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Kleiner Ort, großer Name: Wie die Meyer-Werft die Papenburger spaltet - WELT

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Wie die Meyer-Werft die Papenburger spaltet

Zuerst baute die 1795 gegründete Meyer-Werft nur Holzkähne. Heute hat der Schiffbauer die Stadt Papenburg mit dem Bau seiner Luxuskreuzer zu einer weltbekannten Attraktion gemacht. Hunderttausende verfolgen gespannt, wenn die Riesenschiffe die Werft Richtung Nordsee verlassen. Doch Umweltschützer gehen auf die Barrikaden.

Bernard Meyer mag es zurückhaltend. Er trägt ein dunkelblaues Sakko, trinkt Tee, fährt einen Audi. Aber keinen auffälligen. Bloß kein Aufhebens machen, schon gar nicht um die eigene Person. Nur die maritimen Goldknöpfe am Jackett blitzen ein wenig verräterisch. Der Werftbesitzer aus dem Emsland ist seit Mitte der achtziger Jahre höchst erfolgreich im Glitzergeschäft unterwegs. Meyer baut luxuriöse Schiffe wie kein anderer - und das weit ab von der Küste in der Kleinstadt Papenburg. Die Ozeanriesen können deswegen nur in Millimeterarbeit über die Ems in die Nordsee bugsiert werden.

Vor gut einer Woche hat die „Celebrity Solstice" das Baudock verlassen und ist unter den Augen von mehreren Tausend Menschen ins Hafenbecken gezogen worden. Voraussichtlich am 29. September wird das größte je in Deutschland gebaute Kreuzfahrtschiff über die Ems in die Nordsee navigiert. Auf einem Kanal, dessen Ufer das Schiff auf beiden Seiten fast berührt und den es fast zum Überlaufen bringt. Es ist ein Manöver für echte Könner, wenn Werftkapitän Thomas Teitge das Schiff zum Startpunkt Hamburg manövriert, vorbei erst an den schwarzbunten Kuhherden auf den weiten ostfriesischen Weiden. Dann wird die Zahl der Schaulustigen auf den Ems-Deichen zwischen Papenburg und Emden wohl in die Hunderttausende gehen. Die Fahrt geht nach Eemshaven, von wo aus die „Celebrity Solstice" in die USA fährt. Am 23. November wird sie von dort aus zur Jungfernfahrt in die Karibik aufbrechen.

Der Bau von großen Schiffen mitten im Binnenland und die waghalsigen Manöver von dort aufs Meer haben die Meyer-Werft und den Ort Papenburg zu einer Sehenswürdigkeit gemacht. Aus dem Städtchen mit 35.000 Einwohnern kommen Riesenschiffe für die ganze Welt. Der Ozeanriese für die US-Reederei „Celebrity-Cruises" etwa 17 Decks, ist 315 Meter lang und 36,80 Meter breit. Rund 3000 Passagiere werden mit der „Solstice", was soviel bedeutet wie Sonnenwende, bald über die Weltmeere kreuzen - nachdem das Schiff seine erst schwierigste Aufgabe, die Ems, bewältigt hat.

Die Meyer-Werft wurde bereits 1795 gegründet

Der eher kleine Fluss war und ist bis heute so etwas wie eine ökonomische Lebensader für die ganze Region. Früher wurde von hier aus der mühsam abgebaute Torf in Richtung Ostfriesland verschifft, heute sind es Kohle, Sand, Holz und eben die Kreuzfahrtschiffe, die auf dem Fluss hinab transportiert werden. Werftbesitzer Meyer hält „die Symbiose zwischen Landschaft, Werft und Mannschaft, gepaart mit Glück" für Ursachen seines Erfolges in der ganzen Welt.

Was er damit meint, wird in der Mitte der kleinen Stadt ziemlich deutlich sichtbar. Auf dem Hauptkanal, direkt vorm Rathaus liegt die Brigg „Friederike" fest vertäut, ein historisches Meyer-Holzschiff, das heute als Touristeninformation genutzt wird, auf der die Besichtigungen der Meyer Werft gebucht werden. Und nur einen Steinwurf vom imposanten Rathaus entfernt überragt der 85 Meter hohe Turm der katholischen St. Antonius Gemeinde die Stadtmitte am Papenburger Untenende. Kirche, Politik und Wirtschaft sind sich hier immer noch ganz nah.

Das Kirchenschiff, erstmals erbaut 1672, ist und bleibt das Zentrum von Deutschlands längster und ältester Fehnkolonie - also einem Moordorf für die Torfstecher, die sich entlang der vielen Entwässerungskanäle angesiedelt hatten. Knapp einhundert Jahre später gründete Wilm Rolf Meyer 1795, der Urururgroßvater von Bernard Meyer, unweit der Kirche seine Werft. Das Gotteshaus ist immer noch da, die Werft ist in den achtziger Jahren umgezogen. Zwar nur ein paar Hundert Meter weiter, aber trotzdem ein Riesenkraftakt, sagt Meyer: „Dieses Risiko einzugehen, den Sprung von der alten Werft aus dem Zentrum von Papenburg hierher an die Ems, so ein Risiko werden meine Kinder nicht mehr auf sich nehmen können", glaubt der Schiffbauingenieur angesichts der stärker werdenden Konkurrenz aus Asien. Erst kürzlich hat sich die koreanische STX bei Meyers norwegischen Konkurrenten Aker eingekauft. Er fürchtet nun, dass die Koreaner, bislang Spezialisten für Handelsschiffe aller Art, jetzt sehr schnell lernen werden, auch noch konkurrenzfähige Kreuzfahrtschiffe zu bauen.

Für die Stadt Papenburg und Meyer war der mutige Umzug in den Achtzigern jedoch ein Glücksfall. Nicht nur, weil der Schiffsbauer ganz andere technologische Möglichkeiten gewonnen hat. Auch weil die Stadt eine attraktive Fläche bekam. Die alte Werft beherbergt heute ein Hotel und mit dem „Zeitspeicher" eine Multimedia-Schau über Papenburgs Geschichte und den Schiffbau. Und die neue Werft ist binnen weniger Jahre zu einer in Deutschland einzigartigen Sehenswürdigkeit geworden. Jedes Jahr kommen Hunderttausende, um sich Schiffbau an der Ems erklären zu lassen. Das Geschäft ist längst nicht mehr leicht. Vor allem Termintreue ist gefragt. Wenn Meyer seine Luxusliner nicht rechtzeitig liefert, muss er hohe Konventionalstrafen zahlen. „Jedes Teil auf der Werft hat einen Barcode", erklärt Werftsprecher Peter Hackmann. So wissen die Logistiker jederzeit, wer, was, wann und wo an Material benötigt. Das funktioniert auch, wenn sich die Meyer-Mannschaft in der Endphase mit den vielen Externen aus ganz Europa mischt, die hier ihren Teil der Arbeit abliefern.

Zuletzt wird der Golf-Rasen ausgesät

Dafür ist der Bau des Ozeanriesen im Hafen ein gutes Beispiel. Die Zeit drängt, und der Innensausbau der „Celebrity Solstice" läuft auf vollen Touren. Am ganzen Schiff entlang und auf den Decks stehen noch überall Paletten und Drahtkörbe mit Kabelrollen, Lüftungsrohren und leeren Farbeimern. Nur zu den Pausen und bei Schichtwechsel verlassen die Arbeiter das Schiff. Am Schluss des Ausbaus kommen dann noch die Gärtner. Auf dem oberen Deck soll noch echter Rasen ausgesät werden, für passionierte Golfer und andere Rasensportler. „Bislang einmalig in der Welt und in Zusammenarbeit mit der Universität Florida entwickelt." High-Tech-Grün, Made in Papenburg, das selbst den salzigsten Seewinden standhalten soll. Aber vorher noch sind hier oben sich freundlich kabbelnde Damen einer Putzkolonne unterwegs. Sie machen das Schiff mit seinen 1426 Kabinen „schier", wie man hier sagt, genau an der Grenze zwischen dem katholisch-konservativen Emsland und dem protestantisch-sozialdemokratischen Ostfriesland.

Doch in der Werft ziehen alle an einem Strang. Die rund 2500 Mitarbeiter sind stolz auf ihre Schiffe, die sie weltweit einmalig im „Lego-Prinzip" Stockwerk für Stockwerk mit riesigen Kränen aufeinander schichten und verschweißen. Nach der Ablieferung werden sie ihre Ozeanriesen nie wieder sehen, weil meistens Amerikaner damit auf allen Weltmeeren kreuzen. Meyer weiß wie seine Vorfahren, was Reeder in aller Welt wünschen - selbst wenn es große Viehtransporter sind, die seine Werft auch fertigt.

Wissen ist der wichtigste Baustein für den Erfolg eines Familienunternehmens, das als einziges von ehemals 22 Werften in Papenburg überlebt hat. Trends und neue Märkte erspüren und immer nah dran bleiben an Kunden. So hat er es auch geschafft, einen Milliardenauftrag bei „DisneyCruise Line" zu ergattern. Trotz des Standortnachteils durch die kleine Ems.

Für Papenburgs Bürgermeister Jan Peter Bechtluft hält die Ems Fluch und Segen bereit. Um die Kreuzfahrtriesen in die Nordsee zu bugsieren, muss sie immer wieder ausgebaggert und aufgestaut werden. Das hat die Gemeinden viele Hundert Millionen Euro gekostet. Umweltschützer gehen zudem schon seit Jahren gegen die Bagger auf die Barrikaden. Sie protestieren derzeit dagegen, dass die Meyer-Werft bald auch im Sommer den Fluss stauen darf, um die Schiffe zu überführen. Das ist bisher nur im Winter erlaubt. Durch die Stauungen verändert sich der Sauerstoffgehalt im Fluss. Das gefährde das Leben darin, monieren die Umweltschützer.

Aber Meyer spürt die Konkurrenz im Nacken und will künftig drei statt zwei Schiffe pro Jahr abliefern. Dazu muss er aber auch den Fluss das ganze Jahr nutzen können. Nur so könne er die Arbeitsplätze sichern. Und der Zeitpunkt für einen erneuten Umzug der Werft ans Meer ist wohl verpasst worden.

Beatrice Claus vom WWF fordert deshalb von den Politikern, dass sie wenigstens „dem Fluss künftig wieder mehr Raum geben, um den Sauerstoffgehalt nachhaltig zu verbessern und ein dreistelliger Millionenbetrag in Natur- und Vogelschutz investiert wird."

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