Seit vier Jahren betreibt Schweden eine feministische Außenpolitik. Die 29-jährige Kristina Lunz will das Konzept nun nach Deutschland bringen. Nur: Was ist das überhaupt?
Auf die Minute pünktlich klingelt Kristina Lunz an einer Eingangstür in Berlin-Moabit. Gerade war sie noch in der französischen Botschaft, jetzt steht sie schon vor dem „European Democracy Lab", wo sie gleich einen Vortrag halten wird. Das Thema, das die 29-jährige Deutschlanddirektorin des Centre for Feminist Foreign Policy durch Berlin eilen lässt: feministische Außenpolitik. Was bedeutet die? „Anzuerkennen, dass eine Geschlechterungerechtigkeit besteht", antwortet Lunz, „und dass diese Ungerechtigkeit durch außenpolitische Entscheidungen minimiert werden muss."
Feministische Außenpolitik ist kein etabliertes politisches Konzept, entsprechend schwer fällt eine Definition. Schweden verkündete 2014 als erstes Land der Welt, eine solche Politik verfolgen zu wollen. Der Ansatz war Teil der ersten „feministischen Regierung" der Welt, wie der schwedische Ministerpräsident Stefan Löfven sein Kabinett nannte. Das Ziel: die Gleichstellung in allen gesellschaftlichen Bereichen. Das schwedische Außenministerium hat ein Handbuch herausgebracht, in dem feministische Außenpolitik erklärt wird als den Ansatz, „in der gesamten außenpolitischen Agenda systematisch die Perspektive der Geschlechtergerechtigkeit einzunehmen". Das mag sperrig klingen, meint aber laut Handbuch etwa, dass bei zwischenstaatlichen Beziehungen künftig Frauenrechte vor wirtschaftlichen Interessen rangieren.
Um solchen Idealen näherzukommen, hat Kristina Lunz im Herbst 2018 ein Zentrum für feministische Außenpolitik in Berlin eröffnet. Es soll Lobbyarbeit für das Konzept betreiben. „Ich will feministische Außenpolitik zum Mainstream machen", sagt Lunz. Und hetzt seither von Termin zu Termin.
Immer noch können Frauen in vielen Staaten nicht gleichberechtigt am gesellschaftlichen Leben teilnehmen, brauchen etwa das Einverständnis ihres Ehemannes, um ein Bankkonto zu eröffnen, oder werden Opfer sexueller Gewalt - zum Teil im Wissen, dass sie seitens des Staates keine Hilfe erwarten können. Deshalb will Kristina Lunz in außenpolitischen Verhandlungen weg von einer staatlichen Sicherheit, hin zu einer „menschlichen". Damit meint sie, dass nicht nur Staaten voreinander sicher sind, etwa weil sie durch Verträge zu Frieden und Kooperation verpflichtet werden, sondern auch die Menschen in diesen Staaten sicher sind vor Unterdrückung - beispielsweise wegen ihres Geschlechts. Für Schweden hat dieser Ansatz auch zu Konflikten geführt. 2015 hatte die Regierung die Menschenrechtslage in Saudi-Arabien kritisiert und einen Militärdeal gestoppt. Saudi-Arabien zog daraufhin seinen Botschafter ab.
Auch andere kritisieren den Ansatz. Für den Politikwissenschaftler Jan Techau von der US-amerikanischen Stiftung German Marshall Fund führt der Anspruch der feministischen Außenpolitik, „traditionelle" Denkmuster von Macht, Dominanz, Sicherheit und Gleichgewicht „überwinden" zu wollen, in die Irre. „Diese Kategorien sind nicht überkommen, sie sind die zeitlosen Grundmuster der internationalen Politik." Und noch etwas findet er befremdlich: Der Begriff feministisch sei eigentlich viel zu eng für das, was das selbstgesetzte Ziel sei, nämlich „sehr viel weiter reichende Inklusion und Emanzipation von Minderheiten und minder privilegierten Gruppen."
Der Begriff „Feminismus" ist seit vielen Jahren umkämpft. Oft geht es dabei auch um eben diese Frage: Ist damit eine Verbesserung der Situation von Frauen gemeint, oder eine viel breitere Inklusion, also auch diverser anderer Minderheiten? Für Kristina Lunz ist etwa klar, dass langfristig „eine Verbesserung der Situation aller benachteiligten Gesellschaftsschichten" erreicht werden soll.
In Schweden wurden 2016 40 Prozent der Botschafter- und Generalkonsulpositionen mit Frauen besetzt. In Deutschland sind gerade mal gut 13 Prozent der Botschafter weiblich. Eine deutsche Außenministerin gab es noch nie.
Seit Januar 2019 hat Deutschland für zwei Jahre einen nichtständigen Sitz im UN-Sicherheitsrat eingenommen. Die Bundesregierung hat erklärt, die Resolution 1325 „Frauen, Frieden und Sicherheit" zu stärken, die bereits 2000 vom UN-Sicherheitsrat verabschiedet wurde. Die Resolution zielt darauf ab, Frauen an Gesprächen zur Vermeidung und Lösung von Konflikten und Friedensprozessen aktiv mitwirken zu lassen. Schließlich sind Frauen und Kinder von bewaffneten Konflikten besonders betroffen.
War die feministische Außenpolitik in Schweden ein Erfolg? Nach fünf Jahren ist die Bilanz gemischt. Zwar brachte das Land Genderfragen immer wieder auf die internationale Agenda und wurde dafür viel gelobt. Kanada übernahm den Ansatz in seine eigene Außenpolitik und der UN-Sicherheitsrat nahm Schweden 2016 für zwei Jahre als nichtständiges Mitglied auf. Das wird allgemein als internationale Anerkennung gewertet.
Gleichzeitig ist die neue Außenpolitik selbst im eigenen Land nicht unumstritten. Der Konflikt mit Saudi-Arabien wurde von Oppositionsparteien und Unternehmen kritisiert - und das, obwohl es nur um einen Waffendeal von vielen ging. Schweden ist weiterhin ein großer Waffenexporteur, was auch als nicht feministisch kritisiert wird. Concord, ein Verbund schwedischer und europäischer entwicklungspolitischer Organisationen, warf der Regierung außerdem vor, nicht zu beachten, dass Frauen stärker als Männer vom Klimawandel betroffen sind.
Zurück in Berlin. Kristina Lunz empfängt in einem ockerfarbenen Kleid etwa 15 Gäste, die in das „European Democracy Lab" gekommen sind. Sie wollen über Aktivismus sprechen. Für Lunz funktioniert Geschlechtergerechtigkeit nur, wenn Diplomatie und Aktivismus zusammengehen. „Und wie sollen wir das angehen?", fragt eine Frau im Publikum. Sie wirkt etwas ratlos, fast erschlagen von den ganzen Worten. „Deutschland ist in der Lage, patriarchale Strukturen in der Außenpolitik zu durchbrechen. Daher können wir nicht radikal genug sein", meint Kristina Lunz. Und sie meint das ernst.
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