Viele übersehen, dass Patrick Mohr einer der talentiertesten
deutschen Modedesigner ist. Und wer ist daran schuld? Er selbst.
Von Ellen Stickel
Er trägt Birkenstocks. Außerdem einen weiten Hosenrock, ein
schlabberiges Shirt mit einer Weste darüber und lange, gestrickte
Schlaufen als Schmuck um den Hals. Sogar auf der Berliner Fashionweek
mit all den auffällig gestylten Leuten schafft Patrick Mohr es, alle
Blicke auf sich zu ziehen. Der 29-jährige Designer hatte lange Zeit,
sich daran zu gewöhnen. Während seiner Jugend in Kolbermoor, einer
bayerischen Kleinstadt in der Nähe von Rosenheim, war er der
Außenseiter, wurde angestarrt und ausgegrenzt. Auffälliges Styling war
sein Weg, die Abgrenzung in die eigenen Hände zu nehmen.
Den Mut, aufzufallen und anzuecken, hat er nicht verloren. Bei
seiner ersten Show, auf der Fashionweek 2009, sorgte er gleich für einen
Eklat, als nicht professionelle Models, sondern Obdachlose seine
Modelle präsentierten. Dafür erhielt Patrick Mohr einerseits
euphorisches Lob - Gespür für die Wirtschaftskrise! Entzauberung des
Modeglamours! -, aber auch Kritik: Vorführen von Wohnsitzlosen!
Ausbeutung! Doch Mohr, der selbst eine Zeitlang als Model in Mailand
gearbeitet hat, wollte was ganz anderes: Ihn fasziniert das
Unverkrampfte an Laienmodels, dass sie sich selbst treu sind und sich
nicht verstellen. Vor allem aber war diese Art der Präsentation ein
Statement: Ich finde die ganzen modischen Konventionen
sterbenslangweilig - und ich weiß, dass es euch ganz genauso geht!
Womit Mohr einen wunden Punkt trifft. Wirklich spektakuläre Teile
sind auf den Laufstegen der Hauptstadt selten, das Gros der
präsentierten Mode ist auffällig trag- und verkaufbar. Patrick Mohrs
Kollektion für das Frühjahr dagegen muss man erst mal verkraften:
zeltartige Capes aus Sackleinen, weite Overalls im Waldarbeiterstyle mit
zugeschnürten Ärmeln, überdimensionierte Kopfbedeckungen in Würfelform
und überall die wiederkehrenden Mohrschen Elemente Raute, Dreieck und
Parallelogramm.
Auch bei seiner Januar-Show in Berlin machte Patrick Mohr Laienmodels zum Prinzip. Diesmal schickte er neben den regulären Models solariumgetoastete und auftrainierte Bodybuilder über den Laufsteg. Die Grenzen zwischen Mann und Frau waren durch die Muskelmassen schwer auszumachen. Mohr hat den Unisex-Gedanken zu seiner Maxime gemacht: "Bei mir wird es nie dieses glamourös, sexy, pompös geben. Mann und Frau sind eine Einheit, das spüre ich tief in mir, und da folge ich meinem Instinkt."
Was die Materialien und Farben angeht, macht Mohr mit der Herbst/Winter-Kollektion eine erneute Kehrtwendung, Berechenbarkeit ist nicht sein Ding. Die geölten Körper umhüllt er mit den Signalfarben Weiß, Schwarz, Blau, Gelb und Rot; wo ein halbes Jahr zuvor grobe Stoffe und erdige Töne den Lumpensammler heraufbeschworen, fragt er nun: "Are we shaved?" und legt seinen diätetisch geschulten Models Würfelzucker zwischen die umschminkten Lippen. Patrick Mohr thematisiert die elementaren Fragen unserer Zeit: Wer und wie will ich sein? Welche Grenzen drückt uns die Gesellschaft auf? Welche Bereiche des öffentlichen Lebens werden konsequent ausgeklammert? Mohr ist jemand, bei dem man unweigerlich auf die Plattitüde zurückgreifen muss: Er erfindet sich jedes Mal neu. Vielleicht liegt das an seiner fundamentalen Angst, als Eintagsfliege wahrgenommen zu werden - trotz seiner Erfolge. Er arbeitet hart an sich und seinen Designs, damit das nicht passiert. Ist die Provokation also pures Kalkül, um auf sich aufmerksam zu machen? "Nee", sagt er knapp, "ich bin einfach so."
Zu sich selbst und seinem unorthodoxen Blick auf die Welt zu stehen, ist ein zentrales Thema in Patrick Mohrs Leben: "Ich bin authentisch, und ich will auch überwiegend mit authentischen Menschen zu tun haben." Das war nicht immer so. Jahrelang schipperte Mohr jedes Wochenende von Kolbermoor nach München, um dort die Nächte in der legendären Nobel- und Promidiskothek P1 durchzufeiern. Geld hatte er kaum, doch dank seines ausgefallenen Stylings wurde er immer an der langen Schlange vorbeigewinkt und bald zum Stammgast. Heute hat er für seine damalige Obsession nur noch ein Lächeln übrig. Während des Modestudiums in München kam der Wandel, Oberfläche zählt für Mohr nun nicht mehr - es sei denn, sie besteht aus auffallend gutem Design. "Ich möchte hinter die Fassade eines Menschen schauen, mich interessiert das Herz."
Klingt nach Gutmensch und irgendwie auch nach Klischee. Doch wenn man Mohr nach seinen Plänen fragt, kommen Sätze wie: "Bis ich 30 bin, möchte ich eine eigene Modenschau auf der Fashionweek in Paris haben." Da ist er endlich, der typische Designer, von sich selbst überzeugt und vielleicht auch ein bisschen größenwahnsinnig. Ein Stückchen Lagerfeld blitzt auf. Aber nur für ein paar Sekunden, dann schaut Mohr wieder schüchtern aus den tief liegenden Augen und verzieht den Mund unter dem blonden Bart zu einem angedeuteten Lächeln. Dabei hätte er allen Grund zu protzen. Mohr absolvierte die Modeschule Esmod 2007 als Jahrgangsbester, "Ausnahmetalent" nannten ihn seine Dozenten. Suzy Menkes, eine der einflussreichsten Modekritikerinnen dieser Zeit, war von seiner Frühjahrskollektion begeistert und lobte ihn als einen der großen Hoffnungsträger unter den deutschen Designern. Und dem dänischen Avantgardedesigner Henrik Vibskov genügten ein kurzes Gespräch und ein Blick auf die Kollektionsbilder, um Mohr eine Stelle in seinem Atelier anzubieten. Noch heute schwärmt Patrick Mohr von seinem Mentor: "Wenn man ihn besser kennen lernt, ist er sehr zugänglich und sehr authentisch."
Immer wieder dieses Wort: authentisch. Es ist Dreh- und Angelpunkt für Patrick Mohr. Seine Ziele verfolgt er entsprechend konsequent, seien es ungewöhnliches Design, der Stammgaststatus in der Nobeldisko oder der Traum vom Durchbruch in Paris. Was er macht, macht er ohne Kompromisse. Es ist das Erbe seiner Jugend, die Konsequenz der Einsamkeit. Die Angst vieler Menschen, irgendwo anzuecken, nicht von allen geliebt zu werden, hat Mohr längst überwunden. Er sieht seinen Weg vor sich und verfolgt ihn geradlinig. Bis zur nächsten Abzweigung. Vielleicht.
Name: Patrick Mohr
Geboren: 24.11.1980 in Mainz
Aufgewachsen: im tiefsten Oberbayern bei Rosenheim
Sieht die Welt in: Quadraten, Dreiecken und Parallelogrammen
Trägt gern: bunte Hosenträger, riesige Hornbrillen, pinke Sakkos und Pluderhosen
Aktuelles Projekt: Hat exklusive Sneakers für die Basketballmarke K1X entworfen
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