba Kauser dort gesammelt haben, so sind es - Stand Mittwochabend - nun schon fast 6000. „Wir wollen die 10.000 knacken", gibt sich Endres kämpferisch.

Aufmerksamkeit wolle man so erreichen und idealerweise einen dauerhaften Abschiebestopp. „Der Fall von Bivsi aus Duisburg zeigt ja, wie erfolgreich Protest sein kann", sagt Kauser, die Stadtschulsprecherin ist. Bivsi Rana war vor zwei Monaten abgeschoben worden - und konnte nach Protesten Anfang August mit einem Schüleraustausch-Visum wieder einreisen.

In der August-Bebel-Schule habe der Protest zu einer Politisierung geführt, erzählt Simbürger. Ihre Schüler machten sich nun mehr Gedanken über politische Entscheidungsprozesse: „Und sie merken, dass wir keine Diktatur haben und dass man, wenn hier etwas nicht in Ordnung ist, dagegen angehen kann."

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