Der eine ist Rocker, der andere Polit-Aktivist. Beide kämpfen für mehr Freiheit in Birma, einem Land, das zwischen Demokratie und Diktatur schwebt. 24 Stunden unterwegs in Rangun Von Elisabeth Weydt
Irgendwann haben sie ihn erwischt. Auf einer Straße in Rangun haben sie Moe Thwei erkannt, herumgestoßen und ihre Waffen auf ihn gerichtet. Zehn Tage Gefängnis, sieben davon in Einzelhaft. Seit er nun auf Kaution wieder draußen ist, laufen mehrere Verfahren gegen ihn. 14 Jahre bekäme er insgesamt. In Birma (Myanmar) darf man jetzt zwar demonstrieren, aber nur wenn man eine Genehmigung dafür hat und Moe Thwei hat nicht immer eine. Dann demonstriert er trotzdem. Schließlich will er sich von der neuen Regierung nicht die Freiheit verbieten lassen, die man ihm versprochen hat. Er kämpft für sie.
Vergangenen Winter, als der junge Aktivist verhaftet wurde, tourte sein Freund, der Musiker mit der Punkband Side Effect, durch Deutschland. Die Birmanen rockten Clubs in Berlin und Hamburg, sahen den ersten Schnee ihres Lebens und verliebten sich in deutsche Würste und Frauen. Aus Birma darf man jetzt zwar auch als Punk ausreisen und im Land selbst unzensierte Konzerte geben. Aber natürlich nur, wenn man eine Genehmigung dafür hat. Und Darko hat immer eine. Schließlich will er sich von der neuen Regierung nicht die Freiheit nehmen lassen. Er will sie nicht aufs Spiel setzen.
Vor dem Aufstand gegen die Militärdiktatur 2007 spielten Moe Thwei und Darko auf denselben Bühnen. Über Nirvana konnten sie schon damals stundenlang reden - über das buddhistische, das die absolute Freiheit verspricht, und über die Band aus den USA. Heute trägt der Aktivist ein Nirvana-Tattoo auf dem linken Unterarm, der Musiker hat sich deren Frontmann Kurt Cobain lebensgroß ins Wohnzimmer gehängt. Auch wenn sie sie unterschiedlich ausleben: Freiheit beginnt für beide im Kopf. Aber seit dem Aufstand vor sechs Jahren, seit die Armee auf friedlich demonstrierende Mönche schoss, ist Birma komplizierter geworden. Der Kampf um die Freiheit ist noch lange nicht zu Ende.
Damals wurde die Rebellion niedergeschlagen. Doch das Verlangen nach Veränderung hatte inzwischen weite Teile der Bevölkerung erfasst. Vor drei Jahren konnte immerhin ein Teil des Parlaments frei gewählt werden, doch die Armee bestimmt noch immer ein Viertel der Abgeordneten und schickt für die restlichen Sitze linientreue Kandidaten ins Rennen. Aung San Suu Kyi, die Ikone der Demokratiebewegung, wurde aus dem jahrelangen Hausarrest entlassen, Meinungsfreiheit zugelassen, die Zensur aufgehoben, und seit ein paar Monaten gibt es sogar private Medien. Unter General Thein Sein, der noch heute Präsident ist, hat die Diktatur angekündigt, sich selbst abzuschaffen. Ein historisch einzigartiger Akt, dem viele bis heute nicht trauen. Auch der Punk und der Aktivist nicht.
"Ja, es hat sich was getan", sagt Darko, "aber unsere Gesellschaft muss immer noch freier werden." Der 31-Jährige mit den kurzen Haaren statt Irokesenschnitt trägt Jeans und hat das Logo seiner Band auf den linken Unterarm tätowiert. Er sitzt vor dem Schneiderladen in einem bienenstockartigen Einkaufszentrum in Rangun, mit dem er und seine Frau ihr Geld verdienen. Aber in Gedanken ist er bei dem Konzert, das Side Effect in ein paar Tagen spielen wollen, und bei den Genehmigungen, die ihnen noch fehlen. Seit Wochen rennt er schon durch die Behörden und wo er hinkommt, wollen sie Geld von ihm, ohne Quittung und "zur Beschleunigung des Prozesses". So nutzen die Herrschenden die Macht, die ihnen noch geblieben ist. "Reine Schikane", sagt Darko.
Er erinnert sich noch, wie er damals während des Aufstandes mit seinem Freund Moe Thwei hier ins Einkaufszentrum kam. Wie er sich nervös umschaute, während sein Freund Flugblätter von der höchsten Balustrade des Innenhofs warf. Wie sie davonrannten, während die Blätter von Stockwerk zu Stockwerk segelten. Heute kann er seine Songs zwar veröffentlichen, ohne dass sie von der Zensur überprüft werden. Doch für den einen Auftritt wollen ihm die Beamten umgerechnet 70 Euro abknöpfen - das Doppelte eines durchschnittlichen Monatsgehalts. "Am liebsten würde ich sagen: 'Das Geld bekommt ihr erst, wenn die Gebühr im Gesetz steht und wenn ich eine Quittung kriege.'" Aber am Ende schluckt Darko seinen Ärger herunter und zahlt. Das Konzert ist wichtiger. Sein zweiter Gitarrist hat sich den Künstlernamen Josef gegeben - nach Josef K., der Roman-Figur aus Franz Kafkas "Prozess", die im Labyrinth der Bürokratie scheitert und umkommt.
"Vielleicht müssten wir Musiker von Rangun einfach alle nacheinander zu diesen Beamten gehen und ihr Spielchen nicht mitspielen, vielleicht werden sie sich dann ändern", sagt Darko und lacht. Er geht weiter auf Demos, postet kritische Statements auf Facebook, aber Musik macht er nur für die Musik. "Wir sind keine politische Band", sagt er. Trotzdem ist Punk auch in Myanmar eine Protestkultur. Gegen die uniforme Gesellschaft, gegen die buddhistische Tradition der friedlichen Genügsamkeit. In den Straßen Ranguns, selbst in der Provinz sieht man die bunten Irokesenbürsten, Nietengürtel, Lederjacken. Und immer wieder auch ein Hakenkreuz oder Hitler-Konterfei. "Ach, das sind dumme Kids, die versteh'n das nicht", sagt Darko. "Die wissen gar nicht, was da überhaupt passiert ist. Sie wollen einfach böse sein." Und Hitler ist das Urböse. Darko braucht ohnehin keine Äußerlichkeiten mehr. Er eckt genug an. Das ist auch im Birma von heute nicht schwer.
Moe Thwei bekommt das gerade zu spüren. Er wartet mal wieder auf den Beginn einer Gerichtsverhandlung. Im Schnitt ist er zweimal pro Woche bei irgendeinem Prozesstermin. Für eine Demonstration durch zehn Stadtteile hat er zehn Verfahren am Hals - jeder Stadtteil hat ihn einzeln angeklagt. Ohne die Unterstützung seiner Eltern, beide Akademiker, könnte er dieses Leben kaum durchhalten. Heute geht es um eine Demo gegen die unmenschliche Behandlung der Kachin, einer ethnischen Minderheit, gegen die das Militär gnadenlos zuschlägt. Jetzt sitzt der Aktivist mit anderen Angeklagten und Anwälten vor dem Gerichtsgebäude auf einem Plastikhocker, trinkt Pulverkaffee, raucht und diskutiert über Aung San Suu Kyi. Viel halten sie nicht mehr von ihr. "Vor dem Gefängnis habe ich keine Angst", sagt Moe Thwei und klingt amüsiert. "Das ist hier wie ein alter Brauch. Wenn du nie im Gefängnis warst, akzeptieren sie dich nicht wirklich als Politiker." Er lacht, manchmal findet er sein Land komisch. Sie werden zur Verhandlung gerufen, in einen schimmeligen Raum mit hohen Decken, unter denen alte Ventilatoren hängen. Die Zeugen erscheinen nicht, die Verhandlung wird vertagt. Zum wievielten Mal? Moe Thwei weiß es nicht.
Er glaubt nicht an die neue Regierung, die von Armeeangehörigen dominiert wird. "Die sind wie David Copperfield. Sie wissen, wie man zaubert und trickst." Aber immerhin kann er wieder demonstrieren und prozessieren. Damals, im Jahr 2007, musste er nach Thailand fliehen, 27 Mitglieder seiner Oppositionsgruppe Generation Wave kamen ins Gefängnis. 40 Jahre bekamen einige. Heute sind alle frei. Hat sich Birma nicht doch verändert? "Ja, aber nur ein bisschen", sagt Moe Thwei. Nach der Verhandlung gehen er und die anderen fünf jungen Angeklagten zum Mittagessen. In einem Teehaus gibt es Hühnchen mit Reis und Avocadomilchshake. Einer zieht zum Zahlen das gemeinsame Spesenportemonnaie von Generation Wave hervor. "Das ist immer noch eine Diktatur", sagt Moe Thwei. "Früher haben sie uns mit Waffen unterdrückt, jetzt unterdrücken sie uns mit ihren selbst gemachten Gesetzen."
Bei Darko im Probenraum sind alle barfuß. Ein Dutzend Flipflops stehen im Vorraum vor einer minzgrünen Wand, direkt unter dem Buddha-Schrein und neben der Tafel mit dem Zeitplan für die verschiedenen Bands. Vor Side Effect waren Shock Wave dran. Danach kommen Hell. Darkos Schlagzeuger The Too drischt schon euphorisch auf die Drums ein. Er will jede Minute nutzen, zu Hause hat er kein Schlagzeug. Birma ist nicht das beste Land für Indie-Bands. Der musikalische Mainstream besteht aus schnulzigen Coversongs, und die Subkultur hat strenge Geschmackskategorien. Entweder man ist Punk oder Metaller oder Hip-Hopper. "Wir wollen, dass die Leute wieder selbst denken und nicht irgendwem oder irgendwas stumpf hinterherrennen", sagt Darko. "Aber selbst denken war jahrzehntelang verboten bei uns." Irgendwann macht er vielleicht wirklich seine eigene Bar auf, wo jeder singen und sagen kann, was er will. Das ist sein Traum. Später muss er noch die Basssaiten abholen, die aus New York gekommen sind. Zur Mahnwache für Studenten, die vor 25 Jahren bei einer Demonstration erschossen wurden, schafft er es nicht mehr.
Moe Thwei geht allein zur Gedenkfeier. In dem Park, neben der Brücke, wo damals das Blut der Jugendlichen floss, sind schon ein paar Hundert Leute. Um sie herum stehen Schaulustige und etwa 20 Männer in dunklen Hemden und Hosen, die alles fotografieren. "Ach, das ist der Geheimdienst", winkt Moe Thwei ab. "Die versuchen, uns einzuschüchtern, aber sie können uns nichts." Die Gedenkfeier ist angemeldet. "Wir machen das hier, damit die Menschen nicht vergessen, zu was Regierungen fähig sind, besonders birmanische."
Am Abend treffen sich der Aktivist und der Musiker dann doch noch. In der 21. Straße in China-Town. Auch die anderen Jungs von Side Effect sind da. Die 21. flirrt. Sie scheint nur aus Restaurants zu bestehen. Es gibt Bier und Grillspieße. Hier treffen sich die Intellektuellen, die Künstler und die wenigen Minirockträgerinnen der Stadt. Der Musiker bestellt Bier, der Aktivist einen Erdbeermilchshake. Moe Thwei erzählt, dass er auch bald wieder eine Band gründen will. Die ersten Songs hat er schon geschrieben. Jetzt sucht er nach Musikern. "Dann können wir ja endlich mal wieder zusammen spielen!", ruft Darko und fasst ihn freundschaftlich an der Schulter. Damals im thailändischen Exil wurde Moe Thwei zum überzeugten Buddhisten. Die absolute Freiheit kann er in allem finden. Auch in der Musik. Aber an diesem Abend hält er nicht so lange durch wie die Vollzeit-Rocker. Um 23.30 Uhr ist Moe Thwei längst im Bett und Darko zieht mit seiner Band weiter. Nur ist jetzt kaum noch ein Laden offen. Mit ein paar Dosen Bier gehen sie zu einem See mitten in der Stadt, ziemlich genau dorthin, wo ihr Freund, der Aktivist, am Mittag Blumen niedergelegt hat. Der Musiker blickt auf die rote Brücke. "Während der Revolution, da habe ich mir auch überlegt, in den politischen Widerstand zu gehen. Aber dann dachte ich mir, das ist doch sinnlos. Die erschießen dich und dann kannst du gar nichts mehr machen." Mittlerweile ist die Wahrscheinlichkeit, erschossen zu werden, ziemlich gering. Der Boden ist bereit für Buddha und den Punk.