Mode wird nach Krisenzeiten oft extravagant. Doch wenig spricht dafür, dass die bequeme Kleidung der Coronazeit bald wieder ausgemustert wird. Was tragen wir diesen Sommer?
Stuttgart - Es war eine Provokation, als Christian Dior 1947 seine Ligne Corolle präsentierte. Haute Couture, wenn in den Straßen von Paris die Kinder verhungern? Doch der „New Look" schmiegte sich fortan immer öfter an die schmalen Körper der Nachkriegsdamen. Enge Taille, ausladende Röcke, eine Betonung der Brüste - die Silhouette der Dame als elegante Zuspitzung. Es schwirrte eine Sehnsucht durch die Luft nach süßem Luxus, Unbeschwertheit und Abkehr von der funktionalen Kleidung der Kriegsjahre.
Was folgt auf Krisenzeiten in der Mode? Der Corona-Heimarbeitsdress aus grauer Jogginghose und weitem Reißverschlussstrickpulli müsse doch um Himmels Willen irgendwann auch wieder abgelegt werden, fordern Modekritiker jetzt schon seit Monaten. Vielleicht käme dann wieder eine ästhetisch herausragende Zeit der edlen Anzüge, der opulenten Accessoires, der spielerischen Drapierungen? Auf entbehrungsreiche Jahre folgten oft jene explosiven Epochen der großen Extravaganzen – der androgyne Glimmerglitzer der 1920er Jahre etwa. Übertönt von pandemiebedingten Hiobsbotschaften sind Mode und Stilkritik zuletzt nachvollziehbar leiser geworden. Schwanden schließlich auch die Möglichkeiten, im Straßencafé oder auf dem Weg ins Büro die Aufmerksamkeit von Modekritikern oder Stilbloggern zu erregen, genauso wie man auf Laufstege und rote Teppiche verzichten musste.
In diesen dämmrigen Halbschlaf platzte die Inaugurationsfeier von Joe Biden im Januar wie ein Knall, ein Weckruf: Da war doch was! Mode ist keine Nebensache. Und sie ist so politisch wie selten. Vanessa Friedman, Modechefin der „New York Times“, schrieb, mit der Wahl ihrer Kleider drückten die Politikerinnen und deren Begleiter Werte und Absichten aus: das Kostüm als wesentlicher Bestandteil des öffentlichen Auftritts. Medien berichteten über die Farbwahl der monochromen Outfits von Kamala Harris und Jill Biden (das Lila der Suffragetten, das Blau der Demokraten!). Oder über die von einer Lehrerin aus Vermont gestrickten Handschuhe von Bernie Sanders, bei denen plakativ das ganz Große in der kleinen – natürlich nachhaltigen – Wollmasche steckte. Ella Emhoff, die Stieftochter von Vizepräsidentin Kamala Harris, wurde von der „Vogue“ gefeiert für ihren ungeschminkten Collegestil. Die 21-jährige Studentin lässt auf ihrem Instagram-Profil, wo sie sich mit unrasierten Achseln und in Strickmode zeigt, auch optisch keinen Zweifel daran, wofür sie politisch steht: Feminismus, Nachhaltigkeit, Diversität.
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